Der Pianist Herbert Schuch hat sich mit seinen dramaturgisch durchdachten Konzertprogrammen und CD-Aufnahmen als einer der interessantesten Musiker seiner Generation einen Namen gemacht. 2013 erhielt er den ECHO Klassik für seine Aufnahme des Klavierkonzerts von Viktor Ullmann sowie Beethovens Klavierkonzert Nr. 3. In 2014 erschien die aufsehenerregende Solo-CD „invocation“ mit Werken von Bach, Liszt, Messiaen, Murail und Ravel. Er arbeitete unter anderem mit Orchestern wie dem London Philharmonic Orchestra, der Camerata Salzburg, den Bamberger Symphonikern, und den Rundfunkorchestern des hr, MDR, WDR, NDR Hannover. Er ist regelmäßig Gast bei Festspielen wie dem Heidelberger Frühling, dem Kissinger Sommer, dem Klavier-Festival Ruhr und den Salzburger Festspielen.
Vor seinem Konzert in der Elbphilharmonie konnte ich ein Interview mit ihm führen.
Herr Schuch, räumen wir die Frage nach der Krise gleich zu Beginn aus dem Weg: Wie erleben Sie die Auswirkungen der aktuellen Situation auf Ihre Kulturlandschaft, und welche Möglichkeiten sehen Sie für sich persönlich, der Krise zu trotzen?
Ich habe die Befürchtung, dass wir die Folgen der Krise erst mittelfristig spüren werden. Hier in Deutschland wird ja vieles abgefedert, auch durch diese wunderbare Förderung der öffentlichen Häuser. Aber man weiß ja auch nicht, wie lange Zuschüsse laufen können. Da ist man in Deutschland vielleicht in einer Blase. Vielleicht wird es auch nicht so schlimm, aber ich weiß nicht, was passiert, wenn dann noch einmal alle anfangen zu sparen. Wir haben ja ein kleines Baby, das zu Beginn der Pandemie erst ein paar Monate alt war. Das hat uns so in Beschlag genommen, dass wir aus der Situation ganz leicht etwas Positives machen konnten. Wenn ich das nicht gehabt hätte, dann hätte ich auch nicht gewusst, wohin mit der ganzen Energie.
Etwas Anderes sein
Die Arbeit mit dem Pianisten Alfred Brendel hat Sie sehr geprägt. Welche Aspekte haben Sie da direkt in ihr eigenes Spiel übertragen?
Was ihn auszeichnet ist, dass er nicht nur darüber redet, dass das Klavierspielen eigentlich nur ein Ersatz für etwas anderes ist, vor allem wenn man das mitteleuropäische Repertoire sieht, von Bach über Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert bis in die Spätromantik. Das kann ein Orchester sein, das kann Gesang sein, das kann Oper sein, das kann wahnsinnig vieles sein. Interessant ist es dann, diese Erkenntnis wirklich in Klang zu übersetzen. Ich finde, da hat er sich wirklich viele Gedanken gemacht. Für mich ist das ein ganz lebendiger Quell von neuen Ideen geworden, und ich habe gemerkt, dass wir unser Instrument irgendwann auch wieder vergessen müssen. Das ist für mich eine sehr schöne Arbeitshypothese. Ich werde nie schaffen, das Klavier wie einen Sänger klingen zu lassen, aber ich kann es versuchen, und komme damit zu ganz anderen Grundlagen als im Studium. Im Studium lernt man etwas, zum Beispiel gleichmäßig und rund zu spielen, und dann muss man sich das eigentlich wieder abtrainieren. Aber natürlich im Guten abtrainieren, es soll ja nicht nachlässig klingen, sondern lebendig, persönlich.
Haben Sie einen Tipp, wie man sowas konkret macht? Beim Spielen den Klang zu transformieren oder etwas anderes daraus entstehen zu lassen?
