Was geschieht eigentlich, wenn eine Pianistin von internationalem Rang die Erwartungen der klassischen Musikwelt – dieses Tempels der Virtuosität – bewusst unterläuft? Mit ihrem Album „The Untouchable“ setzt die armenischstämmige Heghine Rapyan ein Statement, das die heilige Kuh des „höher, schneller, weiter“ in der kompetitiven Konzertpraxis geradezu ketzerisch infrage stellt. Selten war man beim Hören so herausgefordert, übliche Erwartungshaltungen gründlich über den Haufen zu werfen.Die in Salzburg ansässige, mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnete Pianistin hat längst bewiesen, dass sie das klassische Repertoire souverän beherrscht. Umso überraschender ist dieser mutige Genrewechsel.
Rapyans acht Eigenkompositionen kommen als echte instrumentale Songs daher – ja, Songs! –, aber die scheinbare Einfachheit ist so wohlüberlegt und tiefempfunden realisiert, dass sich diese Stücke letztlich doch als kleine musikalische Kunstwerke behaupten. Getragen werden sie durch Heghine Rapyans ruhig fließendes Klavierspiel, das eingängig fließende Melodiebögen webt und sich einer simplen, aber subtilen und oft latent melancholischen Tonalität bedient. Was Rapyan darüber hinaus und denkbar unbefangen vorführt, ist ihre Kunst, Ausdrucksmittel der Popmusik zu nutzen, ohne deren Oberflächlichkeit zu übernehmen. Ihre Musik bedient sich populärer Formen, füllt diese aber mit emotionaler Tiefe und zielt bewusst aufs Gemüt ab – ohne Scham oder akademische Verklemmtheit!
„Phoenix from the Ashes“ entwickelt sich zu einer packenden Parabel des Wiederaufstiegs – hier werden alltägliche Melodien in etwas verblüffend Tieferes verwandelt. „Flame“ bewegt sich zwischen zarter Verletzlichkeit und kompromissloser Selbstbehauptung, wobei der tief in sich ruhende Fluss ihres Klavierspiels sich nie aus der Ruhe bringen lässt. Im titelgebenden Stück „The Untouchable“ singt die Melodie wehmütig, sehnsuchtsvoll und hoffnungsvoll – aber der ruhige Atem bleibt, mit dem diese Musik das Runterkommen ermöglicht.

„Tango Non Dubitare“ entfaltet einen vitalen Puls, direkt und erfrischend. Im genau richtigen Moment – und das ist die Kunst! – kommen subtile harmonische Wendungen ins Spiel, die aus jeder drohenden Einfältigkeit herausführen. „April Snow“ zeigt sich tänzerisch beschwingt wie aufgepeitschte Schneeflocken, wobei dezent impressionistische Klangfarben für faszinierende Kontraste sorgen. Der „Waltz“ geht schwungvoll zur Sache, „The Latebird“ fließt beruhigend dahin, während „My Salonic“ der noch leidenschaftlichere, fast berauschende Walzer auf dieser Platte ist. Im Hintergrund agieren feine Klangteppiche aus Synthesizern, die an die Streicherteppiche in Burt Bacharachs Jazz-Arrangements erinnern. Bei rhythmischen Passagen kommen dezente Drumbeats ins Spiel. Man meint, einen imaginären Backgroundchor in einem weiten Raum zu hören, der diesem Schwebezustand eine menschliche, fast transzendente Note verleiht. Beeindruckend sind die Hallräume, dynamischen Schichtungen und die subtile Balance zwischen Nähe und Distanz – alles Produktionsverfahren aus der Popmusik, eingesetzt ohne deren Schablonen zu verfallen.
Wenn man erst einmal – und das ist vermutlich Anfang genug für strenge Klassikhörer – alle Vorurteile gegenüber „unterhaltender“, nicht-akademischer Musik über Bord wirft und sich einlässt, offenbart sich eine verblüffende Raffinesse. Man muss dieser unbefangen daherkommenden Verbindung von orchestralen Elementen und Pop-Sensibilität ein tiefes intuitives Gespür attestieren.
Fazit: Heghine Rapyan versteht Musik als universellen Begleiter menschlicher Erfahrung – nicht als abgehobenes Kunsterlebnis für Eingeweihte, sondern als elementaren Teil des Lebens mit allen Freuden und Sehnsüchten. Sie kommuniziert auf einer Ebene, die wir alle verstehen, ohne simpel oder anbiedernd zu werden.