Kaum irgendwo sonst konzentrieren sich in wenigen Wochen so viele pianistische Superlative wie beim Klavierfestival Ruhr. Neue „Klavier-Erfahrungen“ kommen dabei oft von aufstrebenden Nachwuchskünstlern wie zum Beispiel Federico Colli, einem hochtalentierten Italiener, der es im Hertener Schloss wissen wollte.
Zunächst galt die Ansage, im ersten Konzertteil auf Zwischenapplaus zu verzichten. Zu viel Geklatsche zerschneide den Spannungsbogen, gerade bei einem zyklisch aufgebauten Werk wie György Ligetis „Musica ricercata“, womit er das Recital eröffnete. In den elf Sätzen werden in Sekund- und Halbtonschichtungen immer mehr Töne eingeführt, was eine hypnotische, ja gespenstische Aura erzeugt. Nicht umsonst ist die Schlüsselszene in Stanley Kubricks Psychothriller „Eyes Wide Shut“ mit dem zweiten Satz aus der „Musica ricercata“ unterlegt. Die hohe Kunst liegt in der sukzessiven Erweiterung des Klangspektrums. Die explosive, zugleich messerscharf dosierte Wucht, mit der Federico Colli dies inszenierte, offenbarte schon direkt am Anfang sein riesiges Potenzial.
Seine Sache ist die kraftvoll-opulente Geste und das füllte über den ganzen Abend hinweg den Saal mit purem, mächtigen Klang. Das war allerdings nicht die optimale Basis für eine daran anschließende Auswahl von François Couperins virtuosen Cembalostücken aus dem französischen Barock. Da hätte man sich auch mal etwas Reduktion auf elegante Schlankheit gewünscht, um diesen Stücken analytisch hörend noch „näher“ zu kommen. Eben weil sie ja auch für viele modernere Stücke aus dem 20. Jahrhundert Pate standen.
Richtig spektakulär wird es, wenn sich Federico Colli Mozart annimmt. Dessen Klaviersonate in A-Dur, KV 331, mit ihren vielen anmutigen und auch verrückten Variationen ist für den Pianisten aus Brescia eine blühende Spielwiese. Collis Markenzeichen sind unkonventionelle, aber immer in sich logische Phrasierungen. Ruhelos vorpreschende Sechzehntel ballt er gerne zu kleinen Clustern, was sein Spiel oft fast perkussiv anmuten lässt. Zum echten Showdown wurde sein „Rondo alla Turca“, das er wie eine fetzende Rocknummer abgehen ließ. Colli weiß, den Moment zu feiern und dies teilte das Publikum im Schloss mit ihm.
Mit Ravels „Le Tombeau de Couperin“ ging es ungebremst so weiter. Diese sechssätzige Suite für Klavier komponierte Ravel zwischen 1914 und 1917. Jeder Satz ist einem Freund Ravels gewidmet, der im Ersten Weltkrieg gefallen ist. Aus polyphonen, barocken Formen kreierte er eine sinnliche und sich frei gebärdende Zukunftsmusik. In den vielen tänzerischen Parts fasziniert Collis Rhythmusgefühl, mit dem er die Bewegung der Musik so synchronisiert, dass Fließen und Pulsieren gleichzeitig eintreten. Erstaunlich, wie sein Spiel auch in mächtig fauchenden, tiefsten Bassregistern immer filigran bis ins letzte Detail hinein bleibt.
Bei so viel gelebter Magie des Klavierspiels brauchte es noch etwas Besonderes, um als Zugabe noch eins drauf zusetzen: Federico Colli spielte abermals Mozarts „Rondo alla Turca“, diesmal aber in einer Jazzbearbeitung von Fazil Say. Colli zog alle Register eines swingenden Jazzspiels voll aufgemotzter Harmonik und Improvisierlust vor allem in ungeraden Taktarten. Das war nicht einfach nur Klavier allein, ließen hier doch der Steinway-Flügel und sein begnadeter Spieler wie eine mächtig treibende Band den Schloss-Saal erbeben.