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Einfach Klassik.

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Ein Abend in Unsuk Chins Musikwelt

Als Composer in Residence des NDR Elbphilharmonie Orchesters hatte die Komponistin Unsuk Chin mit der Aufführung einiger ihrer neueren Werke einen besonderen Abend im großen Saal der Elbphilharmonie vor sich. Und nicht nur sie. Denn es gab gleich mehrere zentrale Punkte im Programm des Abends, mit ihrem Klarinettenkonzert, welches sich mit dem Klavier-, Violin-, Cello- und dem Shengkonzert in ihre großen Solokonzerte einreiht, und das von seinem Widmungsempfänger, dem auf die Interpretation Neuer Musik spezialisierten Klarinettisten Kari Kriikku gespielt wurde. Aber dann stand da im zweiten Teil “Mannequin” auf dem Programm, ein etwas großformatigeres Werk in vier Sätzen, welches der Geschichte in der Novelle “Der Sandmann” von E.T.A. Hoffmann folgt, und das Schicksal des Studenten Nathanael begleitet, der von Kindheitstraumata geplagt langsam in den Wahnsinn gleitet und sich schliesslich das Leben nimmt.

Konzert für Alle

Zu Beginn gab es aber zunächst “Spira” zu hören, Chins neuestes Werk, das aufwändig von mehreren Orchestern kommissioniert, im April 2019 in Los Angeles uraufgeführt worden war. Das einsätzige Werk ist als Orchesterkonzert angelegt, wobei sowohl das gesamte Orchester, als auch Instrumentengruppen und einzelne Instrumente immer wieder als Solisten hervorgehoben werden, was die Mitglieder des NDR Elbphilharmonieorchesters ganz bewusst, und mit liebevoller Detailarbeit herausstellten. Es wäre jedoch nicht die Musik von Unsuk Chin, wenn nicht noch weitere kompositorische Ebenen zum tragen kämen. Gerade in “Spira” verwendet die Koreanische Komponistin ihre auch in vielen ihrer anderen Werke existente Technik, durch ungewöhnliche Kombinationen von Instrumenten die kurzzeitig in kleinen Klangzellen verschmolzen werden, das eigentlich als Relikt des 19. Jahrhunderts übrig gebliebene Symphonieorchester zu einem Klangkörper unserer Zeit zu definieren. Bei aller Theorie ist diese Technik im Konzert aber wahrlich nicht einfach umzusetzen, müssen sich die Musiker doch kurzzeitig und ad hoc auf unter umständen weiter entfernt sitzende Kollegen einstellen und gemeinsamen Klang gestalten. Und auch dabei brillierten die Musiker des Orchesters und erzauberten so für das Publikum Chins magische und fantastische Klangwelt, in der immer wieder an verschiedenen Stellen im Raum Schlaglichter völlig neuen Klangempfindens aufblitzten. Diese zauberhaften Seiten in Chins Stil, geprägt von dem schnellen Wechselspiel mit hellem Licht und bunten Farben, kamen dadurch hervorragend zur Geltung, und zusammen mit der präzisen, für Neue Musik nahezu idealen Abbildungscharakteristik des Raumklangs im großen Saal, saß das Publikum staunend und hörend unter diesem Klangerlebnis. 

Dirigent Stefan Asbury merkte man gleich bei “Spira” seine große Erfahrung in der Neuen Musik an, die er in der Zusammenarbeit mit Komponisten wie Wolfgang Rihm, und nicht zuletzt durch die enge Freundschaft zum von vielen Seiten hochverehrten Oliver Knussen gesammelt hat. Ruhig und bedacht ging er die Leitung an, und konzentrierte sich darauf, möglichst viele Einsätze den Musikern selbst zu geben, ohne dabei jeglicher Form von Aktionismus nahe zu kommen. Letztlich ermöglichte dies maßgeblich die gelungene Darstellung von “Spira”.

Ein Gesamtinstrument

Mit Kari Kriikku kam dann im Klarinettenkonzert ein weiterer Akteur hinzu, der in der Neuen Musik im Allgemeinen und in Unsuk Chins Musikwelt im Speziellen äusserst erfahren ist. Seine vielbeschriebene, eigenwillige Körperlichkeit ist niemals Selbstzweck, sondern immer Ausdruck des ganzen Menschen in der momentanen Interpretation, verlängert das eigentliche Instrument von der Luftsäule über das Mundstück, durch Finger und Hände und in den ganze Körper. Bei Kriikku erlebt man keinen Mann der eine Klarinette hält, man erlebt ein Gesamtinstrument. 

