Einfach Klassik.

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Die Schönheit der Vielfalt – Suzana Bartal im Interview

Ich mag diesen Moment, wenn sich fast durch Zufall ein ganzer Wissensraum öffnet. Bei der Recherche von Aufnahmen mit Musik von Reena Esmail, bin ich auf die ungarisch-französische Pianistin Suzana Bartal gestossen, und habe eine Künstlerin kennengelernt, die mitten in einer beeindruckenden Kariere steht. Nach Ausbildung an der Yale School of Music steht bereits internationale Konzerttätigkeit mit vielen Orchestern, Ensembles und Dirigenten zu buche.

Auf meine kurze Anfrage bekam ich prompt eine freundliche Zusage, und hier ist nun Suzana Bartal im Interview.


Suzana, Sie geben Ihre Nationalität als ungarisch-französisch an, wurden in Rumänien geboren und haben die ersten Jahre dort verbracht, sie haben in den USA studiert, und sprechen unter anderem sehr gut Deutsch. Gibt es innerhalb dieser beeindruckenden Vielfalt eine Kultur und Musiktradition die für Sie heraussticht, und der Sie sich besonders verbunden fühlen?

In der Tat ist das eine sehr interessante Frage. Ich würde sagen, dass ich mich zuerst international fühle, und dort zu Hause bin, wo ich persönlich und beruflich zufrieden sein kann. Das ist ein sehr positives Gefühl für eine Musikerin, die oft reisen muss und die sich den verschiedensten Situationen anpassen soll. Sechs Sprachen zu kennen hilft allerdings auch dabei.

Andererseits, wenn ich an Musiktraditionen und Multikulturalität denke, bin ich besonders mit Béla Bartóks Welt verbunden. Nicht nur weil er von ungarischer Herkunft war (und dazu 60 km von meiner Geburtsstadt Temeschwar geboren wurde), aber auch weil er in seiner Musik ungarische, rumänische, slowakische, bulgarische und andere Einflüsse vereint hat. In der Musik gibt es keine Grenzen, nur die Schönheit der Vielfalt.

Neben einer weiten Auswahl an Werken in der Klassik wenden Sie sich vor allem sehr gern der Neuen Musik zu, und haben schon bedeutende Uraufführungen gespielt. Ältere Werke sind einfacher zu erarbeiten und beim Publikum populärer. Was reizt Sie dennoch an Neuer Musik?

Für mich gibt es nur einen Grund um ein Stück zu lernen und zu spielen, und zwar den, darin einen zweifellosen, musikalischen Wert zu finden. Von diesem Standpunkt aus sind Werke der Klassik oder der Neuen Musik bei mir auf demselben künstlerischen Sockel. Mozart oder Beethoven schrieben in Ihrer Zeit auch «zeitgenössische Musik».

Ich spiele sehr gerne neue und alte Musik im selben Programm, und finde, dass das Publikum eigentlich viel neugieriger ist als sich einige Veranstalter vorstellen. Es lässt sich mit neuen Werken überraschen, und freut sich etwas entdeckt zu haben.

Als Interpretin finde ich es allerdings wunderbar auch mit den Komponist*innen proben zu können, und Ihre Meinung zu hören. Ein Privileg, das wir leider im Falle des klassischen Repertoires nicht mehr geniessen können.

Die Zahl an hervorragenden Pianist*innen ist groß. Andererseits hat auch nicht Jede die Ausbildung die Sie genossen haben. Ist ihr breites Repertoire dennoch eine Maßnahme für möglichst viele Projekte relevant zu sein, oder steuern Sie das nach persönlichen Präferenzen?

Es gibt heute tatsächlich viele sehr begabte Pianisten*innen und das allgemeine technische Niveau ist auch höher geworden. Ich glaube aber, dass man für eine «Karriere» leider nicht nur eine hervorragende musikalische Ausbildung braucht. Ein Solist der das ganze Jahr über Konzerte spielt und davon lebt muss neben einem ausgezeichneten musikalischen Niveau auch über solide Stresskontrolle, Anpassungsfähigkeit bei Reisen und in der Zusammenarbeit mit den anderen (ob Musiker-Kollegen oder Veranstaltern) verfügen. Es ist ein Ganzes das zusammenkommen muss, und nicht alle halten diesen Druck aus.

In meiner persönlichen Laufbahn strebte ich immer ein Künsterprofil mit vielfältigen Projekten an: Solorezitale, Klavierkonzerte mit Orchester, Kammermusik und Aufführungen von Neuer Musik. Ich finde ein breites Repertoire sehr spannend und ich mag auch die Abwechselung zwischen der Einsamkeit der Pianistin und der Kollaboration mit anderen inspirierenden Künstler*innen.


Die Kammermusik ist ein weiteres Feld, das sie gerne beackern. Der attraktive Karriereweg ist ja eigentlich die Tätigkeit als Solistin, sie bringt mehr Aufmerksamkeit. Was bedeutet es für Ihre Karriere, sich kammermusikalisch zu betätigen und zu engagieren?

