Von Isabella Steppan und Stefan Pillhofer
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Keri-Lynn Wilson muss man nicht vorstellen. Die Kanadische Dirigentin blickt sowohl in der Oper als auch im symphonischen Bereich auf eine eindrucksvolle Karriere zurück. Sehr kurzfristig wurde nun angekündigt, dass sie ab dem 16. Juni „La Traviata“ an der Bayerischen Staatsoper dirigieren wird. Die Möglichkeit sie zu interviewen habe ich sehr gerne genützt, und aufgrund des breiten Repertoires Wilsons ist mir glücklicherweise für das Interview unsere Opernexpertin Isabella Steppan zu Hilfe geeilt.
Keri-Lynn, Sie waren nicht immer opernbegeistert – wie ist schließlich Ihre Liebe zur Oper entstanden?
Als junge Musikerin lernte ich Klavier, Flöte und Geige, aber meine größte Leidenschaft war das Spielen im Orchester. Als ich 10 Jahre alt war, begann ich im Jugendorchester von Winnipeg zu spielen und verliebte mich in das symphonische Repertoire, alles von Mozart bis Strawinsky. Erst als ich Studentin an der Juilliard School war und anfing, Aufführungen in der Metropolitan Opera gegenüber zu besuchen und fünf Dollar für eine Stehplatzkarte zu zahlen, um die größten Sänger der Welt zu hören, begann ich mich für die Oper zu begeistern.
Wie bereiten Sie sich auf ein Dirigat vor, wenn Sie eine Oper zum ersten Mal dirigieren?
Wenn ich eine neue Oper lerne, höre ich mir – abgesehen von den selbstverständlichen Aufgaben, wie dem gründlichen Studium der Partitur, des Librettos und der Erforschung des Hintergrunds des Werks und des Komponisten – so viele Aufnahmen wie möglich an, um die Aufführungstraditionen über die Jahrzehnte hinweg zu verstehen. Mit jeder Interpretation gewinne ich einen größeren Einblick in das Reich der musikalischen Stile.
Bei Opernproduktionen sind Sie nicht nur für das Orchester, sondern auch für die Sänger*innen verantwortlich – wie beeinflusst das Ihre Arbeit als Dirigentin im Vergleich zu symphonischen Konzerten?
Das Dirigieren von Opern bringt zusätzliche Herausforderungen im Vergleich zum Dirigieren von Sinfonien mit sich, da viel mehr Kräfte beteiligt sind: Sänger*innen, Chor, Tänzer*innen, Statist*innen, vielleicht eine Band aus dem Off, und vielleicht sogar lebende Tiere auf der Bühne! Als Dirigentin muss ich Multitasking betreiben und dabei die volle Kontrolle über das Geschehen auf der Bühne und im Orchestergraben behalten und alles in jedem Moment in perfekter Harmonie halten.
Welche Oper möchten Sie in Ihrer Karriere unbedingt noch dirigieren und warum?
Es gibt noch viele symphonische Werke und Opern, die ich gerne in mein Repertoire aufnehmen möchte. Ganz oben auf meiner Liste stehen Schostakowitschs Sinfonie Nr. 13, Mahlers Sinfonien Nr. 2 und Nr. 8 sowie Wagners Tristan und Isolde und Der Ring des Nibelungen. Ich verehre diese Werke, hatte aber noch nicht die Gelegenheit, sie zu dirigieren, vor allem, weil sie enorme Kräfte erfordern und daher schwierig zu programmieren sind.
Wenn Sie als Zuschauerin eine Opernvorstellung besuchen, können Sie den Abend dann einfach genießen und sich emotional mitreißen lassen, oder achten Sie permanent auf technische Aspekte bzw. Feinheiten?
Wenn ich als Zuschauerin eine Vorstellung besuche, höre ich immer mit kritischen Ohren zu. Ein absolutes Gehör zu haben, macht meine Aufmerksamkeit umso schärfer. Wenn eine Aufführung magisch ist, meisterhaft interpretiert und ausgeführt, werde ich von der emotionalen Kraft der Musik mitgerissen.
