Ein Interview mit Heike Matthiesen
Die klassische Gitarristin Heike Matthiesen ist eine feste Größe in unserer Konzertlandschaft. Durch die geschickte Kombination aus Programmauswahl und eigenem, eindrücklichen Spielstil bringt sie mit ihrer unermüdlichen Tourtätigkeit die Freude an klassischer und anderer Gitarrenmusik zu den Menschen. Auf zahlreichen Tonträgern tut sie dies auch abseits der Konzertsituation. Dem nicht genug, mit ihrer viele Jahre bestehenden beruflichen Selbständigkeit als Musikerin setzt sie ein wichtiges Beispiel dafür, wie sie engagiert und fröhlich von einem künstlerischen Beruf, von der reinen Konzerttätigkeit leben kann, und ist so vielen jungen Menschen, die in ihren Ausbildungsjahren mit Zweifeln über die Wirtschaftlichkeit eines künstlerischen Berufes konfrontiert werden, ein entwaffnendes Vorbild.
Nun habe ich das Glück, von ihr ein Interview zu bekommen, und habe sie mit meinen schonungslosen Fragen konfrontiert.
Heike, machst du dieses Jahr Urlaub, oder ist das bei deinem Job nicht so einfach?
Ich bin ein ganz schlechter Urlauber… durch meinen Beruf bin ich ja viel unterwegs, da ist es für mich der schönste Urlaub, einfach ohne Wecker zuhause zu sein, gut zu essen, regelmäßig Sport zu machen und Freunde und Familie zu treffen. Außerdem ist Gitarre ein Hochleistungssport, da entspanne ich ohne Gitarre nur mühsam, weil ich weiß, wieviele Tage Arbeit ich brauche, um nach einer größeren Pause wieder voll in Kondition zu kommen. Also doch besser ein leichtes Training im „Urlaub zu Hause“.
Du machst dein Booking ja selbst. Das ist bestimmt viel Arbeit mit Akquise und Konzertabwicklung. Hattest du schonmal den Wunsch dafür ein Management zu haben?
Es wäre ein Traum! Andererseits lieben immer mehr Veranstalter den direkten Kontakt mit Künstlern, da geht vieles einfach schneller. Aber richtig gute Managements arbeiten auch erst ab einer gewissen Gagenklasse, branchenüblich sind 15% bei Abschluss, da ist Gitarre im Verhältnis zu den Gagen bei Sängern, Geigern oder Pianisten halt einfach nicht interessant.
Hinzu kommt ja noch die ganze Übezeit, das Plingplong, wie du es immer nennst. Um das alles zu bewerkstelligen brauchst du sicherlich disziplinierte Tagesroutinen. Probierst du da verschiedene Lösungen aus, oder hast du mittlerweile feste Abläufe die gleich bleiben?
Ich spiele seit bestimmt 20 Jahren jeden Tag die gleiche Technikroutine, etwa 45 Minuten. Es ist wie bei Taichi , die scheinbare „Langeweile“ ermöglicht Arbeit am Unterbewußtsein inclusive der immer perfekter ausgeführten Bewegungsabläufe. Es ist wie Meditation und für mich auch ein riesiger Faktor fürs psychische Gleichgewicht. Es gibt den wunderbaren Satz von David Russell, man solle jeden Tag am Instrument so beginnen, als ob man seine allererste Unterrichtsstunde habe, nur daß man dieses Mal alles richtig macht!
Danach übe ich immer auch in Portionen von so etwa 45 Minuten, eine Konzentrationsphase, die man von Schule, Fernsehserien, Fussballhalbzeiten etc verinnerlicht hat. Zuerst einmal durch das Programm vom nächsten Konzert. Dann Details. Dann neue Stücke. Und in den Pausen gucke ich dann mal ins Internet, deswegen die scheinbare ganztägige Präsenz!
Und hast du da Erfahrungswerte wieviele Anteile deiner Zeit du verteilst auf Üben, Büro und andere Lebensbereiche?
Netto minimum 4 Stunden Üben, dann meist 2 Stunden Büro, im Idealfall noch 1 Stunde Sport. Das alles praktisch jeden Tag. Mit Pausen ist das ein Fulltimejob- oder Hochleistungssport!
Du spielst viel in Kirchen und Kulturzentren, in ganz Deutschland und im Ausland. Gibt es bevorzugte Aufrittsorte wo es am meisten Spaß macht? Und gibt es auch wirtschaftliche Favoriten?
Historische Gemäuer haben eine ganz eigene Aura und oft sensationelle Akustik, da habe ich eine sehr kindliche Schwäche für schöne Schlösser und Burgen! Aber es gibt auch moderne Bauten mit grandioser Akustik, ich möchte eigentlich immer unverstärkt spielen können- mit Nuancen und der Möglichkeit, auch mal ein Pianissimo zu wagen.
Und ich freue mich natürlich, wenn mich Veranstalter immer wieder buchen, das ist langfristig oft auch finanziell interessanter als die einmalige Topgage. Die Konzertlandschaft ist aber in ständigem Wandel, die zweite Frage würde ich wohl jedes Jahr anders beantworten!
