Unerfüllte Liebe ist so ein strapaziertes Thema in der Kunst, dass ich mich richtiggehend motivieren muss, bei einem davon bestimmten Werk trotzdem genauer hinzuhören oder -zusehen. Warum auch? Wir haben es alle hundertfach gesehen und gehört. Und wenn sich unerfüllte Liebe mit starken Selbstzweifeln paart, dann wird es auch noch tragischer. Dann aber ein aus solch einer Situation heraus entstandenes, atemberaubend schönes und begeisterndes Stück Kunst zu erleben, lässt mich wieder aufhorchen. Gerade die Kombination eines großen künstlerischen Talents mit diesen Selbstzweifeln birgt gleichzeitig eine gewisse Notwendigkeit, als auch eine gewisse Ironie.
Selbstzweifel
Der Komponist Alexander Zemlinsky war so ein Fall. Als großes Talent im Wien des ausgehenden 19. Jahrhunderts kreuzten sich seine Wege mit Alma Schindler, deren Beziehung nicht nur eine zwischen Lehrer und Schülerin blieb. Jedoch verließ sie Zemlinsky später für Gustav Mahler, was ihn tief und langfristig traf, hatte er sich in Schindler doch unsterblich verliebt. Dieses Schicksal veranlasste ihn zu einigen Werken, darunter die sinfonische Dichtung “Die Seejungfrau” die er nach Hans Christian Andersens Gedicht “Die kleine Meerjungfrau” konzipierte. In Andersens Werk verliebt sich die kleine Meerjungfrau in einen menschlichen Prinzen, was jedoch nicht erwidert wird. So versuchte der Komponist seine eigene Geschichte zu verarbeiten, und schuf Musik, die mit all der Tragik der Spätromantik, der er stets verbunden geblieben war, aufwartet. Dem nicht genug wurden bei der Uraufführung des Werkes, die Zemlinsky selbst leitete, wieder die Selbstzweifel des Komponisten stark genährt, da das andere Stück des Abends, Arnold Schönbergs “Pelleas und Melisande” das Gespräch des Abends war, und die Seejungfrau in die Bedeutungslosigkeit schickte.
Und so dankbar dieser hochromantische, intensive Orchesterklang sein mag, so ist die Ausführung doch auch ein diffiziles Experiment. Setzt man zu nüchtern und sachlich an, dann wird man Epoche und Thema nicht gerecht, überzeichnet man jedoch die Intensitäten, dann ist der Weg zu filmmusikalischer Banalität nicht mehr weit. Die hier vorliegende Aufnahme des Netherlands Philharmonie Orchestra zeigt, dass diese Gratwanderung aber gut möglich ist. Chefdirigent Marc Albrecht gilt als Experte für Spätromantik, und wird diesem Ruf hier voll gerecht. Er ermöglicht es seinen Musiker*innen all die Bereiche an starken Gefühlswallungen auszugestalten, ohne aber jemals symphonische Ernsthaftigkeit vermissen zu lassen.
Das wird auch gleich im ersten Satz deutlich, wo das Ensemble mit präzise gestalteten Intensitätsunterschieden Fragen stellt und Themen aufwirft, aber den Sollten genug Raum gibt für erzählerische Charakterstärke. Steigerungen in der Intensität werden mit der nötigen Lautstärke ausgeführt, aber niemals überdramatisiert. Immer bleibt beim Hören noch Platz für Phantasie und eigenes Erleben. Auffällig ist auch die Einigkeit im Orchester bei der Ausführung von mehrstimmigen Melodieauskopplungen. Die Violinen aber auch die Bläser agieren hier mit gut aufeinander abgestimmter Interpretationsintention, setzen Vibratostärken und -verläufe als Einheit, kontrollieren Tonansätze äusserst akkurat.
Nüchtern
Ruhige Passagen am Ende des zweiten und am Anfang des dritten Satzes führt das Ensemble mit stiller Reduktion aus, so daß diese Stellen anstatt träumerisch zu wirken, eher nachdenklich, fast etwas grübelnd erscheinen. Die im Kontrast dazu dann aufflammenden Steigerungen, auch noch am Anfang des dritten Satzes, kommen mit der nötigen Kraft und Strichstärke in den Streichern, bleiben aber auch thematisch im Rahmen der vom Dirigenten gesetzten Inhaltsnüchternheit, was immer wieder den Ursprung des Werkes und die Situation des Komponisten betont.

Eine Ausnahme zu dieser Zügelung lässt Albrecht jedoch bei Solostimmen zu, die immer mit elegischer Phrasierung die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, und schicksalshafte Gedankenwelten betonen dürfen.
Verklingen
In der dunkel-düsteren Sequenz in der hinteren Mitte des dritten Satzes fällt dann auf, wie alle im Vortrag an einem Strang ziehen, mit Bedacht diese Teilgeschichte aufbauen, lange still und leise bleiben können, Spieltechniken minimieren, Töne klar und gerade lassen können, um dann mit viel Geduld irgendwann wieder das Hauptthema des Satzes anzudeuten und einzuleiten. Und um dann letztlich im lieblichen Übergang zum Schlussteil genug Erzählkraft zuzulassen, damit dem Zuhörer die Gefühlswelten sowohl des Komponisten als auch des Dichters plastischer werden können, dann wenn die Streicher absolut synchron ihre Strichintensität steuern, und die Bläser die fanfarenähnlichen Klänge mit der nötigen Kontrolle und Einigkeit in den Raum stellen.
Und schliesslich verklingt das Werk unprätentiös im festlichen, aber bewusst endlichen Schlussakkord.