Einfach Klassik.

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Finnische Chormusik beim Usedomer Finale

Ein Beitrag von Ekkehard Ochs

Was für ein Usedomer Finale in Wolgasts großartiger Backsteinkirche St. Petri (14. Jh.)! Zu Gast: YLIOPPILASKUNNAN LAULAJAT, kurz YL, und damit Finnlands Spitzen-Männerchor als begeisternder Schlusspunkt des Usedomer Musikfestivals 2025. 1883 an der Universität Helsinki gegründet, ist das Ensemble längst eine nationale, weltweit hochgeschätzte Institution als älstester finnischsprachiger Chor und damit auch Bestandteil der finnischen Geschichte, mehr noch, Teil ihrer Identität! Letztere war drei Wochen lang auf musikalisch sehr abwechslungsreiche Weise zu erfahren, war Finnland doch dominierendes Thema des diesjährigen, mit 26 Veranstaltungen und mehr als 14 500 Besuchern wieder außerordentlich erfolgreichen Usedomer Musikfestivals. Nun also krönender Abschluss mit landestypischen Volksliedern und Chorkompositionen. 

Männerchor YL beim Usedomer Finale

Details müssen hier allerdings weitgehend außen vor bleiben. Denn mit 19 Chorwerken von 14 Komponisten (und noch mehr Arrangeuren) boten die rund 40 Mitglieder des Ensembles – im Programmheft ausgewiesen als Chor der finnischen Studentenschaft – eine große Bandbreite finnischen vokalen Komponierens. Und das textlich wie musikalisch. Und stilistisch sowieso.  

Pasi Hyökki, YL, Foto © Geert MAciejewski
Pasi Hyökki, YL, Foto © Geert Maciejewski

Insgesamt also der Blick durch ein großes Fenster auf musikalische Landschaften von sehr speziellem Reiz. Natürlich spielte die grandiose Natur des Landes eine Rolle, das Leben der Bewohner in alter wie neuer Zeit. Dann Historisches und Gegenwärtiges vom Nationalepos KALEVALA und der Sammlung KANTELETAR über eine finnische Hymne von 1701, dem Ossian ((James Macpherson), anspruchsvoller Lyrik verschiedener finnischer Schriftsteller und Dichter mit Texten zwischen Wiegenlied, Nachtstück und Grabgesang bis hin zu flotter Gegenwart, etwa einem Lobgesang auf die Hauptstadt Helsinki. 

Musikalisch stilistisch gestaltete sich das Bild entsprechend farbenfroh und abwechslungsreich. Und nicht verwunderlich war, dass die Komponisten überaus souverän mit den Möglichkeiten einer reinen Männerchorbesetzung umzugehen wussten. Die entsprechenden Traditionen sind lang. Sie sind auch von im Programm vertretenen Größen wie Jean Sibelius, Pekka Juhani Hannikainen oder Leevi Madetoja geprägt, von vielen anderen, uns leider unbekannten Meistern, ganz zu schweigen. Ihre im Chorprogramm vertretenen Namen aber sollten wir wenigstens nennen, denn sie sind für das finnische Selbstverständnis wichtig: Juuo Vanonen, Niels Burgman, Mikko Sodoroff, Selim Palmgren, Eero Grundström, Gösta Sundquist, Pave Maijanen, Erik Lindström und Toivo Kuula. 

Akustisch reizvoll

Musiksprachlich vereint sie alle eine große und wichtige Tradition, nicht zuletzt die einer schon sprichwörtlichen und nicht nur Finnland betreffenden „Nationalromantik“. Sie besitzt hier nicht zu erörternde Spezifika, ohne dass der Spielraum jeweils eigener Kompositionsweisen aufgegeben wird. Und: ungemein hörerfreundlich sind sie allemal!

