Eigentlich ist das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker das Klassik-Event schlechthin. Die ganze Welt blickt zum 1. Jänner eines jeden Jahres nach Wien oder besser gesagt, in den Goldenen Saal des Musikvereins. Traditionell wird hier seit 1939 das neue Jahr mit Walzern und Polkas eingeläutet. Aber heuer war alles anders als sonst. Die seit knapp einem Jahr grassierende Corona-Pandemie hat dafür gesorgt, dass die Wiener gezwungen waren, ohne Publikum vor leeren Rängen zu spielen. Eine eigentlich undenkbare Vorstellung. Aber außergewöhnliche Umstände erfordern außergewöhnliche Maßnahmen. So entstand die Idee, den Applaus von 7000 vorangemeldeten Gästen aus aller Welt virtuell über Computer, Smartphones oder Tablets in den Saal einzuspielen. Rund 50 Millionen Musikbegeisterte aus 90 Ländern waren wieder live dabei, einige davon konnten die TV-Zuschauer auf ihren Geräten auch sehen. Den Philharmonikern war das jedoch technisch nicht möglich.
Neujahrskonzert 2021
Für Riccardo Muti war es bereits das 6. Gastspiel in diesem ehrwürdigen Haus. 1993 gab der 79jährige Dirigent sein Neujahrskonzert-Debüt. Seine Verbeugung vor dem leeren Saal des Musikvereins wirkte befremdlich, fast schon geisterhaft. Der Maestro zeigte sich davon aber eher unbeeindruckt. Offensichtlich gut gelaunt führte er die Philharmoniker durch das Programm, bestehend aus altvertrauten Melodien der Strauß-Familie aber auch Premieren wie zum Beispiel Carl Zellers „Grubenlichter“ oder Carl Millöckers „Bad ́ner Mad ́ln“.
Gegen Ende des Konzerts und vor den üblichen Zugaben, dem „Radetzky-Marsch“ und „An der schönen blauen Donau“ (wird übrigens häufig mit dem Kaiserwalzer verwechselt) hielt Riccardo Muti eine Ansprache, die aber eher wie ein Appell an Regierungs- und Staatschefs auf der ganzen Welt klang, denn er zeigte sich besorgt um den Zustand der Kultur insgesamt. „Gesundheit ist das Wichtigste in diesen Zeiten, aber auch die Gesundheit des Geistes. Musik hilft. Betrachten Sie Kultur immer als eines der Hauptelemente, damit wir in Zukunft eine bessere Gesellschaft haben. Wir senden eine Botschaft des Friedens und der Hoffnung.“ Seine Worte klangen fast schon beschwörend, denn in der Tat hat die Corona-Pandemie den Kultur-Schaffenden weltweit arg zugesetzt. Viele stehen existenziell vor dem Abgrund und fühlen sich bei der großzügigen Verteilung von Geldern im Stich gelassen. Gerade im Bereich der klassischen Musik, wo aufgrund der lockdowns Engagements ersatzlos wegfallen, Bühnentechniker und andere in diesem Bereich tätige Berufsgruppen arbeitslos werden, ist Unterstützung dringend notwendig.
Die Aufnahme
In diesen Tagen ist aktuell ein Mitschnitt des Neujahrskonzerts 2021 auf einer Doppel-CD erschienen. Alle Verantwortlichen haben wie gewohnt mit Hochdruck daran gearbeitet, das Mega- Event möglichst schnell in den Handel zu bringen. Wir konnten den Silberling bereits testen und sind vom ersten Höreindruck begeistert. Aufgrund des fehlenden Applauses erscheint die Aufnahme eher wie eine saubere Studioproduktion. Die Sony sorgt für eine ordentliche Klangfülle. Die Polkas haben den nötigen „Schmiss“ und die Walzer laden auf Anhieb zum Tanzen ein, so dass auch ohne Publikum genug Atmosphäre aufkommt. Selbst der Radetzky-Marsch, üblicherweise von den anwesenden Gästen begeistert mitgeklatscht, kann sich auch ohne diese tatkräftige Unterstützung durchaus hören lassen.
Das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker 2022 wird übrigens Daniel Barenboim (siehe u.a. unser review der Beethoven-Klaviersonaten) dirigieren. Dies hat das Orchester bereits bekanntgegeben. Für ihn wäre es somit sein drittes Engagement nach 2009 und 2014. Bleibt zu hoffen, dass sich bis dahin die Umstände wieder normalisiert haben.
Zum Thema Neujahrskonzerte lesen Sie auch den Artikel „Goldener Saal, Strauß und Walzer“ unserer Autorin Isabella Steppan.
Die Tracks
Ein Kommentar
ich fand es anfangs auch ein wenig skurril aber das programm war so gut und die musiker so gut drauf das es dann doch richtig spass gemacht hat zuzusehen und daheim applaus zu spenden!