Es ist wichtig, dass man eine Idee hat, dass man versucht, einen Schubert auch wie das Lied eines Sängers klingen zu lassen. Da ist man dann nicht nur der Sänger, sondern auch der Pianist, der begleitet. Also muss ich erst einmal überlegen, wie ein Sänger tatsächlich einen Text auf diese Melodie singen würde. Dann muss ich mich in meinem Kopf auf die Suche machen nach einem Text, der den musikalischen Gehalt am besten in Worte fassen würde. Wenn man auf Sänger hört, dann merkt man, wie frei sie eigentlich im Metrum sind. Wenn sie ein Wort sprechen das viele Konsonanten hat, dann klingt das anders. Das realisiert man dann mit den Fingern, und wenn man gut trainiert ist, dann können die Finger sehr, sehr viel bis zu einem gewissen Grad, auch wenn sie nie hundertprozentig das machen, was man sich vorstellt. wenn ich die Fantasie von der Leine lasse, dann bekomme ich einen anderen Zugriff auf die Stücke. Ich habe das Gefühl, dass das meinen musikalischen Horizont extrem erweitert hat, denn das bedeutet ja auch: „Okay, eigentlich müsste man viel mehr Oper hören, viel mehr Sänger, und Streichquartette.“
Also ist es die gesamte Haltung im Kopf, von der aus man dann die Finger steuert?
Ja, aber ich glaube umgekehrt, dass man sich auch mal von den Fingern leiten lässt, im Konzert mit Publikum und einem bestimmten Instrument. Dann merkt man: „Dieser Flügel funktioniert so und so, da kannst du dich mit deinen Ideen im Kopf nicht durchsetzen, weil der Flügel kann das einfach nicht.“ Und dann muss man den umgekehrten Weg gehen und auf dieses körperliche Gefühl beim Spielen schauen. Dann bekomme ich etwas zurück vom Instrument und ich muss den Kopf ausschalten in diesem Moment. Ich finde eigentlich beides schön, aber ich denke, dass es wichtig ist ein Grundsystem zu haben.
Klangvorstellungen
Sie sprechen einmal davon, die Risikofreudigkeit von der Bühne auch mit in das Aufnahmestudio nehmen zu wollen. Nun ist Lust auf Risiko auf der Bühne nicht bei jedem professionellen Musiker zu finden. Was bedeutet das für Sie, die Lust auf Risiko in Ihrem Spiel?
Ich glaube, Lust auf Risiko heißt, dass ich mich im Konzert von der Situation, von der Stimmung oder von einer spontanen Idee mitnehmen lasse. Da bin dann neugierig, was daraus wird. Ich suche das nicht fanatisch, aber das sind Momente, in denen sich eine Klangvorstellung verändert. Es ist schön, dann einer Idee nachzugehen, sofern ich mir das in dem Moment leisten kann. Aber ich würde nicht versuchen im Konzert nochmal schneller zu spielen, als ich es mir vorgenommen habe. Das würde ich nicht unter Risikofreudigkeit verstehen, das bringt nichts.
Aber es gibt ja Beispiele von Musiker*innen, die dann extra noch ihr Spiel in der Geschwindigkeit komprimieren.
Aber die meisten großen Musiker*innen, die ich kenne, sind wahnsinnig kontrolliert und klar in dem, was sie machen. Zum Beispiel Martha Argerich ist so instinktiv und spielt wirklich unfassbar gut. Das klingt schon auch alles sehr spontan, aber ich glaube nicht, dass da so viel Spontanität dabei ist. Ich glaube, das ist wahnsinnig durchdacht, aber es kommt dann eben in diesem Moment so rüber. Ich habe nie das Gefühl, dass sie sich gehen lässt.
Da gab es ja den Geiger Zino Francescatti, bei dem die Orchester nicht mehr hinterher kamen.
Also ab und zu dem Orchester weglaufen finde ich an sich auch nicht so unsympathisch. Es gibt auch wahnsinnig schöne Aufnahmen aus früheren Zeiten, zum Beispiel bei Furtwängler, wo das Klavier wirklich überhaupt nicht mehr mit dem Orchester zusammen ist, und dann irgendwann auf der eins im übernächsten Takt ist dann alles wieder gut. Ich finde das durchaus ziemlich charmant. Das istaber eher eine Form von freiem Rubato, die ich ziemlich attraktiv finde.
Sie spielen hier in der Elbphilharmonie die Diabelli Variationen von Beethoven. Diesem wichtigen Klavierwerk wird immer wieder ein ganz besonderer Status zugesprochen. Welche Verbindung haben Sie zu den 33 Variationen?
