Die Mezzopranistin Constance Heller ist nicht nur auf der großen Opernbühne zu Hause, sondern begibt sich zusammen mit ihrem Klavierpartner Gerold Huber gerne mal auf musikalische „terra incognita“.
Die neueste Veröffentlichung „Fantasie von Übermorgen“ stemmt ein großes Thema: Es geht um die Dramatik der Flucht europäischer Jüdinnen und Juden nach Palästina. Für viele davon betroffene schöpferische Menschen, also auch viele Komponisten aus dem alten Europa, brachten solche erzwungenen Ortswechsel neue, kreative Impulse mit sich. Das aktuelle Album von Constance Heller und Gerold Huber liefert hier gleich mehrere überraschende Beispiele. Als da wäre etwa der Komponisten Paul Ben-Haim. Als Paul Frankenburger in München geboren, emigrierte er im Jahr 1933 nach Palästina und das macht künstlerisch eine Menge mit ihm, was sich in der Musik niederschlägt. Die bisherige klassisch-romantische Sozialisation gerät mit der reichen nahöstlichen Musikwelt in einen intensiven Bezug. Gemeinsame kulturelle Wurzeln sind meist über jede politische und auch religiöse Grenzziehung erhaben.
Eindringlich erweckt dieses Duo solche musikalischen Zeit-Dokumente zum Leben. Constance Hellers kraftvoller, unvergleichlich timbrierter Mezzosopran und Gerold Hubers präzise artikulierendes Klavierspiel dienen in jedem Moment den Worten, welche Zeugnis über tiefe menschliche Empfindung abgeben. Paul Ben-Haims Melodien zeichnen sich dabei durch eine eigenwillige Doppelbödigkeit aus. Diese Lieder sind vieles gleichzeitig: Lyrisch und irgendwie sehr vertraut, aber auch latent exotisch manchmal.
Im Zwischenstadium zwischen Aufbruch und Ankommen
Nach einem dreiteiligen Zyklus von Paul Ben-Haim kommt mit Alexander Boskovich ein anderer Komponist, welcher nach Palästina emigrierte, ins Spiel und hier die ergreifende Ausdruckswucht alter hebräischer Psalmen entdeckte. Auch Paul Dessau, Kurt Weill und Stefan Wolpe waren an der jüdischen Migrationsgeschichte ganz dicht dran. Lyrisch und ergreifend verleiht Paul Dessau jenen ersten Pionieren eine starke Stimme, welche Palästina, diesen einst wüstenartig-unwirtlichen, zuweilen sumpfigen Landstrich erst bewohnbar machten.
Viele balladenartige Lieder beschreiben die Verfassung von Menschen in einem Zwischenstadium zwischen Aufbruch und Ankommen. Constance Hellers Mezzosopran mutet hier so un-opernhaft wie möglich ein, das verstärkt die Klarheit der Botschaft. Es ist diese Gesamtwirkung aus Texten und Kompositionen, Gesang und pianistischer Rhetorik, welche dieses Album zu einem faszinierenden Ganzen macht.
Am Ende des Programms steht ein Friedensmanifest von Stefan Wolpe: Als der US-Präsident Truman im Jahr 1950 ankündigte, eine noch potentere Vernichtungswaffe als die Atombombe zu bauen, appellierte Albert Einstein sorgenvoll an die kollektive Verantwortung für die Zukunft. Die Mezzosopranstimme von Constance Heller ist das ideale Medium für diesen rezitativischen Appell. Ja, warum kann es nicht Streben allen politischen Handelns sein, Angst und gegenseitiges Misstrauen zu beenden, woraus erst Kriege, Vertreibung und Leid resultieren? Es wirkt in diesem Zusammenhang schon monströs, wenn im letzten Jahr 2020 allein die USA 778,2 Milliarden US-Dollar in Rüstung und Militär „investiert“ haben….