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Einfach Klassik.

Einfach Klassik.

Festivalauftakt beim Hamburger Érard-Festival

Beim Érard-Festival geht es nicht um die Erfüllung vorgefertigter Erwartungen, sondern um Horizonterweiterung. Zentrales Projekt der diesjährigen Festivalausgabe ist eine neue Orchesterfassung von César Francks f-Moll-Quintett. Mit dessen Aufführung bestätigte sich, wie künstlerisches „Über sich hinaus wachsen“ geht – auch über die geografischen Grenzen Hamburgs hinaus. Eine Kooperation mit dem hochmotivierten Oldenburgischen Staatsorchester unter Hendrix Vestmans Leitung belegte dies am ersten Festivalwochenende eindrücklich.

Die Maserung des Palisanderholzes jenes Flügels, auf dem wohl Cesar Franck viele seiner Werke komponiert hat, glänzt prachtvoll. Was auf diesem Instrument klanglich und dynamisch geht, legte Weber beim Auftaktkonzert dieses Festivals in einer Auswahl aus Mendelssohns „Liedern ohne Worten“ offen und die hatte es in sich. Mathias Webers Auswahl aus diesem umfangreichen Zyklus setzte also nicht auf jene anmutigen, kleinen Charakterstücke, sondern auf gewagtere Kompositionen, in denen pianistische Möglichkeiten offengelegt werden, eine große Finesse an Auszierungstechniken Ohren und Geist berauscht und wo auch immer wieder offenbar wird, was dieser historische Klaviertyp mit seinen ausschließlich parallel angeordneten Seiten kann. Wie Mathias Weber mit kreativen Betonungen arbeitete, Klangschichten zum Leuchten brachte und das Instrument „singen“ ließ, wurde wieder deutlich: So wie dieser Hamburger Pianist tritt wohl kaum sonst jemand in heutiger Zeit mit der Charakteristik dieses Instrumenten-Typs in einen tiefen Dialog.

Erik Schumann, Ken Schumann
Erik Schumann, Ken Schumann

Die Musik durfte ihr Gesicht wahren beim Érard-Festival

Felix Mendelssohn-Bartholdys Quartett op. 80 f-Moll widerspiegelt aufgewühlte Seelenzustände. Der Tod seiner Schwester Fanny stürzte den Komponisten in tiefe Verzweiflung. Ob dies zu diesen ungewöhnlichen, oft motorisch-drängenden Stilmitteln in diesem Quartett, entstanden nur sechs Monate vor Mendelssohns eigenem Tod, geführt hat, mag man spekulieren. Erik, Ken und Mark Schumann sowie der Bratschist Veit Hertenstein, bilden zusammen das international renommierte Schumann-Quartett. In der Laeiszhalle rückten sie diesem Werk mit riesiger künstlerischer Neugier und maximaler Professionalität zu Leibe. Mit einem solchen gemeinsamen künstlerischen gewahrt diese Musik, aber auch ihr Schöpfer und ebenso die Person, um die in dieser Komposition getrauert wird, ihr Gesicht. Denn genug analytische Klarheit befreit von zu viel Pathos. Was der typisch Mendelssohnschen Eleganz, die auch in diesem Trauerstück so viel Vitalität entfaltet, zu Gute kam.

Ein Hörfilm ohne Happy-End

César Franck dachte in den Dimension eines Streichquartetts, wollte aber mehr Ausdruckswucht und fügte daher eine Klavierstimme hinzu. Das Resultat birgt so viel sinfonische Größe, dass man wirklich ein ganzes Sinfonieorchester damit „füttern“ kann. Dachte sich Mathias Weber und erweiterte den Original-Notentext um neue Stimmen und Instrumentierungen. In der kleinen Laeiszhalle wurde aber erst einmal ins kammermusikalische „Original“ eingetaucht. Und wie! Mit langem Atem und in gemessenem Tempo bauen die Mathias Weber und das Schumann-Quartett eine mächtige Dramaturgie. Also ist genug Raum da, damit eine durchgehende emotionale Welle diese Flut aus Ideen und Klängen durchmisst. Kurz vor Ende des ersten Satzes reißt Erik Schumann die E-Saite. Also: Neue Saite drauf und nochmal vorne anfangen. Um noch tiefer Atem zu holen, noch mehr Emotion heraus zu lassen. Für das konzentriert zuhörende Publikum erwies sich diese ungeplante Wiederholung als Gewinn. Später überraschte der abrupte Schlussakkord, wie in einem Film, der sich nach dramatischsten Fieberkurven schließlich dem Happy End verweigert.

