Einfach Klassik.

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Festspiele MV mit Themenkonzerten „Fokus Bach“ in Stralsund   

Ein Beitrag von Ekkehard Ochs

Gut ein Dutzend thematischer Schwerpunkte bestimmten seit Mitte Juni das Programm des Festspielsommers der Festspiele MV. Es ist der Versuch, die nahezu täglich über drei Monate verteilte Menge unterschiedlichster Konzertformen und Repertoireangebote so zu strukturieren, dass Besucher*innen die individuelle Wahl eben nicht zur sprichwörtlichen „Qual“ gerät. Terminlich kann sich so ein Thema schon mal über größere Zeiträume hinziehen und ziemlich entfernte Spielorte umfassen. Was ja auch wieder Vorteile hat! So auch beim Thema „Fokus Bach“. Da startete man Ende Juni und endete am 9. September. Übrigens: jedes Konzert ein „Renner“! Kit Armstrong, Piere-Laurent Aimard, Sebastian Knauer (alle Klavier), Dorothee Oberlinger (Flöte), Nils Mönkemeyer (Viola), das radio.string.quartet (Wien) ,das Wiener Kammerorchester, Anastasia Kobekia (Cello, Gambe), das Vokalensemble Voces8 (England) sowie das SIGNUM-Saxophonquartett stehen genau dafür. Eine Liste, die sich erweitern lässt. Zum Beispiel durch zwei Konzerte in Stralsunds St. Nikolaikirche, die am vergangenen Freitag (6. September) ein weiteres charakteristisches Merkmal dieses Komplexes bestätigten: Die Nutzung des Bachschen universalen Werkes als Anregungen für höchst unterschiedliche und oft sehr subjektiv geprägte Be- und Verarbeitungen durch Komponist*innen und Interpret*innen! Inwieweit solche als eine echte Bereicherung des Repertoires empfunden werden, bleibt allerdings individuelle Entscheidung des (im besten Falle unvoreingenommenen) Hörers. 

Doch nun zu Stralsund. Dort gab es bei „Fokus Bach“ zu frühabendlicher Stunde in der grandiosen, auch für das eher kammermusikalische Musizieren akustisch „brauchbaren“ backsteingotischen Hauptkirche „Die Kunst der Fuge – Bach neu erlebt“. 

Streicher des Franz Liszt Kammerorchesters, Foto @ Oliver Borchert
Streicher des Franz Liszt Kammerorchesters, Foto @ Oliver Borchert

Das Konzept gilt als Wunsch des SIGNUM saxophone quartets, Preisträger in residence 2024: Die 21 Teile des polyphonen Groß- und Meisterwerks (BWV (1080) in einem Riesenraum an unterschiedlichen Standorten sowie in mehreren Besetzungen zu präsentieren und es damit im Einzelsatz wie als Gesamtwerk akustisch auf eine neue Weise zum Klingen zu bringen. Beteiligte waren hier das SIGNUM saxophone quartet, acht Streicher des Franz Liszt Kammerorchesters Budapest und Sebastian Küchler-Blessing, Publikumspreisträger 2010, an gleich drei Orgeln. Für die durchgehend helle, geradezu heimelige Lichtgestaltung sorgte Jörg Bittner (Konzept Folkert Uhde). 

Zu erleben war das Werk damit in ständigen Wechseln zwischen fest vor dem Lettner positionierten Streichern (neun Sätze), drei verschiedenen Orgel-Standorten (sieben Sätze) und häufiger wechselnden Positionen der vier Saxophonisten (sieben Sätze. Wenn das hier 23 Einsätze ergibt, so resultiert diese Zahl aus zweimaligem Einsatz von Streichern und Saxophonen innerhalb eines Satzes). 

Sebastian Küchler-Blessing, Foto © Oliver Borchert
Sebastian Küchler-Blessing, Foto © Oliver Borchert

