Ein Beitrag von Ekkehard Ochs
Der Trend ist nicht neu, kann aber immer wieder überraschen: Saxophonquartette haben Konjunktur. Sie füllen die Konzertsäle und sind längst fester Bestandteil immer vielfältiger werdenden Musiklebens Und das längst jenseits von Vorstellungen, die das Instrument auch im Ensemble vorwiegend der Unterhaltungsszene, vor allem dem Jazz, zuordnen. Besucher der Festspiele MV hatten im Sommer schon Gelegenheit, in mehr als zwei Dutzend Konzerten mit dem SIGNUM saxofone quartet (in residence!) die ganze Bandbreite dieser Besetzung zu erleben. Beim Usedomer Musikfestival konnte man diesbezüglich nun den eigenen Erfahrungshorizont erweitern. Dies am 24. September in einem Konzert mit dem Kebyart Saxophonquartett, einer seit 2014 auch international sehr erfolgreich musizierenden Gruppe katalanischer Musiker aus Barcelona. Ihr Name ist Programm: „kebyar“ ist balinesisch und bedeutet etwa „plötzlich aufflackernd“, eine – wie im Programmeft zu lesen, „wunderbare Metapher für das energiegeladene und hochvirtuose Musizieren der vier Spanier.“ Was dann in der Evangelischen Kirche zu Zinnowitz auf Usedom tatsächlich und sehr überzeugend zu beweisen war!
Dies mit einem Programm, das sich ausschließlich im 20. und 21. Jahrhundert bewegte und dabei musiksprachlich recht Unterschiedliches bot. Es war auch damit bestens geeignet, die Vorzüge des Ensemblemusizierens gebührend herauszustellen.
Das Kebyart Saxophonquartett begann mit Mieczysław Weinbergs (1919-1969) Aria op. 9 (1942 im kriegsbedingt aufgesuchten Usbekistan für Streichquartett geschrieben), das in seiner harmonisch ganz traditionellen, aber so kunst- wie wirkungsvollen Machart (Arrangement Kebyart) im Programm als stilistischer Wegweiser zu jenem Werk fungierte, das als d a s Saxophonquartett schlechthin gilt, nämlich Alexander Glasunows (1865-1936) B-Dur-Werk op. 109. Zwar erst 1932 geschrieben, aber noch ganz der spätromantischen Attitüde des „russischen Brahms“ verpflichtet, hat der Komponist, sicher auch mit den Erfahrungen schon komponierter sieben Streichquartette, erstmals signifikante Merkmale des auch für solche noch sehr ungewohnte Besetzung Machbaren präsentiert. Mit weitreichenden Folgen bis auf den heutigen Tag. Für die spanischen Gäste war das natürlich ein Schmeckerchen. Nicht zuletzt im Hinblick auf ihr hier besonders wirkungsvoll präsentiertes und klanglich wunderbar ausgewogenes Spiel, die Klarheit ihrer (oft auch polyphonen) Linienführung , die Transparenz des stets sehr dichten und überaus fein gearbeiteten, manchmal durchaus akademischen vierstimmigen Satzes. Viele dynamische Feinheiten, der reizvolle Nachvollzug meisterlich verfasster Variationen (2. Satz) und inspiriertes, lebendiges Musikantentum machten das Ganze zu einem wahren Hörvergnügen!
Das galt – auf jeweils individuelle Weise – für die so ganz anderen Töne im zweiten Programmteil. Recht kurz und als Klangstudie angelegt, geriet man in Aleksandra Kacas (Polen, *1991) Stück „Abisal“ ( = „Meerestiefe“, 2021) auf eine Reise in die Tiefen des Meeres, wo es immer ruhiger, aber auch immer dunkler wird. Eine Welt wundersamer, beruhigter und bewegungsarmer Saxophonklänge, harmonisch und linear stets eng beieinanderliegend, geradezu schwebend Licht beziehungsweise Dunkel assoziierend, zurückgedrängte Farbaspekte malend und letztlich auf Reduzierung musikalischen Materials und dynamischer Bewegung setzend.
Dann ein wahrlich repräsentatives Gegenstück von einem der profiliertesten polnischen Komponisten der Gegenwart: Krzysztof Meyers (*1943) höchst lebendiges Saxophonquartett op. 65a vom Jahre 1986. Das Programmheft verrät, dass er sein 1985 geschriebenes 7. Streichquartett op. 65 (von bisher fünfzehn!) ein Jahr später, also 1968, für Saxophon bearbeitete. Dafür spräche die Bezeichnung als op. 65a. Seine persönlich im Konzert vorgetragene Einführung klang allerdings etwas anders, eher für ein von vornherein auf vier Saxophone orientiertes Komponieren. Wie dem auch sei, zu hören, besser: zu erleben war ein Werk, das, in seiner Musiksprache moderat „modern“, aber unbedingt eigengeprägt und auf eigene Weise „neu“ auf Ausdruck, auf „Mitteilung“ setzt. Meyer wahrt nicht nur hier eine gewisse Distanz zum vorwiegend auf Dominanz strukturellen Kalküls setzendes Komponieren. Er bevorzugt eine viel Musikantisches besitzende, linear ausgerichtete und stets sehr stringente musikalische Sprache. Dem Traditionalisten baut er anspruchsvolle, aber begehbare Brücken, den mit der Moderne Vertrauteren setzt er genügend Anreize zu nie ermüdender Neugier. Kurz: Er vermag zu fesseln. Er wechselt ständig die Besetzungen und damit die Klangfarben, er präsentiert nahezu pausenlos abwechslungsreiche Dialoge, mal zu zweit, mal zu dritt, selten zu viert(!), serviert spannende Monologe und kann durchgängig mit einer prägnanten, dynamisch viele Facetten bedienenden Gestik „erzählen“. Das geschieht weitgehend jenseits des Tonalen, was – wie bei der mit heftigem Beifall bedachten Aufführung erkennbar – für eine problemlose Rezeption schon deshalb von geringem Belang ist, da Meyer den Hörer mit der erwähnten „Erzählweise“ ganz schnell und geradezu (be)zwingend einfängt. Erst am Schluss, nach fulminanten, energisch mitreißenden Passagen und ihrem wiederum spannend „erzählten“ allmählichen Zerfasern und Verebben lässt er ihn wieder los. Man kann es wiederholen: Da hat ein Zeitgenosse gesprochen, und er hatte etwas zu sagen!
Schließlich eine weitere, den Abend beschließende Variante des Musizierens mit vier Saxophonen: Jörg Widmanns (*1973) 2021 für das Ensemble Kebyart geschriebene „7 Capricci“. Kein Wunder, dass sich nun dieses Musikanten-Quartett auch in der Welt „launisch“ , wollte heißen: in bester Laune hingeworfener Kurz-Eindrücke sichtlich wohlfühlte. Zumal alle Gelegenheit gegeben war, auf unterschiedlichste Weise vorzuführen, was man in diesem Genre so alles machen kann. Der Spaß, den der Komponist nach eigener Aussage dabei selbst hatte, war hier bestechend profiliert Klang geworden; „vom eröffnenden chromatisch-vierteltönigen „Ascensió“ über zwei Geräuschstücke, einen Walzer, 2 Choräle hin zur abschließenden „Zirkusparade, vom heiligen Ernst bis zur überbordenden Komik“ (Widmann). Die Freude daran – siehe oben – beruhte ganz auf Gegenseitigkeit. Ein toller Abend und beste Werbung für ein immer interessanter werdendes Genre. Für die Macher des Usedomer Musikfestivals sowieso!
Titelfoto von Geert Maciejewski