Gerade wurde angekündigt, dass Sie Mitte Juni die Oper „La Traviata“ an der Bayerischen Staatsoper aufführen werden. Welche Bedeutung hat dieses spontane Engagement in der aktuellen Pandemiesituation für sie?
Ich war hocherfreut, als ich eingeladen wurde, diesen Monat an die Bayerische Staatsoper zurückzukehren, um „La Traviata“ zu dirigieren. Einer der Höhepunkte der vergangenen Saison war es, dort im Februar „Rigoletto“ zu dirigieren, so dass ich extrem enttäuscht war, als es verständlicherweise wegen der Pandemie abgesagt wurde. Die plötzliche Wiedereröffnung der Staatsoper war eine willkommene Überraschung. Ich bin begeistert, ein Teil davon zu sein!
„La Traviata“ haben Sie schon öfter an großen Häusern aufgeführt. Haben Sie diesmal für die Bayerische Staatsoper besondere Pläne dafür?
Ich kann es kaum erwarten, wieder im Orchestergraben der Bayerischen Staatsoper zu stehen, wo der satte Verdische Klang des Bayerischen Staatsorchesters und die herrlichen Stimmen des Chors das Theater erfüllen. Ich habe schon früher mit meiner Starbesetzung von Ailyn Perez , Liparit Avetisian, Placido Domingo und George Petean zusammengearbeitet. Es wird jedoch das erste Mal sein, dass wir in dieser Produktion, die ein Publikumsliebling ist, zusammenarbeiten. Mit Traviata kehre ich zu der Oper zurück, mit der ich vor zwölf Jahren in München debütierte. In den dazwischen liegenden Jahren bin ich als Künstlerin gewachsen, und meine Interpretation der Traviata ist mit mir gewachsen.
Konzerte vor Publikum sind nun wieder in Sicht, oder finden sogar schon statt. Worauf freuen Sie sich da denn mehr, die Oper oder reines Orchesterkonzert?
Idealerweise möchte ich meine Karriere zwischen dem Dirigieren von Sinfoniekonzerten und Opern ausbalancieren. Der Hauptgrund ist, eine Vielfalt an Repertoire aller meiner Lieblingskomponisten zu erkunden. Schließlich hat Brahms keine Opern geschrieben, während Wagner keine Symphonien geschrieben hat.
Sie konnten dieses Jahr bei der Mozartwoche dirigieren. Unter anderem spielten Sie zwei Symphonien, sowie das Konzert für Flöte, Harfe und Orchester. Welche Bedeutung hatte das Konzert für Sie, und welchen Anteil hatte die Symphonik dabei?
Was für ein Glück, dass ich mitten in der Pandemie mit dem wunderbaren Mozarteumorchester auftreten durfte! Es war berauschend, meine beliebtesten frühen Sinfonien Nr. 25 und Nr. 29 zu dirigieren. Die Zusammenarbeit mit den Solisten für das Konzert für Flöte und Harfe war sehr anregend, da ich gerne mit Solisten in einem eher kammermusikalischen Rahmen arbeite.
Im Bereich der Symphonik spielen Sie gerne die großen Werke, Mahler, Schostakowitsch, Tschaikowski, Bruckner. Ist es im Konzert grundsätzlich das große Format, welches Sie am meisten reizt?
Der grandiose Klang eines großen Orchesters hat mich schon immer inspiriert, deshalb dirigiere ich besonders gerne die symphonischen Werke von Mahler, Schostakowitsch, Tschaikowsky und Bruckner, die die volle symphonische Kraft entfalten.
Welche persönlichen Stärken können Sie vor einem groß besetzten Orchester am besten ausspielen? Könnten Sie sich auch vorstellen mit kleineren Ensembles zu arbeiten?
Bei der Arbeit mit einem großen Orchester ist es eine größere Herausforderung, die Musiker*nnen zusammenzuhalten und die verschiedenen Partien sorgfältig auszubalancieren. Dies erfordert eine gute Technik und ein gut geschultes Ohr. Im Vergleich dazu erfordert das Dirigieren eines kleineren Orchesters einen intimeren Ansatz.