Mathias Weber Oldenburg. Staatsorchester
Mathias Weber Oldenburg. Staatsorchester

Richard Wagners Farben leuchten

César Franck demonstrierte mit diesem Werk der Superlative, wie durch stringente Organisation der dramatischen Mittel eine fast schon transzendentale Wirkung entsteht. Das Oldenburgische Staatsorchester erwies sich als idealer Komplize für das Abenteuer einer sinfonischen „Neu-Inszenierung“. Dabei machte es sich als zusätzlicher Glücksfall bezahlt, dass sich die circa 75 Musikerinnen und Musiker unter Hendrik Vestmanns Leitung gerade am gesamten Wagner-Ring abgearbeitet hatten. Denn auch in Francks Komposition leben genug Wagner-Spurenelemente, die durch die erweiterte Instrumentierung erst so richtig aufblühen. In der großen Laeiszhalle erklang eine „neue“ vollwertige Sinfonie, getragen von charaktervollen Streicherteppichen, schwergewichtig stolzen Blechbläsern, ständig angereichert von hochpräzise gezeichneten dynamischen und dramaturgischen Details. Es ergriffen die Dialoge zwischen lyrischen Linien aus dem Erard-Flügel und kantablen Soli von Cello, Violine oder einzelnen Bläserstimmen.

Mathias Weber hat im Hinblick auf die Originalquelle auch mit viel Bedacht neu instrumentiert. Vor allem in der Exposition zum ersten Satz bleibt eine kammermusikalische Rhetorik präzise nachvollziehbar, auch wenn vieles jetzt auf ganz neue Art eine „richtig große Bühne“ bekommt, was sich vor allem beim zweiten Lento-Satz spektakulär auswirkte.

Andere, große Werke, die an „normalen“ Konzertabenden schon den Hauptprogrammpunkt bilden, wurden an diesem Abend eher „zur Einstimmung“ musiziert: In Listzs Tondichtung „Les Preludes“ arbeiteten Hendrik Vestmann und die Oldenburger Sinfoniker die ganze Vielschichtigkeit dieses zehnminütigen Wechselbades heraus, das eben viel mehr beinhaltet als nur das bombastische Hauptthema, welches einst – wie es heute so manchen Klassikthemen in der Werbespot-Industrie passiert – zur berüchtigten „Wochenschau-Fanfare“ erkoren wurde. Von noch mehr Vielgestalt ist Franz Listzs Klavierkonzert Nr. 2 A-Dur und auch da gingen Mathias Weber und das Oldenburgische Staatsorchester in der gemeinsamen freudvollen Mission bestens auf.

Hendrik Vestmann, Oldenburgisches Staatsorchester
Hendrik Vestmann, Oldenburgisches Staatsorchester

Das Érard-Festival wird von Stephanie und Mathias Weber in Eigenregie gestemmt

Eine Kooperation mit diesem hochmotivierten, seit 2016 von Hendrik Vestmann geleiteten Staatsorchester ist für das Érard-Festival ein wirkungsvoller Multiplikator in Sachen Publikumsreichweite. Auch die beiden dem Festivalauftakt vorangeschalteten Gastspiele mit Cesar Francks neuer Sinfonie für Orchester und Klavier markieren einen wichtigen Baustein dafür.
Es ist kaum zu glauben, dass Mathias und Stephanie Weber dieses ganze Festival künstlerisch, organisatorisch und logistisch nahezu in Eigenregie stemmen. Am Sonntag, 30.10. geht es in Hamburgs Elbphilharmonie (Kleiner Saal) weiter und dafür steht wieder aufschlussreiche „Paarung“ auf dem Programm: Sowohl Ludwig van Beethoven also auch Johann Nepomuk Hummel hatte es die Septett-Besetzung angetan und jeder schuf ein Meisterwerk zu diesem Thema. Beide Werke stehen in einem Bezug zueinander. Mathias Weber trifft dafür auf das Hamburger „Ensemble Acht“.

Zum Finale am Samstag 19.11. reist das Erard-Festival nach Berlin – und mit ihm natürlich besagter originaler Flügel von César Franck. In der Philharmonie (Kleiner Kammermusiksaal) trifft Mathias Weber auf die französische Geigerin Elsa Grether, die sich vor allem durch ihr poetisch-durchsichtiges Klangbild einen internationalen Namen gemacht hat. Kompositionen von Franz Liszt, Robert Schumann und Maurice Ravel komplettieren das Programm, in dessen Zentrum ein Werk von César Franck steht, um dass man definitiv nicht herum kommt: In seiner mitreißenden A-Dur-Sonate zeigt sich dieser frankobelgische Komponist von derselben genialen Seite wie in seinem Klavier-Quintett bzw. der durch Mathias Weber neugeschaffenen Sinfonie für Orchester und Klavier.

Icon Autor lg
Musik und Schreiben sind immer schon ein Teil von mir gewesen. Cellospiel und eine gewisse Erfahrung in Jugendorchestern prägten – unter vielem anderen – meine Sozialisation. Auf die Dauer hat sich das Musik-Erleben quer durch alle Genres verselbständigt. Neugier treibt mich an – und der weite Horizont ist mir viel lieber als die engmaschige Spezialisierung, deswegen bin ich dem freien Journalismus verfallen. Mein Interessenspektrum: Interessante Menschen und ihre Geschichten „hinter“ der Musik. Kulturschaffende, die sich etwas trauen. Künstlerische Projekte, die über Tellerränder blicken. Labels, die sich für Repertoire-Neuentdeckungen stark machen. Mein Arbeitsideal: Dies alles fürs Publikum entdeckbar zu machen.
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