Das ist schon ein Wahnsinnsstück, das sich gar nicht leicht von alleine erschließt, weil man eben dann doch 33 unterschiedliche Charaktere hat, die in sich dann ja auch noch ganz fein ausgearbeitet sind. Und bei manchen ist es klarer, was Beethoven vielleicht damit meinte, und bei manchen steht man wirklich auch so ein bisschen vor einem Rätsel. Da habe ich schon auch einige Jahre dran gearbeitet, es immer wieder gespielt und auch immer wieder weggelegt. Ich glaube, dass sich jetzt sowas wie ein Grundkonzept bei mir entwickelt hat. Das Problem bei diesen großen Werken ist ja: Man kann nicht mit einem Konzept anfangen, man fängt damit an, dass man ein Stück spielt, und es überhaupt erst mal kennenlernt. Das braucht je nach Werk zwischen zwei und fünf Jahren, und alles was man davor macht, das ist eigentlich nur ein Herantasten. Natürlich kann man mit dem Intellekt rangehen und das Stück analysieren, aber diese Analyse zeigt mir nicht unbedingt wie dieses Werk zu mir spricht, oder wo ich unbedingt etwas anders machen muss, damit der Spannungsbogen nicht abfällt. Man muss also eigentlich das Publikum als Versuchskaninchen benutzen, sich da hinsetzen, und dieses Stück einfach so oft es geht spielen.
Solche Erfahrungen mit einem Werk können also am besten im Konzert entstehen?
Nur üben wird nicht gehen, weil das Stück auch so eine Art innerer Unwucht entwickelt, es wird irgendwie intensiver und es läuft alles auf so einen Moment im Konzert hin. Und dieses Gefühl habe ich nicht, wenn ich das Stück nur übe. Dazu braucht es diesen riesigen Bogen, der entsteht, wenn man eine knappe Stunde am Klavier sitzt und sich in das Stück vertieft. Im Ganzen fühlt es sich komplett anders an, als wenn man sich eine einzelne Variation rausnimmt. Aber es hilft nichts, ich muss trotzdem üben.
Man kann zwar technisch üben, und man kann auch an Variationen oder an Stellen, wo man das Gefühl hat, dass die Aussage noch nicht ganz klar ist, noch die eine oder andere Stellschraube drehen. Aber das große Ganze stellt sich dann im Konzert ein, und ich glaube, so mit einem zeitlichen Abstand von ein, zwei Jahren auf so etwas zurückzublicken, ist immer wahnsinnig hilfreich. Wir Musiker haben nicht die Möglichkeit, wie ein Maler in der klassischen Zeit, nach einer Woche nochmal drauf zu schauen. Wenn es keine Aufnahme gibt, dann haben wir nur ein komplett verzerrtes Bild von der Wahrnehmung, die sich im Konzert bei uns in einer ganz diffusen Art und Weise niederschlägt.
Wie oft haben sie Aufnahmen von ihren Konzerten?
Ich mache selbst ziemlich viele Aufnahmen, und ich freue mich auch immer, wenn es eine professionelle Aufnahme zum Beispiel von einem Radio gibt, und ich mir das später nochmal anhören kann.
Aber da fehlt natürlich trotzdem das Erleben während des Spielens, oder? Ich könnte mir vorstellen, dass das auch nochmal ein Unterschied ist.
Aber das brauche ich ja dann nicht. Ich bin dann wie mein eigener Zuhörer, und ich höre mir dann komplett emotionslos zu. Wenn ich in einem Prozess des Abwägens von musikalischen Entscheidungen bin, dann finde ich es gut, wenn ich so einen nüchternen Gegenpart habe, denn im Konzert bin ich das nicht. Da bin ich emotional extrem labil, extrem verletzlich. Natürlich bin ich da auch bei mir, aber ich muss mich da ja selbst ausbalancieren. Wir Pianisten haben das das große Pech, dass wir oft alleine unterwegs sind. Da kommt einfach keiner nach dem Konzert und sagt: „Du, also das war richtig schlecht was du gemacht hast.“
Bei einer Videoaufnahme der Chorfantasie von Beethoven sieht man Sie in gutem Kontakt mit dem Orchester. Weiterhin waren Sie im Sommer 2017 mit Julia Fischer und Daniel Müller-Schott auf Triotournee. Bei all der Komplexität der Musik, die Sie da spielen, wieviel Raum hat das Gemeinschaftserlebnis beim Musizieren auf der Bühne für Sie?