Bei Ihrem Engagement in Moskau haben Sie ihr russisches Repertoire stark ausgebaut. Welches musikalische Feld würden Sie sich gerne als nächstes erschliessen?
Während ich eine große Anzahl italienischer, französischer und russischer Opern in meinem Repertoire habe, muss ich die meisten Opern von Wagner noch dirigieren. Bislang habe ich nur den Fliegenden Holländer und Tannhäuser aufgeführt. Ich warte sehnsüchtig auf die Gelegenheit, Wagners andere Meisterwerke zu dirigieren.
Sie arbeiten mit verschiedenen Orchestern zusammen und dirigieren ein breites Repertoire: welche positiven Aspekte bzw. welche Herausforderungen bringt diese Vielfalt mit sich?
Ich habe das große Glück, mit vielen Sinfonie- und Opernorchestern auf der ganzen Welt zusammengearbeitet zu haben. Ich habe von der Erfahrung profitiert, verschiedene Spielstile zu entdecken, die Traditionen anderer Kulturen kennenzulernen und mit Musikern aus allen Kreisen des Lebens zusammenzuarbeiten. Das hat mir nicht nur bei meiner Entwicklung als Musikerin, sondern auch als Mensch geholfen.
Was muss ein neues Projekt oder ein Haus haben, damit es Sie anspricht?
Ich strebe danach, mich als Künstlerin weiterzuentwickeln, an der Seite der großen Orchester, zu denen ich bereits enge Beziehungen habe, und neue Beziehungen zu den bedeutenden Orchestern und Opernhäusern aufzubauen, mit denen ich noch nicht aufgetreten bin. Für mich gibt es nichts Aufregenderes, als ein Debüt zu geben, und dabei neues von mir erträumtes Repertoire zu dirigieren.
Vielen Dank für dieses Interview!
Titelfoto: Keri-Lynn Wilson, Foto: Erik Berg
Keri-Lynn Wilson – Aktuelles Album
ENGLISH VERSION
Keri-Lynn Wilson needs no introduction. The Canadian conductor can look back on an impressive career in both opera and symphonic music. At very short notice, it has now been announced that she will conduct „La Traviata“ at the Bavarian State Opera starting June 16. I was very happy to take the opportunity to interview her, and because of Wilson’s broad repertoire, our opera expert Isabella Steppan fortunately came to my aid for the interview.
Keri-Lynn, you weren’t always an opera enthusiast – after all, how did your love of opera come about?
As a young musician, I studied the piano, flute and violin, but my main passion was playing in the orchestra. When I was 10 years old, I began playing in the Winnipeg youth orchestra and fell in love with symphonic repertoire, everything from Mozart to Stravinsky. It was not until I was a student at Juilliard and started attending performances across the street at the Metropolitan Opera, paying five dollars for a standing room ticket to hear the greatest singers in the world, that I became enthusiastic about opera.
How do you prepare when you conduct an opera for the first time?
When learning a new opera, aside from the obvious, like thoroughly studying the score, the libretto, and researching the background of the work and the composer, I listen to as many recordings as possible to understand performance traditions over the decades. With each interpretation, I gain greater insight into the realm of musical styles.
In opera productions, you are responsible not only for the orchestra but also for the singers – how does that affect your work as a conductor compared to symphonic concerts?
Conducting opera brings additional challenges to conducting symphonies, since there are many more forces involved: singers, chorus, dancers, extras, perhaps an off-stage banda, and maybe even live animals on stage! The conductor must multi-task, staying in complete control of what’s happening on stage and in the pit, keeping it all in perfect harmony at every moment.
Which opera would you definitely like to conduct in your career and why?
There are still many symphonic works and operas that I’m looking forward to adding to my repertoire. At the top of my list are Shostakovich’s Symphony No. 13, Mahler‘s Symphony No. 2 and No. 8 and Wagner’s Tristan und Isolde and Der Ring des Nibelungen. I adore these works, but haven’t had the opportunity to conduct them yet, mainly because they require enormous forces and are therefore challenging to program.
