Perelada, im August 2024. Die „Tramontane“, ein starker Wind über den Pyrenäen, weht frische Luft ins Dorf und im Mirador, dem modernen Konzertsaal auf dem Gelände des Castillo de Perelada, laufen die Proben für die Premiere der Oper „Don Juan no existe“ von Helena Cánovas Parés. Die Katalanin mit Wohnsitzen in Köln und Barcelona ist Gewinnerin des Carmen Mateu Young Artists European Award Opera & Dance. Die Auszeichnung wurde ihr 2021 vom Festival de Perelada verliehen.
Dem vorausgegangen war nicht nur ihr guter Ruf als junge Komponistin, sondern auch die Einreichung eigener Stücke aus dem Bereich Oper sowie ein Essay über ihre Haltung zum Thema Oper heute. Der mit 30.000 Euro dotierte Preis beinhaltet das Entwickeln eines Konzepts und die Komposition einer Oper. Dabei kooperiert das Festival in Perelada, Ort der Uraufführung am 8. August 2024, mit dem Gran Teatre del Liceu in Barcelona, dem Teatro Real und den Teatros del Canal in Madrid sowie mit dem Teatro de la Maestranza in Sevilla. Nach der Uraufführung sind überall dort weitere Produktionen für das Jahr 2025 geplant – in Madrid sind es allein fünf Abende.
Bei der Wahl des Themas hatte Helena Cánovas völlig freie Hand. Doch das Besondere daran: Alle Kooperationspartner müssen dem Konzept zustimmen, was eine lange Vorbereitungsphase vor dem eigentlich Kompositionsprozess mit sich bringt.
Enstanden ist nun die Oper „Don Juan no existe. Sobre lo que olvidamos y lo que permanece“. Darüber spreche ich mit Helena im Interview am 3. August 2024 in einem Café in Figueras.
Helena Cánovas Parés, was ist die Geschichte von „Don Juan no existe“?
Die Geschichte beginnt im Jahr 1923. Im ersten Akt lernen wir eine Frau kennen, die eine Aufführung von Mozarts „Don Giovanni“ besucht und sich mit der Story des Werks schwer tut. Diese Frau ist Carmen Díaz de Mendoza Aguado, die Gräfin von San Luis. Sie spricht mit Agustín, ihrem Begleiter, über eine Bühne, die man nicht sieht und äußert ihren Unmut über den Inhalt der Oper. Sie entschließt sich, selbst ein Stück zu schreiben mit dem Titel „Don Juan no existe“. Während des Schaffensprozesses erscheint ihr Don Juan als phantomhaftes Wesen und verunsichert sie. Dennoch schreibt sie ihr Stück zu Ende, doch die Aufführung im Jahr 1924 wird ein Misserfolg. Im zweiten Akt schlüpft die Sängerin, die zunächst Carmen war, in die Rolle einer Komponistin von heute, die das Stück von Carmen aufgreift und in eine neue Form bringt. Auch hier erscheint der Geist von Don Juan wieder – als Antagonist – und wirft den Gedanken auf, dass das vergessene Werk von Carmen vielleicht tatsächlich nichts wert war und der Gedanke einer Renaissance von „Don Juan no existe“ auf einen Irrweg führt. Meine Oper endet mit einer Hommage an die vielen vergessenen und verlorenen Kunstwerke von Frauen aus der Zeit der Gräfin von San Luis und mit der Frage: Wo sind all diese ‚Condesas‘, warum haben wir so wenig Neugier, die Namen dieser Frauen zu finden, die die Geschichte unter Staub begraben hat?
Eine feministische Oper? Spielt das Thema Feminismus in Spanien gerade eine besondere Rolle?
Vielleicht sind wir in Spanien mit einigen Themen nicht ganz so weit wie andere europäische Länder. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass der Kontext der langen Diktatur bis 1975 und der Einfluss der Kirche hier eine große Rolle spielen. Erst 2017 wurde in Madrid nach einem schweren Vergewaltigungsfall, der damals das ganze Land beschäftigte, das Ministerio de la Igualdad (Ministerium für Gleichstellung) gegründet. Seither besteht ein großes Bewusstsein für Themen, die sich mit Frauen in der Gesellschaft befassen. Ich hatte vor meiner Recherche zur Oper noch nie von Carmen Díaz de Mendoza Aguado gehört – sie war von Staub bedeckt, den ich erst einmal wegwischen musste.