Das wird jede*r Hörer*in in Wolgasts voll besetzter Evangelischer Kirche bestätigen. Wie auch nicht, denn es gelang, einen ganzen Abend über zwar in e i n e r Sprache, aber musikalisch in v i e l e n Dialekten zu sprechen. Spannend also blieb es von Werk zu Werk. Mal schlicht liedhaft, mal anspruchsvoll konzertant strukturiert, eher lyrisch zurückhaltend, aber auch energisch, strahlend klangrepräsentativ, ja wuchtig. Deutlich auch die enge Bindung an Inhalt und Sprachduktus des Textes, daraus folgend eine „rethorisch“ prägnante Gestik, oft genug im staccato des Parlando. Auch eine gewisse, mal mehr, mal weniger deutliche „Bildhaftigkeit“ war – je nach Text – im Spiel, von diversen Ausflügen in den Bereich lockeren, populären Agierens ganz zu schweigen. Unverkennbar der Zug zum attraktiven, fesselnden Klang als unverzichtbarem Bestandteil jeden Komponierens. Und der darf dann auch mal vorwiegend milde an den Grenzen normaler Tonalität kratzen und zu akustisch ganz reizvollen Erscheinungen führen. Etwa auch dort, wo man sich ganz „alten“ Vorbildern nähert und diese dann ganz „neu“ befragt.

Pasi Hyökki, Foto © Geert Maciejewski
Pasi Hyökki, Foto © Geert Maciejewski

Die Besonderheit im Programm: Ein „Cantate Domino“ (op. 97c) nach Psalm 98 des bekannten (deutschen) Komponisten Bertold Hummel, Vater des Gründers und noch heutigen Intendanten des Usedomer Musikfestivals Thomas Hummel und schon zu Beginn Berater und Unterstützer dieses Unternehmes; ein Gedenken zu dessen 100. Geburtstag.

Was den Chor selbst betrifft, so blieben keine Wünsche offen. Das, was er bot, war in jeder Hinsicht und unabhängig vom organisatorischen Status hochprofessionell. Man punktete mit einer sängerischen Disziplin, die so perfekt wie unauffällig selbstverständlich erschien und mit einer Gestaltungsfähigkeit von beeindruckender Bandbreite. Da fehlte keine agogische Nuance, keine noch so raffinierte Klangfarbe, keine dynamische Facette; von bestechender Intonation und ausgewogenem Gesamtklang dieser beneidenswerten Gemeinschaft von prächtigen Tenören und Bässen ganz zu schweigen. Man singt nicht schlechthin. Man redet, teilt mit und präsentiert zwischen verhauchendem piano und kraftvollem forte, zwischen heftig artikulierter, kontrastgeschärfter Sprechweise und schönstem, gefühlvollen legato Stimmungsbilder und Atmosphären von faszinierendem, die Sinne schärfenden Charakter. Das sind Qualitäten, die dann auch diversen Repertoire-Erweiterungen zugute kommen, denn die unüberhörbaren Anleihen an eher unterhaltsame Musikpraktiken – scherzose, spielerische Elemente eingeschlossen –  profitieren davon in gleicher Weise. 

Das Gesamtprogramm war – alles in allem – wohl das, was ein moderierender Sprecher des Chores als „echt finnisch“ bezeichnete. Auf seine Haben-Seite darf sich das vor allem Pasi Hyökki schreiben. Er leitet diverse Chöre und ist seit 2010 auch der künstlerische Chef, also Dirigent des Ensembles und hat da offensichtlich vorzügliche Arbeit geleistet. Er steht einer Sängergemeinschaft vor, die höchsten Ansprüchen gerecht zu werden versteht und sie, wie zu lesen, auch zum Beispiel chorsinfonisch einzulösen vermag. Für Wolgast war das Usedomer Finale ein Highlight, das heftig gefeiert wurde und zu zwei Zugaben führte. Deren letzte – sehr charakteristisch, sehr finnisch , so leise und eindringlich wie wirkungsvoll: Jean Sibelius und sein kultischer Chorsatz „Finlandia“.   

Titelfoto © Geert Maciejewski

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