When you attend an opera performance as an audience member, can you simply enjoy the evening and let yourself be carried away emotionally, or do you constantly pay attention to technical aspects or subtleties?
When I’m attending a performance as an audience member, I’m always listening with critical ears. Possessing perfect pitch makes my attention all the keener. When a performance is magical, masterfully interpreted and executed, I’m carried away by the emotional power of the music.
It has just been announced that you will be performing the opera „La Traviata“ at the Bavarian State Opera in mid-June. What significance does this spontaneous engagement have for you in the current pandemic situation?
I was elated to be invited to return to the Bayerische Staatsoper this month to conduct La Traviata. One of the highlights of this past season was going to be conducting „Rigoletto“ there in February, so I was extremely disappointed when it was understandably cancelled because of the pandemic. The sudden reopening of the Staatsoper came as a welcome surprise. I’m thrilled to be part of it!
You have performed „La Traviata“ at major opera houses before. Do you have any special plans for it this time at the Bavarian State Opera?
I can’t wait to be back in the pit of the Bayerische Staatsoper, once again awash in the rich Verdian sound of the Bayerischer Staatsorchester and the glorious voices of the chorus filling the theater. I’ve previously collaborated with my stellar cast of Ailyn Perez , Liparit Avetisian, Placido Domingo and George Petean. However, this will be our first time working together in this production, which is an audience favorite. With Traviata, I’m returning to the opera of my Munich debut twelve years ago. In the intervening years, I’ve grown as an artist, and my interpretation of Traviata has grown with me.
Concerts in front of an audience are now in sight again, or are even already taking place. What are you looking forward to more, the opera or a purely orchestral concert?
Ideally, I like to balance my career between conducting symphonic concerts and opera. The main reason is to explore a variety of repertoire of all of my favorite composers. After all, Brahms didn’t write any operas, while Wagner didn’t write any symphonies.
You were invited to conduct at the Mozartwoche this year. Among other things, you played two symphonies, as well as the Concerto for Flute, Harp and Orchestra. What was the significance of the concert for you, and how was the symphonic part in it?
How fortunate I was to have performed with the wonderful Mozarteum Orchestra in the middle of the pandemic! It was exhilarating conducting my favorite early symphonies No. 25 and No. 29. The collaboration with the soloists for the Concerto for Flute and Harp was very stimulating, since I enjoy working with soloists in a more chamber-like setting.
In the symphonic field, you like to play the big works, Mahler, Shostakovich, Tchaikovsky, Bruckner. In concert, is it basically the large format that appeals to you the most?
The majestic sound of a large orchestra has always been an inspiration, so I especially enjoy conducting the symphonic works of Mahler, Shostakovich, Tchaikovsky and Bruckner, which deploy the full symphonic forces.
What are your personal strengths in front of a large orchestra? Could you also imagine working with smaller ensembles?
When working with a large orchestra, it is more challenging to keep the players together and to carefully balance multiple sections. This requires good technique and a well trained ear. In comparison, conducting a smaller orchestra requires a more intimate approach.
During your engagement in Moscow, you greatly expanded your Russian repertoire. Which musical field would you like to open up next?
While I have a vast amount of Italian, French and Russian operas under my belt, I have yet to conduct most of Wagner’s operas. So far, I have only performed The Flying Dutchman and Tannhauser. I’m eagerly awaiting the opportunity to conduct Wagner’s other masterpieces.
You work with various orchestras and conduct a broad repertoire: what positive aspects or what challenges does this diversity bring?
I feel very fortunate to have worked with many symphony orchestras and opera orchestras all over the world. I’ve gained from the experience of discovering different styles of playing, from learning the traditions of other cultures, and from collaborating with musicians from all walks of life. This has helped not only in my development as a musician, but also as a person.
What does a new project or house have to have in order to appeal to you?
I aspire to continue to grow as an artist, alongside the great orchestras with whom I already have strong relationships, and to develop new relationships with the distinguished orchestras and opera companies with which I have not yet performed. For me, there is nothing more thrilling than making a debut, while performing new repertoire that I dream to conduct.