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Einfach Klassik.

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Diálogo musical in Barcelona – 125 Jahre Manuel Blancafort

Ein Gastbeitrag von Christina v. Richthofen

Zu einem „musikalischen Dialog“ hatte die Stiftung Manuel Blancafort in Barcelona eingeladen und hauchte einem in unseren Kreisen eher unbekannten, in Katalonien aber durchaus bedeutenden Komponisten damit neues Leben ein: Manuel Blancafort de Roselló. Der Dialog gelang, das Publikum war begeistert. 

Sechs junge katalanische Komponist*innen (alle in den 80er und 90er Jahren des 20. Jahrhunderts geboren) hatten sich die unvollendeten „Humoresken“ Blancaforts vorgenommen und sie als Inspirationsquelle für eigene, kurze Kompositionen genutzt. Beauftragt wurden sie von der ideengebenden Fundación Manuel Blancafort, einer familiengeleiteten Stiftung, die nach dem Tod des Komponisten ins Leben gerufen wurde und seither ganze Arbeit leistet. Xavier Calsamiglia, einer der 45 (!) Enkel Manuel Blancaforts, ist Vollblutmusikliebhaber und umtriebiger Möglichmacher musikalischer Projekte. Über 40 CDs mit Musik des Großvaters sind posthum erschienen, seine Klaviermusik geht bei Spotify durch die Decke, in den USA ist der Avantgarde-Komponist populär. Blancaforts Humoresken sind kurze Klavierfragmente, deren Vollendung aus unbekannten Gründen auf sich warten ließ. Die Stücke galten als verschollen bis zu dem Tag, an dem alle Kartons und Unterlagen des 1987 verstorbenen Maestros gesichtet und sortiert waren. Da tauchten alte Pianola-Notenrollen auf und mit Ihnen auch die von Blancafort selbst gestochenen Humoresken aus dem Jahr 1914. Anlässlich seines 125. Geburtstags entstand dann die Idee zu einer besonderen Hommage. 

Diálogo musical
Diálogo musical, Foto © Jonathan Hartmann 

Die Gesprächspartner*innen für den musikalischen Dialog waren schnell gefunden: Clàudia Baulies, Helena Cánovas Parés, Montserrat Lladó, Marc Migó, Joan Magrané und Carles Marigó – allesamt international tätige Komponist*innen mit katalanischen Wurzeln und großer Neugier für die Musik des Landmanns Blancafort. Das Stipendienprogramm  der Kulturabteilung der Stadt Barcelona machte die Erteilung von sechs Kompositionsaufträgen möglich und die Dynamik des Projekts nahm Fahrt auf. Man traf sich, man beriet sich, man komponierte und finalisierte eigene Werke für Klavier und Violine, die am Abend des 13. April 2023 im „Ateneu“ von Barcelona zur Uraufführung kamen. Interpreten waren Carles Marigó selbst am Flügel und Sara Cubarsi, die in Barcelona geborene Wahlkölnerin und Geigerin im Ensemble Musikfabrik. 

Den Anfang des Programms machte Carles Marigós Humoresca a 440Hz. Marigó nahm den Titel wörtlich und stiftete humoristisch Verwirrung. Wurde noch gestimmt, oder hatte es schon begonnen? Nach einer Weile erst wurde klar: das Stück selbst liegt im Akt des Stimmens verborgen, wie eine Werkstatt zweier Instrumente, deren Annäherung prozess- und wechselhaft ist. Mal pulsierend und mal fließend strichen die beiden umeinander herum, während die Ausführenden noch mit dem Stimmen selbst beschäftigt waren. So vertraut das Geräusch des Nachstimmens einer Geige den Konzertbesuchern war, so ungewöhnlich und belustigend war das Geräusch, das der Stimmhammers im Flügel erzeugte. Marigós Humoreske war als solche gelungen! Vertraut versöhnlich glitt das Duo danach in Blancaforts klangschöne Humoresque aus dem Jahr 1914 über. 

Montserrat Lladó gab der Musik Manuel Blancaforts in ihrer Komposition für Klavier solo eine besondere Tiefe. Fast jazzhaft kamen die Akkordfolgen daher, drängende Motive ließen den Eindruck einer besonderen emotionalen Beziehung zu Blancaforts Deuxième humoresque enstehen, die ebenfalls im Jahr 1914 geschrieben und im Anschluss an Lladós Komposition gespielt wurde. Danach Joan Magranés Duo, das ebenfalls den Namen Humoresque trägt und zwei sich Suchende zu beschreiben scheint. Zwei, die im Glissando fließen, eine Sprache sprechen, dann ins Stocken geraten und wieder zueinander finden. Blancaforts Musik – wiederum mit der neuen Komposition konfrontiert – wirkt daneben wie eine wundervolle Liebeserklärung an Chopin. Marc Migó greift in seiner Burlesca romantische Harmonien auf, lässt diese dann aber in ein virtuos impressionistisches Klavierkonzert münden und führt sie ad absurdum, indem er den Flügel zum Percussion-Instrument umfunktioniert. Eine Burleske als Reminiszenz auf die Harmonien Blancaforts. 

Diálogo musical
Diálogo musical, Foto © Jonathan Hartmann 

Helena Cánovas Parés greift zu drastischeren Mitteln und zeigt sich als experimentellste Komponistin dieses Abends. Mit einer per Hand gezogenen Saite brachte Carles Marigó eine Saite des Klaviers zum klingen, spielte zwischendurch Melodica und sorgte für überraschende Effekte. Sara Cubarsi spielte nicht nur Geige, sondern pfiff dabei auch und gab damit vor, ganz beiläufig zu sein. Nur kurz blitzt Blancaforts Musik mal durch und auch wenn s’amaga alguna cosa entre els mecanismes (dt. „zwischen den Mechanismen liegt etwas verborgen“) wirkt wie eine Parodie, erzählt das Stück dann doch eine eigene Geschichte, die zu deuten jedem Zuhörenden überlassen bleibt. In völlig andere Sphären bringt uns die Komposition von Cláudia Baulies, die nicht nur durch spieltechnisch erzeugte Klangeffekte, sondern vor allem durch fantasievolle Assoziationen besticht. Wie eine Mondwanderung, die ins Ungewisse führt, löst Baulies’ Stück  Erschaudern und Erwachen aus und schafft damit eine weitere Facette im Blancafortschen Inspirationskarussel. 

Der Diálogo musical war in der Gegenüberstellung zeitgenössischer Kompositionen mit den spätromantischen Werken des katalanischen Komponisten ein gelungenes Format, das Raum für noch mehr Neugierde nicht nur an Neuer Musik, sondern auch an Kataloniens musikalischem Sohn geöffnet hat. 

Titelfoto © Jonathan Hartmann 

Icon Autor lg
Seit meinem Auslandssemester in Santiago de Compostela in den späten 80ern zieht es mich immer wieder auf die iberische Halbinsel. Berufliche und private Verbindungen haben Spanien zu meiner zweiten Heimat gemacht. Orchestertourneen habe ich organisiert und begleitet, mit spanischen Agenturen und Veranstaltern zusammen gearbeitet und auf der Feria Internacional de Música Antigua in Murcia einen Vortrag über die Alte Musik Szene in Deutschland gehalten. Ich bin froh, dass das Kerngeschäft meiner Kölner Agentur für Kultur-Promotion Raum lässt für Exkursionen und Entdeckungen. Für den Orchestergraben berichte ich aus Barcelona über Festivals und Konzerte in der Region.
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