Entschieden war damit, dass es mindestens drei verschiedene Klangebenen gab. Wenn man drei sehr ungleiche Orgeln und spezifizierte Registrierungen dazu zählt, dann sogar fünf. Das konnte schon insgesamt den Reiz deutlich erhöhen, mit besonderer Aufmerksamkeit zuzuhören und unterschiedliche Klangwelten zu konstatieren – und – wir erlauben uns eine pauschale Einschätzung – in ihrer natürlich stets hochprofessionellen Darbietungsform auch (für sich) zu bewerten! Hinsichtlich der überaus kunstvoll gefertigten Canons (Orgel!) konnte das schon mal in angestrengte Hörarbeit ausarten, während softige und gut in die Ohren gehende Contrapuncti (vor allem Streicher) unter nicht ganz leichten akustischen Verhältnissen zumeist das Angenehme mit dem Kunstfertigen zu verbinden wussten. Klanglich am überzeugendsten gelangen jene Partien, die das saxophone quartet zu spielen hatte. Vielleicht kein besonderes Kunststück mit Möglichkeiten einer Tongebung, die klanglich weit trägt, auch größte Räume mühelos und sehr klar zu füllen vermag und als Ensembleklang mit Transparenz, enormer Klangintensität und zwingender Musizierfreude faszinieren kann – wenn man denn so musiziert, wie es das SIGNUM saxophone quartet vermag. Aber unabhängig von unterschiedlichen Voraussetzungen und klanglichen Ergebnissen ließ heftiger Beifall nur einen Schluss zu: Der Abend bei „Fokus Bach“ hatte seine Aufgaben erfüllt. Und das – wie Vorstehendem zu entnehmen –  durchaus in mehrfacher Hinsicht! 

SIGNUM-Saxophonquartett, Foto © Oliver Borchert
SIGNUM-Saxophonquartett, Foto © Oliver Borchert

Aber: Mit Bach ging es dann noch weiter. Es folgte ein zweites Konzert mit dem Angebot, den Meister originären Orgelspiels und ebensolcher Komposition original wie in Be- und Verarbeitung zu erleben. Der Rahmen: eingangs Bachs Orgelfassung eines Vivaldischen a-Moll-Concerto grossos (BWV 593) und als Finale die Toccata d-Moll BWV 565. Beide gerieten unter den Händen des international hochgeschätzten und preisverwöhnten Essener Domorganisten Sebastian Küchler-Blessing zu denkbar bester Wirkung; vor allem die Toccata, für die der Solist an der großen Buchholz-Orgel eine metrisch-rhythmisch sehr griffige, fantasievoll „redende“ und im Übrigen hochvirtuose Version präsentierte. Hier noch als Solist brillierend, ging es in den beiden Werken des Mittelteils um einen Dialog zwischen Orgel und Live-Elektronik. Beide Werke stammten von Kaan Bulak (Berlin), der als Komponist, Pianist und Klangkünstler europaweit mit Sound Studies auf sich aufmerksam macht. In Stralsund zunächst mit „Inspiration_Bach für Orgel und Elektronik“ sowie „Orgelwerk I für Orgel und Elektronik „Hain“, Stücken, die generell zwischen Komposition und Improvisation changieren. Im erstgenannten Werk dienen ihm der Choral „Wachet auf, ruft uns die Stimme“, das berühmte „Air“ und ein weiteres Orgelwerk den Stoff für dreisätziges klangfarbliches „Fabulieren“, das im zweiten Werk vor allem elektronisch mit Eigenem „eskaliert“, Geräusche, handfeste „Verfremdungen“ und differenzierteste Stimmungsschwankungen präsentiert. Eine deutlich beruhigende, meditative Note ist unüberhörbar und wird erst im Finale kraftvoll überwunden. Bewusste Strukturen sind da auf die Schnelle nicht auszumachen. Zumal – einfach gesprochen – nicht viel passiert und der Fokus offensichtlich  auf einer Klanglichkeit liegt, die in Verbindung mit einer in diesem Stück stärker eingesetzten Lichtregie ganz auf Sinnlichkeit zielt. Im Übrigen verliert die Orgel an keiner Stelle ihre musikalisch wichtige Funktion als Partner. 

Late Night Bach, Foto © Oliver Borchert
Late Night Bach, Foto © Oliver Borchert

Es war übrigens ein sehr guter, dem Unternehmen sehr förderlicher Einfall, die beiden Protagonisten per Bildschirm einzuspielen und damit quasi einen momentan im Entstehen begriffenen Schöpfungsprozess auf drei Manualen, vielen Tasten und knopfgesteuerter Elektronik mitverfolgen zu können. Das Verfahren solcher Kombinationen an sich ist nicht neu, durchaus weit verbreitet und hinsichtlich seiner musikalischen Ergebnisse seriös diskussionswürdig. Voraussetzung wäre allerdings die Bereitschaft des Hörers, Erweiterungen des musikalisch Möglichen zu akzeptieren, sich der Forderung nach neuen Hörgewohnheiten positiv zu stellen und damit zur eigenen Erfahrungs- und Gesichtskreiserweiterung beizutragen. In Stralsunds Nikolaikirche konnte man dazu bei „Fokus Bach“ wichtige Erfahrungen sammeln.  

Titelfoto © Oliver Borchert

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