Oh ja, das ist toll. Das Gemeinschaftserlebnis finde ich eigentlich das Beste. Das ist einfacher, je weniger Menschen auf der Bühne sind. Aber je größer das Ensemble wird, desto schwieriger wird natürlich diese individuelle Kommunikation. Wenn man mit einem Quartett spielt, dann kann man natürlich noch diese Impulse zwischen den einzelnen Musikern spüren, aber das ist dann nicht mehr so stark. Im Duo-Spiel ist diese ganz intime und direkte Kommunikation zwischen zwei Menschen auf der Bühne möglich, sofern eben beide Menschen so einen Kontakt suchen und davon profitieren. Es gibt natürlich auch Leute, die nicht so kontaktfreudig sind, aber das ist eher die Ausnahme. Eigentlich alle Musiker, mit denen ich spiele sind so getaktet, dass sie nicht nur versenden, sondern sie hören auch sehr, sehr fein hin. Wahrscheinlich bekommt das Publikum nicht alles mit, was zwischen zwei Menschen auf der Bühne passiert. Diese musikalische Kommunikation, dass man etwas sendet und eine halbe Sekunde später kommt die Antwort, das sind wirklich Glücksmomente. Es ist ja nicht selbstverständlich, dass man solche offenen musikalischen Partner findet. Das bedeutet auch, dass man in der Kammermusik einen viel größeren Spielraum und mehr Freiheit hat, da kann ich auch mal ein anderer sein, als ich normalerweise bin.
Die eine, beste Version
Auf Ihrer neuen CD “Reflecting Beethoven” spielen Sie drei Sonaten, und drei Stücke aktueller Komponisten, die sich jeweils auf die Sonaten beziehen. Das Beethoven-Jahr ist ja schon mit Veröffentlichungen gesegnet, gerade der Sonaten. Dennoch ist Ihr Konzept eine sehr griffige Idee, und mit der Verbindung in die Gegenwart sehr passend für ein Jubiläum. Welche persönlichen Leidenschaften und Interessen brachten Sie zu dieser Idee?
Ich spiele und höre gerne neue Musik. Das ist aber auch ein Kraftakt, da man sich in jeden Komponisten komplett neu hineinfinden muss. Das sind wirklich leere Bücher, die man da aufschlägt, das ist erstmal eine große Herausforderung. Aber das ist ein kleiner Teil meines gesamten Selbstbildes. Ich hätte keine Lust da zu viel zu machen, weil ich dann das Gefühl habe, nicht mehr genug Zeit für mein übriges Repertoire zu haben. Diese Ideen habe ich jedoch nicht für das Beethoven-Jahr erfunden, diese Stücke hatte ich schon früher gespielt und immer das Gefühl, dass sich das gut mit Beethoven kombinieren lässt, und dann ging die Umsetzung auch ganz schnell. Ich hätte da auch gar nicht so ewig lang herumgetüftelt.
Und die drei Sonaten hatten sie auch so schnell gefunden?
Die drei Sonaten hatte ich ein bisschen im Hinblick darauf ausgesucht, welche modernen Werke sich da aufgetan haben, und ich wollte natürlich auch Sonaten nehmen, die ich schonmal im Konzert gespielt habe, tatsächlich habe ich mit den beiden Opus 31 schon 25 Jahre auf dem Buckel.
Ja, unter anderem wählen Sie auch die Sturmsonate. Welche Verbindung haben Sie zu genau dieser Sonate?
Das ist ein frühes Stück, das man so mit 15 lernt und irgendwie immer faszinierend findet, gerade diese Plakativität bei Beethoven. Manches ist so allgemein, fast überpersönlich, dass ich mich frage, wie ich das angemessen wiedergeben kann, weil da so viel mitschwingt.
Ich bin schon überzeugt davon, dass es die eine, beste Version gibt, suche aber dennoch immer nach anderen Alternativen, die mich genauso überzeugen würden. Mich stört es, wenn Kollegen Wiederholungen von Sonatensätzen spielen, und sich dann in der Wiederholung nicht irgendwie eine neue Perspektive aufzeigt. Ich denke, auf einer CD muss man vielleicht noch mehr Neues bringen, denn es fehlt ja dieser konkrete physische Kontakt mit jemandem auf der Bühne. Gerade wenn man nur auf die Musik konzentriert ist, das ist ja eigentlich eine wahnsinnig altmodische Art Musik aufzuzeichnen. Also ich bin gespannt wie lange es überhaupt noch Aufnahmen gibt, die sozusagen ohne die physische Präsenz auskommen. Das scheint so eine ganz antiquierte Form von Musik zu sein.