Als ich vor einigen Jahren mein musikalisches Studium beendet habe, war ein Kapitel des Lernens für mich abgeschlossen. Aber eine wunderbare Seite meines Berufes ist, dass wir bis zum Ende unseres Lebens immer weiterlernen. Einerseits aus eigener Konzerterfahrung, aber sehr oft durch musikalische Ideewechsel mit wunderbaren Musikpartner*innen. Ich habe das Privileg mit vielen hervorragenden Künstler*innen zusammenspielen zu können. Das Zusammentreffen unserer Persönlichkeiten ist eine konstante Inspiration für mich, auch in meiner Solo-Tätigkeit. Ich finde es ausserdem zauberhaft im Falle eines Werkes, das ich mehrmals mit unterschiedlichen Partnern gespielt habe, jedesmal eine neue, einzigartige Version vorzutragen. Zur selben Zeit ist es für mich ein gutes Gefühl auch einige wiederkehrende Kammermusikpartner*innen zu haben.

Sie haben bereits mit einer äusserst beeindruckenden Liste an Dirigent*innen, Musiker*innen, Ensembles und Orchestern gearbeitet, und Sie haben trotzdem noch so viel vor sich. Wonach bestimmen Sie Ihren Weg in der Zusammenarbeit? Suchen Sie nach Charakteren und Lebensläufen, entscheiden Sie nach Projektmöglichkeiten oder folgen Sie rein musikalischen Vorzügen?

Es hängt davon ab. Ich habe eine offene und neugierige Natur, und denke deshalb über sehr verschiedene Vorschläge nach. Die erste Überlegung die bei mir ankommt bleibt das künstlerische und musikalische Interesse hinter einer Idee. Natürlich möchte ich auch manchmal besonders spezifische Stücke oder Programme verteidigen. Und es kann auch sein dass ich für ein bestimmtes Projekt auch an bestimmte Partner*innen denke.

Als Künstlerin bin ich mir bewusst, dass ich auf einer Bühne spiele, und deshalb ist es wichtig zu entscheiden welche Darstellung man von sich geben möchte. In einer Epoche, in der das Visuelle eine grosse Rolle spielt, hoffe ich jedoch auch einen musikalischen Idealismus zu vertreten, der sich auch in meiner Wahl des Repertoires und musikalischen Partner*innenn wiederspiegelt.

Besonders der Kulturbereich ist dieses Jahr in einer äusserst schwierigen und komplizierten Lage. Gibt es bei Ihnen Konzertprojekte, die nur verschoben sind und die nachgeholt werden?

Wahrscheinlich kommt es zum ersten Mal dazu dass die Kultur und die Musik verstummen müssen. Die Gesundheit ist natürlich am wichtigsten, keine Frage. Niemand hat aber bis jetzt behaupten können dass Leute in Mengen in Konzertsälen angesteckt wurden. Es ist eine Zeit, in der ich besonders dankbar für meine optimistische Natur bin, die mir die Kraft und Hoffnung für bessere Zeiten gibt. Ich habe in diesem Jahr zirka 45 Konzerte verloren, die meisten ohne eine finanzielle Vergütung. Zum Glück sind einige verschoben, auch wenn man zur Zeit nicht immer ein neues Datum bestimmen kann. Wir wissen im Moment auch nicht wie es in 2021 aussehen wird. Man muss in der Zwischenzeit irgendwie durchhalten. Es gibt Tage an denen man sich fragt, wie unser Beruf, der ansonsten von so vielen Leuten bewundert wird für ihre wohltuende und soziale Rolle, momentan als so «unwichtig» behandelt werden kann.

Suzana Bartal im Interview, Bild am Klavier
Suzana Bartal, Foto von Vincent Mentzel


Gibt es bereits angedachte oder geplante Kooperationen mit weiteren Künstler*innen, die Sie besonders interessieren?

Für die Zukunft wünsche ich mir erstens, wie alle Künstlerinnen, dass wir so bald wie möglich wieder auftreten können! In meinen nächsten Projekten freue ich mich besonders mein Repertoire noch mehr zu erweitern, mit einer Kollaboration mit dem Filmkomponisten und Oskar-Gewinner Gabriel Yared. Ich werde seine «Tarentelle» als Solistin mit dem Orchestre Philharmonique de Radio France spielen.

2021 ist das 100. Todesjahr von Camille Saint-Saëns. Zu diesem Anlass werde ich mehrere seiner Werke spielen, Solo, Kammermusik, aber auch das 2. Klavierkonzert in Finland mit dem Jyväskylä Sinfonia.

Ich bin sehr froh auch wieder im wunderbaren grossen Saal der Philharmonie Paris zu spielen, dieses Mal das 4. Klavierkonzert von Beethoven.

Und natürlich wird auch die Kammermusik, wie jedes Jahr, einen wichtigen Platz haben, mit Partnern wie Andrey Baranov, Benedict Klöckner oder das Quatuor Diotima.