Dennoch ist der Librettist deiner Oper ein männlicher Autor. Wie passt das für dich zusammen?
Das ist eine spannende Frage und eigentlich eine tolle Geschichte. Unsere Regisseurin, Bárbara Lluch, hatte mir verschiedene Autorinnen vorgeschlagen und ich habe in unendlich vielen Zoom-Meetings versucht, die passende Partnerin für mein Stück zu finden, denn mit der Idee einer Autorin war auch ich am Anfang natürlich einverstanden. Doch dann habe ich Alberto Iglesias kennengelernt und seine Begeisterung für das Thema und seine Herangehensweise an den Stoff haben mich total fasziniert. Alberto schien völlig verliebt in diese Geschichte. Und dann dachte ich: Es ist eigentlich sehr schade, wenn an Stellen, an denen Kunst von Frauen präsentiert wird, rein weibliche Teams eingesetzt werden. Das wirkt dann so, als hätten Männer an diesen Themen kein Interesse. Und dann habe ich sehr schnell gemerkt, dass Alberto mir Perspektiven aufzeigt, die ich selbst nicht hatte, dass er Fragen stellt, die ich selbst nicht gestellt hatte. Wir haben gemeinsam am Libretto gearbeitet, gestritten und diskutiert, und es war großartig. Ich denke, dieses Zusammenspiel hat dem Entstehungsprozess der Oper sehr gut getan.
Wie hast du die Geschichte musikalisch umgesetzt?
Zunächst muss man sagen, dass es eine Vorgabe für die Besetzung gab: Drei Sänger:innen und sechs Instrumentalist:innen. Das ist nicht viel und macht das Komponieren von 70 Minuten Musik zu einer echten Herausforderung. Deshalb habe ich als ‚Basis‘ für einen einheitlichen Klang ein eingespieltes Ensemble gesucht und mit dem Cosmos Quartett einen kongenialen Partner gefunden. Dazu erschien mir Percussion eine spannende Möglichkeit, verschiedenste Klangfarben in die Oper zu bringen und mit Miquel Vich habe ich schon oft zusammen gearbeitet und wusste, dass er der Richtige ist. Dazu Saxofon, weil das mein Lieblings-Blasinstrument ist und obwohl es natürlich klanglich ein wenig rausfällt, finde ich die Flexibilität in den Farben sehr schön und Helena Otero ist einfach großartig auf ihrem Instrument. Die drei Gesangssolisten hatte das Opernhaus in Madrid ausgesucht und wir haben mit Natalia Labourdette (Sopran), David Oller (Bariton) und Pablo García Lopez (Tenor) eine wirklich hochkarätige und tolle Besetzung. Wie übrigens mit der Dirigentin Jhoanna Sierralta auch.
Musikalisch habe im ersten Akt eine klassischere Motivik verwendet. Ich habe Mozart-Zitate versteckt, man findet sogar Rezitative Mozarts, allerdings mit dem Text des neuen Librettos. Im zweiten Akt habe ich minimalistischere Elemente verwendet. Die neue Zeitebene der Geschichte wird unter anderem auch durch Live-Elektronik verstärkt. Meine Art, für Stimme zu schreiben, ist sehr lyrisch. Ich suche immer eine Verbindung zu den Emotionen.
Möchtest du mit deiner Oper eine Botschaft vermitteln?
Ich möchte auf keinen Fall belehrend sein. Es ist ja so, dass die Protagonistinnen meiner Oper in beiden Szenen keinen wirklich Frieden mit ihrem jeweiligen Antagonisten schließen – auch wenn die Möglichkeit, über die für sie relevanten Themen zu sprechen, natürlich heute ganz andere sind als vor 100 Jahren. Ich würde mich freuen, wenn ich Neugierde wecken kann. An den vergessenen Autorinnen, Komponistinnen, Künstlerinnen. Wenn die Menschen nach Hause gehen und Lust haben, mehr zu erfahren, zum Beispiel über Carmen Díaz de Mendoza Aguado, die Condesa von San Luis.
Helena Cánovas Parés, vielen Dank für dieses Gespräch!
Weitere Aufführungen der Oper „Don Juan no existe“ von Helena Cánovas Parés finden vom 6. bis 11. Mai 2025 im Teatro del Canal in Madrid sowie im Laufe der Saison 2025/26 in Barcelona und Sevilla statt.