Sie meinen die Verbindung von mehreren Medien?
Ja, in Musikvideos zum Beispiel, da schwebt der Künstler als Figur allem. Ich finde, dass sich dann schon auch andere Fragen ergeben, wenn ich Musik zuhöre. Ich suche da vielleicht auch nach etwas anderem als andere Musiker. Das hat auch ein bisschen mit der Atmosphäre bei Studioaufnahmen zu tun, Ich finde, die meisten Studioaufnahmen sind Murks.
Weil dieses Element des Austauschs fehlt?
Ja, weil da dieses Element fehlt, das sich einstellt, wenn man vor Publikum spielt und diesen feinstofflichen Austausch erlebt. Ein gemeinsames Erlebnis, und dieses Unwiederholbare. Ich bin immer wieder erstaunt, wie schwierig das ist, eine ordentliche Studioaufnahme zu machen.
Aber das Unwiederholbare und eine Aufnahme widersprechen sich natürlich in gewisser Weise auch.
Ja. Aber ich habe die Kombination zumindest versucht. Ich glaube, dass mir das diesmal besser gelungen ist als auf vielen älteren Aufnahmen, die ich gemacht habe. Aber auch da müsste ich in zwei Jahren nochmal drüberhören und sagen: „Habe ich mir das alles nur eingebildet, oder ist da auch was Wahres dran?“ In ganz vielen Studioaufnahmen gibt es dieses Gefühl, das alles richtig machen zu wollen. Dieser Zwang ist nicht gut. Man ist dann selbst auch tatsächlich so, dass man denkt: „Wieso ist – wenn man dann am Schluss den Schnitt bekommt – es an der Stelle nicht zusammen?“, und dann will ich mich am liebsten schütteln, und sagen: es muss nicht zusammen sein, es ist nicht entscheidend! Aber man hört dann einfach auch anders. Eigentlich muss man sich davon komplett lösen. Aber das ist schwierig.
Ja, Sie haben ja auch den Perfektionisten angesprochen, der kommt dann auch durch, wahrscheinlich.
Es gibt viele Musiker, die mich schon in meiner Jugend sehr beeindruckt haben, wenn sie so perfekte Aufnahmen geliefert haben. Wenn ich Kollegen oder Studenten unterrichte, dann ist das für mich immer das aller, aller unwichtigsten. Ich sage immer, wer auf technische Perfektion hört, ist entweder ein schlechter Mensch oder hat keine Ahnung von Musik. Das sind die zwei Varianten, die es da gibt. Und da muss man einfach auch irgendwie eine gewisse Härte gegen sich selbst haben und sagen: „Ist mir egal“, aber da spielen wir alle so ein bisschen gegen die Dämonen an. Wenn mir Leute sagen, sie hätten bei dem Stück von Ravel diesen einen Ton nicht gespielt, dann denke ich, das ist ein Stück wie ein Ozean, da ist ein Tropfen Wasser, den du nicht gespielt hast. Das ist völlig egal.
Nochmal kurz zurück zu Beethoven: Derzeit wird gerne das Destruktive und die Kraft in Beethovens Musik herausgearbeitet. Sie betonen aber gerne auch die liebevollen Aspekte. Welche Seite gefällt Ihnen besser?
Die liebevolle Seite ist für mich wichtiger, also ich meine destruktiv im eigentlichen Sinne ist er ja nicht. Er kann einfach nur irgendwie ganz, ganz große menschliche Katastrophen aufzeigen und nachvollziehbar und erlebbar machen. Aber da ist er ein ganz großer Humanist, auch in den Werken die tragisch sind oder einen dann an den Rand des Nervenzusammenbruchs bringen können. Das Schöne ist: Jetzt bei den Diabelli-Variationen gibt es alles davon. Beißenden Sarkasmus genauso wie, auf Händen in den Himmel getragen werden. Das alles so in einem Werk parat zu haben, ist ja dann selbst bei Beethoven ganz, ganz ungewöhnlich. In den Sonaten gibt es ja dann doch irgendwo so eine Art von Balance. Es gibt keine Sonate, in der locker parliert wird, und dann drei Minuten später geht es ans Eingemachte. Bei den Diabelli-Variationen hat er sich wirklich ganz, ganz unterschiedliche menschliche Seins-Vorstellungen herausgenommen, und die einfach mit diesem Material, das er da zur Verfügung hatte, ausgeführt.
