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Einfach Klassik.

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Elena Ruehr – ein Portrait

Elena Ruehr, Photo von Christian Steiner

Manchmal passiert das einfach so. Ich wollte nur eine Liste mit Komponistinnen zusammenstellen, suchte noch Informationen und sah in einem Querverweis einen Namen. Aus dem Augenwinkel. Elena Ruehr. „Interessanter Name“ dachte mein Gehirn. Schon hatte ich weitergeklickt. Aber was steckte wohl hinter diesem Namen? Welche Musik verbarg sich da? Also kehrte ich zurück, machte mich auf und schlug die Musik von Elena Ruehr nach. Nichtsahnend härte ich mir Streichquartette an, und da passierte es. Das, was leider viel zu selten passiert. Ich wurde hinein gezogen. Komplett. Ich konnte nicht mehr aufhören, und hatte meine Liste längst vergessen.

Wer war diese Frau, die diese Musik erfindet? Die amerikanische Komponistin (geboren 1963) ist in den USA sehr wohl schon länger etabliert, sie hat unter anderem an der Julliard School studiert und lehrt schon seit vielen Jahren selbst am MIT. Dennoch kommt sie hierzulande leider kaum vor. Ihr umfassendes Werk enthält Stücke für Orchester, unter anderem ein Klavierkonzert, ein Violinkonzert und ein Cellokonzert, Aber auch eine lange Liste an kammermusikalischen Werken, unter anderem sechs Sreichquartette. Weiterhin gibt es Oper und Chormusik, Vokalmusik und Solowerke. 

Ich freute mich riesig nach dieser Erkenntnis, denn da gab es ja einiges zu tun. Leider deckt der Katalog an verfügbaren Aufnahmen nicht alle ihre Werke ab, aber es war immer noch genug zu hören.

Allein die neueste Einspielung ihrer sechs Streichquartette wird mich noch einige Zeit beschäftigen, auch wenn ich schon meine Favoriten ausgemacht habe. Schon dort findet man leicht das Magische in ihrer Musik. Im sechsten Streichquartett zum Beispiel sind die Wechsel zwischen verschiedenen Stilen gut erkennbar. Auch wenn sie gerne ostinative Bewegungen gegeneinander verschränkt, so rastet ihre Musik nie. Immer kann man bei kleinen Metamorphosen von einem Stil zum nächsten zuhören. Manchmal wirkt es so, als würde sich eine Schlange häuten. Nur haben die einzelnen Stadien in Elena Ruehrs Musik anmutige Schönheit, wie kleine Geschenke die man aus glitzerndem Papier auspackt und in denen man dann die Abschnitte und Sequenzen entdeckt.

Und dann ist da das Konzert für Viola und Streichorchester – „Shadow Light“, mit dem die Komponistin eine seltsam bedrückende und geheimnisvolle Stimmung erzeugt, mittels der von ihr so gern verwendeten verminderten Harmonien. Das Orchester spielt die Melodien im Wechsel mit der Viola und bricht dabei immer wieder in eigentümliche Unisonoläufe, wodurch aber das Soloinstrument nur noch besser ins Rampenlicht gestellt wird. Ab und zu arbeitet Elena Ruehr gerne mit wiederkehrenden Melodiemotiven. Hier stellt die Viola die bestimmende Melodie gleich zu Beginn vor, die Celli führen sie dann später immer wieder fort.

Mit am erstaunlichsten sind aber für mich die kammermusikalischen Werke für unterschiedliche Besetzungen. Auf der Veröffentlichung “Jane Wang Considers the Dragonfly” sind einige davon versammelt. “The Law of Floating Objects” lässt fünf Flöten gegeneinander verschränkte Motive immer wiederholen. Durch die Verteilung der Instrumente im Raum schafft Ruehr eine Tiefe, die durch die bedachten Wiederholungen sehr beruhigend, fast sicher wirkt. Über Minuten baut sich so ein Ensembleeindruck auf der mich irgendwann so umgeben und eingehüllt hat, dass ich aus der Komposition gar nicht mehr raus wollte.In den “Three Preludes” lässt Elena Ruehr das Solo-Klavier erstaunliche Wechsel spielen zwischen Melodiekaskaden und verspielten Harmonieräumen. In “Of Water and Clouds” gehen Flöte und Klavier gemeinsam durch eine wie eine Landschaft konzipierte Geschichte, und erleben Abenteuer die in gemeinsamen, energetisch oft sehr wechselhaften Motiven hörbar gemacht werden. 

Auch die Liste der Opern- und Chorwerke ist beachtlich. Mit “Crafting the Bonds” hat sie im Jahr 2017 sogar eine komplette Oper vorgelegt.

Ich fühle mich wie ein staunendes, sich verwundert nach allen Seiten umsehendes Kind wenn ich durch Elena Ruehrs Werk wandele. Und diese Ergriffenheit kenne ich von mir noch von anderen Gelegenheiten. Der Komponist, der ähnliche Reaktionen bei mir auslösen kann ist Einojuhani Rautavaara. Seine Musik hat eine mystische Tiefe, ähnlich der von Elena Ruehrs Kompositionen. Auch bei Rautavaara tauche ich ein in tiefe Klangräume, die er schafft durch die Kombination aus geschickter Instrumentierung und das aufbauen, aber auch das Unterbrechen von interessanten und unerwarteten Harmoniefeldern. Aber Ruehrs Musik hat noch mehr Eigenes. Diese Wechsel zwischen beharrlich geführten Ostinati und derWandelbarkeit innerhalb eines Werkes, die Abschattung positiv beginnender Melodien durch Verminderung, das häufige Zögern vor der Durchführung des Erwartbaren, all das gibt Ruehrs Werken die Tiefe und Bedeutung die mich anhaltend begeistert!

HIER ENTLANG um einige Clips von Elena Ruehrs Musik zu hören.

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Stefan Pillhofer ist gelernter Toningenieur und hat viel Zeit seines Lebens in Tonstudios verbracht. Er hat viel Hörerfahrung mit klassischer und Neuer Musik gesammelt und liebt es genau hinzuhören. In den letzten Jahren hat sich die Neue und zeitgenössische Musik zu einem seiner Schwerpunkte entwickelt und er ist stets auf der Suche nach neuen Komponist*innen und Werken. Stefan betreibt das Online-Magazin Orchestergraben, in dem er in gemischten Themen über klassische Musik schreibt. Darüberhinaus ist er auch als Konzertrezensent für Bachtrack tätig.
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