Meistens bist du ja als Solo-Künstlerin unterwegs. Spielst du auch in anderen Konstellationen? Welche Konzerte würdest du gern mal spielen?
Ich liebe es, „alleine“ zu spielen, also die Musik, meine Gitarre, das Publikum und ich , das ist komplette künstlerische Freiheit. Und es ist jedesmal etwas Besonderes, mit Orchestern z.B. das Aranjuez zu spielen.
Und ein paar Träume gibt es: Carnegie Hall, Wiener Musikverein, Elphie…. Ich möchte die Gitarre in die kleinen Säle der großen Konzerthäuser bringen!
Bist du zufrieden mit der Mischung aus Solo- und Ensembleauftritten?
Ich habe ja schon unendlich viel Kammermusik gespielt und auch meine ganzen ersten Profiauftritte innerhalb des Orchesters ( Oper Frankfurt) gehabt, ich liebe Kammermusik, aber es ist immer viel Aufwand, Proben, extra Stücke lernen. Da muss man schon alleine nicht nur vom Musikverständnis, sondern auch von der Wunschprobenplanung her gut zusammenpassen. Ich höre gerne hin und lege nicht gerne in tausenden Einzeichnungen in Noten Dinge fest. Also probe ich nicht gerne an Details herum. Wenn ich aber an einen Detailfreak gerate, ist ,egal wie gut das Konzert dann auch wird, die Probenarbeit einfach strapaziös. Davon kriegt das Publikum dann aber nie was mit… Da ist das Leben als Solistin deutlich einfacher, im Moment reduziere ich meine Kammermusik daher auch immer weiter, man kann mich damit zwar buchen, aber ich biete es nicht mehr aktiv an.
Du bietest fünf Hauptprogramme an und einiges darüber hinaus. Wo fühlst du dich vom Herz her am meisten zu Hause, und was ist Dir inhaltlich am wichtigsten?
Da ist tatsächlich jedes Programm ein Herzensding: Ich spiele Gitarre, weil ich mich in spanische Musik verliebt habe. Konsequenz: Mein Alhambraprogramm. Mein Familienhintergrund ist Oper und Klavier, da kommt mein Mozartprogramm her. Und es gab Kulturaustausch mit Skandinavien in meiner Familie, da ist mein neues Programm her. Mein Orfeus-Programm kriege ich aber fast nicht verkauft, es steht nur noch drin, weil ich es so toll finde… Und die Musik von Frauen, das ist inzwischen ein riesiges Thema, es gibt so unglaublich viel phantastische Musik, die einfach nicht bekannt ist, da bin ich offensichtlich gerade am richtigen Ort zur richtigen Zeit!
Du bist im Vorstand von „Archiv Frau und Musik“. Worum geht es da?
Wir sind die weltgrößte Sammlung zu Komponistinnen und Dirigentinnen, wir sind Präsenzbibliothek und Informationsstelle für Musiker, Veranstalter, Presse, Schulklassen und Studierende, es schlummern unendlich viele zukünftige Doktorarbeiten in unseren Regalen. Wir archivieren, Noten, Aufnahmen, Poster, Programmhefte, Briefwechsel und ganze Vor-und Nachlässe von Komponistinnen. Ich nenne uns immer „Das Gedächtnis der Komponistinnen“.
Wie kann man euch unterstützen?
Abgesehen von direkten Spenden auch gerne beim Onlineshoppen ( ohne Account und Anmeldung), einfach jeden Einkauf hier beginnen, dann spenden uns die Geschäfte, bei denen Sie einkaufen: https://www.wecanhelp.de/archivfraumusik
Und ganz praktisch: Wenn Sie auf Ihrem Dachboden über Noten von Komponistinnen stolpern, schicken Sie sie uns, erzählen Sie Komponistinnen von uns, fragen Sie beim Ihrem Lieblingsveranstalter nach, ob er nicht mehr Musik von Frauen ins Programm nehmen mag… und kaufen Sie Konzertkarten vielleicht nicht für den soundsovielten Zyklus altbekannter Meisterwerke, sondern gehen Sie auch in Konzerte, wo Sie Musik und KomponistIn noch nicht auswendig kennen!
Du setzt ein tolles Beispiel dadurch, wie du als Solomusikerin von dieser Tätigkeit leben kannst. Welchen Tip hast du für junge MusikerInnen die auch diesen Traum haben?
Man muss vollkommen bescheuert sein: Unsicherheit aushalten können, gesundheitlich und psychisch extrem stabil sein, Disziplin lieben, die Konsequenzen fürs private Leben tragen können und das persönliche Umfeld haben, das voll hinter einem steht, dann ist es der schönste Weg zu leben, den man wählen kann.
Heike, vielen Dank für das Interview!
—————————-
Für weitere Informationen und den Erwerb von Tonträgern:
Archiv Frau und Musik:
Titelfoto: Heike Matthiesen, Foto: Peter Engeland