Sie beteiligen sich an Lars Vogts Organisation “Rhapsody in School”. Worum geht es da, und wie kam diese Kooperation zustande?
Naja, ich mache ein bisschen mit. Ich spiele ab und zu in den Schulen und gehe da mit hin. Es gibt aber auch mittlerweile viele Häuser, also Theaterhäuser, Orchester, die auch eine eigene Education-Abteilung haben. Und das Schöne bei diesen Education-Sachen ist ja: Man geht da rein und man weiß, das ist wie eine Wundertüte, man weiß nie was passiert. Es kann ganz blöd laufen, aber es kann auch großartig sein, und man kriegt die tollsten Fragen gestellt. Manchmal ist es auch ganz gut, wenn man da wieder ganz sanft auf den Boden geholt wird.
Gibt es da aber trotzdem einen Ansatz in der Musikvermittlung, oder spielen Sie einfach drauflos?
Das ist unterschiedlich, je nachdem, ob das jetzt schon etwas Ältere sind, mit denen man auch mehr diskutieren kann. Ich habe da sehr unterschiedliche Sachen ausprobiert. Ich habe auch mal Schönberg gespielt, vorher aber angekündigt, ich würde improvisieren. Weil es mich einfach interessiert hat was die Schüler dazu sagen, wie sie es finden. Oft ist es ja so, daß man in diesem Alter gar nicht so festgefahren ist. Dann gefällt auch eben etwas ganz anderes, und das ist sehr spannend zu beobachten.
Manche Lehrende sagen, dass in den Schulen auch neue Musik richtig gut ankommt. Welche Trends haben Sie da ausgemacht?
Ich hab auch immer wieder gerne mal was von Ligeti gespielt, denn ich finde, dass das wahnsinnig packende Musik ist, die auf eine ganz urtümliche Art und Weise Dinge sinnlich erfahrbar macht. Und ich glaube, da kann es sicherlich nicht schaden, wenn man zeigt was Musik auch noch sein kann, so frei assoziativ wie man im jungen Alter noch ist. Die Kinder hören von sich aus ja dann doch einen sehr begrenzten Teil dessen, was es insgesamt gibt, und da zu sagen, es kann auch so funktionieren, das finde ich eigentlich ganz spannend. Und wenn ich jetzt gefragt werde, ob ich auch irgendetwas aus dem Popbereich spielen kann, dann kann ich ja dieses Stück von Mike Garson endlich anbringen. Das war eine ganz große Repertoirelücke in der Education-Sparte bei mir. Ich bin froh, dass ich das gelernt habe.
Generell, welche Hauptbotschaft haben Sie, wenn Sie mit jungen Musikern oder jungen Menschen über Musik sprechen oder arbeiten? Was wollen Sie am liebsten transportieren?
Also, wenn ich jetzt mit jungen Musikern arbeite, dann glaube ich ist es am wichtigsten, diesen Sprung zu schaffen, nicht über die technische Realisation den Weg zur Musik zu finden, sondern über eine Art von Imagination. Das ist total schwierig, denn wir sind als ausführende Musiker immer auch mit uns selbst und unserer Technik beschäftigt. Wir überlegen uns, wie wir erst mal etwas auswendig lernen und dann muss man das machen und dies machen, und man ist dann in einem Kleinklein von Dingen die eigentlich mit der Musik gar nichts zu tun haben. Im Grunde genommen muss man das komplett überspringen und sich erst mal Gedanken machen: „Wie soll das überhaupt klingen? Was will mir diese Musik sagen? Was ist das Besondere daran?“ Im Grunde genommen müsste eigentlich jeder Musiker gleichzeitig auch Lehrer sein in der Hinsicht, dass man anderen Leuten zuhört und darüber sich diesen intuitiven und ganz ursprünglichen Zugang wieder freischaufelt. Beim Hören ist man einfach nicht mit den eigenen Unzulänglichkeiten des Bewegungsapparates beschäftigt, das ist eine sehr wichtige Erfahrung. Durch die Lehrsituation eine Lernsituation entwickeln. Viele machen den Fehler, dass sie denken, das Unterrichten oder das Zuhören sei Zeitverlust. Das ist es ja gar nicht, denn man bekommt so wahnsinnig viel wieder zurück.