Ein Abend in Unsuk Chins Musikwelt
Kari Kriikku, Photo: Marco Borggreve

Dieses Konzert fordert dem Solisten alles ab. Angeblich. Kriikku merkte man dies jedoch nicht sonderlich an, mit solcher Leichtfüßigkeit agierte er, mit solcher Erzählfreude gestaltete er. Und doch erlebte man gleichzeitig auch seine fast schon kleinteilige Detailverliebtheit, die sich bis in die letzten Einzelheiten ungewöhnlicher Spieltechniken erstreckte. Diese setze der Finne nicht nur mit erstaunlicher Fertigkeit um, sondern dosierte auch deren Interpretation bewusst und punktgenau. Dies gipfelte in den Zweiklängen am Anfang des zweiten Satzes, mit deren auf sich selbst konzentrierter Natur der Solist den ganzen Saal in Atem hielt.

Üblicherweise hält sich das Orchester im Solokonzert eher zurück, in Chins Konzerten nimmt der Solist aber oft eine eher gleichberechtigte Rolle im Ensemble ein, was gerade in den schnellen, fast flatterhaft gespielten Passagen mit Fagotten, Oboen und Flöten eindrucksvoll gut funktionierte. Nur an den wenigen Stellen im Konzert an denen Solist und Orchester sich gegenüber stehen nahmen die Musiker jeweils Lautstärke und Führung auf und lagen richtiggehend im Wettstreit miteinander, vor allem das opulent besetzte Schlagwerk, die Violinen und die tiefen Bläser füllten dabei ihre tragenden Rollen aus. 

Detailreiches Gestalten

Die Fokussierung des gesamten Orchesters auf die Details in der Ausführung setzte sich in “Mannequin” dann direkt fort. Und auch wenn das beim spielen von Neuer Musik manchmal unausweichlich sein mag, so wirkten die Musiker nun schon sehr auf sich konzentriert, ja fast in sich gekehrt, und schienen den Kontakt untereinander erst erspüren zu müssen. Dennoch gelangen vielleicht gerade deshalb viele Details, wie die sehr poetisch angesetzten Pizzicati der Bässe, oder die äusserst körperbetont gestalteten Glissandi der Celli. 

Auch Wechselspiele bei Celesta und Streichern, oder Zusammenarbeiten, wie die pointierten, mit akkuratem Tonansatz gespielten Einwürfe der Trompeten und Posaunen artikulierten die erzählerische Vielfalt dieses Werkes. Einmütig bildeten Schlagwerker und Posaunen immer wieder starke Gestaltungseinheiten, und ein ums andere mal wanderten die Augen zu den Bässen, die mit wohl dosierten Bogenanschlagtechniken beeindruckten.

Expertise und Sachverstand bestimmten diesen Konzertabend, was jedoch nicht zu einer Versachlichung des Vortrags führte, sondern die Freisetzung der vielen fantastischen Facetten in Unsuk Chins Musik erst ermöglichte.

Programm

Unsuk Chin
Spira – Deutsche Erstaufführung
Konzert für Klarinette und Orchester
Mannequin für Orchester – Deutsche Erstaufführung

Besetzung

NDR Elbphilharmonie Orchester

Dirigent Stefan Asbury

Klarinette Kari Kriikku

Titelfoto: NDR Elbphilharmonie Orchester, Foto: Michael Zapf

Icon Autor lg
Stefan Pillhofer ist gelernter Toningenieur und hat viel Zeit seines Lebens in Tonstudios verbracht. Er hat viel Hörerfahrung mit klassischer und Neuer Musik gesammelt und liebt es genau hinzuhören. In den letzten Jahren hat sich die Neue und zeitgenössische Musik zu einem seiner Schwerpunkte entwickelt und er ist stets auf der Suche nach neuen Komponist*innen und Werken. Stefan betreibt das Online-Magazin Orchestergraben, in dem er in gemischten Themen über klassische Musik schreibt. Darüberhinaus ist er auch als Konzertrezensent für Bachtrack tätig.
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