2016 wurde Ihr Debütalbum mit Werken von Robert Schumann veröffentlicht, dieses Jahr folgte Liszts “Années de pèlerinage”-Zyklus, und Reena Esmails “Breathe”. Welche Werke würden Sie gerne als nächstes aufnehmen? Oder gibt es schon konkrete Pläne?

Zur Zeit arbeite ich an zwei Projekten für meine nächsten Aufnahmen. Einerseits eine CD mit Repertoire aus der romantischen Periode und andererseits für 2022 ein Album mit den Werken des zeitgenössischen französischen Komponisten Eric Tanguy.

Nach Ihrer Zeit als Studierende und Ihrem Abschluss an der Yale School of Music haben Sie dort als Doktorandin unterrichtet. In welcher Weise hat die Arbeit mit nachfolgenden Musiker*innen dort Ihr eigenes Spiel beeinflusst?

Meine Zeit an der Yale School of Music bleibt mit Sicherheit eine sehr aufregende Periode meines Lebens. Es war eine Ehre, die Möglichkeit zu haben in dieser hochkarätigen Universität unterrichten zu können. Die Studierenden waren ausserordentlich intelligent, in vielen Richtungen begabt und äusserst motiviert.

Es macht mir auch viel Spass bei Klavierwettberben Jury-Mitglied zu sein oder junge Musiker*innen anzuhören, und Ihnen Ratschläge zu geben. Ich hoffe in den nächsten Jahren mehr und mehr auch für die Nachwuchs Generationen tun zu können.

Was ich besonders an dieser Rolle liebe ist, dass man den Weg einer jungen Musikerin deutlich beeinflussen kann. Vieles ist möglich und spannende Entscheidungen müssen getroffen werden. Ich möchte auch in meinem Spiel immer diese Frische behalten und nie in eine langweilige Routine oder künstlerische Trockenheit fallen.


Sie sagten einmal, dass Sie ein Stück zunächst komplett auswendig lernen, bevor Sie sich überhaupt mit Interpretation beschäftigen. Junge oder beginnende Pianist*innen müssen sich immer recht lange durch die Technik arbeiten, bis sie zum “musizieren” kommen. Welche Tips haben Sie für diese Situation?

Seit ich sehr jung war bin ich immer derselben Methode beim Lernen eines Stückes gefolgt, und zwar allererst beide Hände separat und dann zusammen auswendig zu lernen. (Ich war eigentlich überrascht als ich später von der grossen französischen Pädagogin Nadia Boulanger in einer Dokumentation denselben Ratschlag gehört habe). Ein Werk auswendig zu kennen heisst natürlich noch überhaupt nicht, dass man wirklich «musiziert». Es ist nur das Gerüst auf dem man aufbauen kann. Meiner Meinung nach ist es aber ein erster Schritt, um später freier spielen zu können. Nach dieser ersten Etappe arbeite ich an vielen Details und natürlich am Klang. Eigentlich, als Übung, auch viel ohne Pedal (ähnlich wie für Streicher wenn sie ohne vibrato üben). Dann wieder mit Pedal und, Schritt für Schritt, erarbeite ich auch meine musikalische Konzeption. Die technischen Einzelheiten müssen natürlich sehr sorgfältig geübt werden, aber nur damit man sie im Konzert eigentlich vergessen, und sich frei ausdrücken kann.

Sind Sie bei ihrer eigenen Arbeit an Stücken und Werken bereits bei festen Methoden angekommen, oder haben Sie Entwicklungspläne für die Zukunft?

Um sich ein Leben lang als Künstlerin entwickeln zu können, muss man sich neben der regelmässigen Arbeit auch selbst besonders gut kennenlernen. Ich gab mein erstes Solo-Rezital mit 12, und trat mit 13 zum ersten Mal mit Orchester auf. Nach so einer grossen Anzahl von Konzerten kann ich viele Entscheidungen bewusst treffen: zum Beispiel wieviel Zeit ich brauche um mich vorzubereiten, je nach Projekt; welche physische und psychische Form empfohlen ist um optimal spielen zu können, oder wie mein «Ritual» am Tag eines Konzertes aussieht.

Es bleibt aber ein faszinierender Weg, und ich bin voller Erwartung für die Zukunft, wenn ich mich weiterhin entfalten und mit neuen Projekten bereichern kann.

Suzana, vielen Dank für Ihre Antworten!
Icon Autor lg
Stefan Pillhofer ist gelernter Toningenieur und hat viel Zeit seines Lebens in Tonstudios verbracht. Er hat viel Hörerfahrung mit klassischer und Neuer Musik gesammelt und liebt es genau hinzuhören. In den letzten Jahren hat sich die Neue und zeitgenössische Musik zu einem seiner Schwerpunkte entwickelt und er ist stets auf der Suche nach neuen Komponist*innen und Werken. Stefan betreibt das Online-Magazin Orchestergraben, in dem er in gemischten Themen über klassische Musik schreibt. Darüberhinaus ist er auch als Konzertrezensent für Bachtrack tätig.
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