Es gehört zum Jahreswechsel wie Dinner for One, Champagner und Feuerwerk: Das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker, das von A wie Applaus bis Z wie Zither viel zu bieten hat.
Applaus
Wird üblicherweise vom anwesenden Publikum üppig gespendet, in Zeiten der Corona-Pandemie muss das Neujahrskonzert aber vor leerem Saal stattfinden. Applaudiert werden kann trotzdem, unter https://www.neujahrskonzertapplaus.com/. Die Beifallsbekundungen werden dann direkt in den Musikverein übertragen.
Ballett
Die Tänzerinnen und Tänzer des Wiener Staatsballetts sind fixer Bestandteil des Konzerts, aber meist nur in der Fernsehübertragung zu sehen, denn die Balletteinlagen werden üblicherweise bereits vorab aufgezeichnet.
Charme
Üppiger Blumenschmuck, eingängige Melodien und schöne Fernsehbilder – Österreich präsentiert sich in der Übertragung des Neujahrskonzerts gerne von seiner charmantesten Seite.
Dirigent
Erst seit 1987 gibt es alljährlich einen anderen künstlerischen Leiter des Neujahrskonzerts. 2021 ist zum bereits sechsten Mal Riccardo Muti dran. Der Italiener, der ohnehin nie so wirkt, als ob ihm diese Aufgabe Spaß macht, dürfte am 01.01 wohl noch grimmiger dreinblicken – in zahlreichen Interviews verkündete er bereits seinem Unmut über die Entscheidung, ohne Publikum spielen zu müssen.
Ehrengäste
Bundespräsident, Bundeskanzler, Prominenz aus (internationaler) Politik und Wirtschaft… Die Ehrengäste müssen ins Konzert, ob sie wollen oder nicht.
Fernsehen
In über 90 Ländern wird das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker übertragen, mehr als 50 Millionen Zuseher hat das Spektakel dadurch jedes Jahr.
Großer Musikvereinssaal
Wird aufgrund seiner prunkvollen Gestaltung auch als „Goldener Saal“ bezeichnet. Er ist nicht nur optisch ein Genuss, sondern bietet auch grandiose Akustik. Architekt Theophil Hansen konnte in den 1860er-Jahren dafür nicht auf wissenschaftliche Erkenntnisse zur Raumakustik setzen, sondern verließ sich auf Gefühl und Erfahrungswerte.
Humor
Fast alle Dirigenten bauen spätestens bei den Zugaben ein kleines Augenzwinkern ein; Andris Nelsons packte 2020 die Trompete aus und Daniel Barenboim bewies 2014, dass die Wiener Philharmoniker eigentlich gar keinen Dirigenten brauchen.
Italien
Zwischen 1980 und 2013 war der Blumenschmuck ein Geschenk der Stadt Sanremo. Dann gingen den Italienern offenbar die Blumen aus, denn seit 2014 kümmern sich die Wiener Philharmoniker selbst um die blühende Deko.
Jahreswechsel
Nicht nur am 1. Jänner, sondern bereits vor dem Jahreswechsel ist das Neujahrskonzert zu hören – bei der Voraufführung am 30.12 und dem Silvesterkonzert.
Karten
Heiß begehrt sind die Karten für das Neujahrskonzert, deswegen werden sie im Rahmen einer Online-Verlosung vergeben. 1200 Euro sind für die beste Kategorie fällig, um 35 Euro ist man am Stehplatz dabei.
Live
Jahr für Jahr wird das Konzert live übertragen; zu nennenswerten Pannen oder Skandalen ist es allerdings noch nie gekommen. Könnte vielleicht daran liegen, dass Flitzer Fußball einfach spannender finden als Walzer.
Moderation
Durch das Programm wird das deutschsprachige TV-Publikum von ORF-Kulturlady Barbara Rett geführt. Ihr US-amerikanisches Pendant ist übrigens Julie Andrews, die die Kombination aus Österreich und Musik wohl besonders in ihr Herz geschlossen hat.
NS-Zeit
Auf Initiative der Wiener Philharmoniker und des Dirigenten Clemens Krauss wurde am Silvesterabend 1939 ein Konzert mit Werken der Strauss-Dynastie zu Gunsten des „Winterhilfswerk des Deutschen Volkes“ veranstaltet. Ab 1941 fand das Konzert am Neujahrstag statt und war fixer Bestandteil von Goebbels Propagandastrategie, um Wien als Stadt der Musik und Geselligkeit zu inszenieren. Lange hielt sich dennoch der Mythos, das Neujahrskonzert sei stets unpolitisch gewesen; die aktive Aufarbeitung der NS-Vergangenheit des Orchesters und des Neujahrskonzerts erfolgt erst seit 2011.
Outfit
Über das richtige Outfit müssen sich die Mitglieder des Orchesters keine Gedanken machen, für das Neujahrskonzert gibt es einheitliche Konzertkleidung. Seit 2017 beginnt das Jahr im „Philharmonic Suit“ bzw. im „Philharmonic Ladies Suit“, die von Stardesignerin Vivienne Westwood und ihrem Mann Andreas Kronthaler entworfen wurden.
Pausenfilm
Seit 30 Jahren wird in kitschigen, knapp 25 Minuten dauernden, Filmchen ein idyllisches Österreich-Klischee in die Welt gesendet, das für Touristenströme von Hallstatt bis Wien sorgen soll.
Qualität
Nirgendwo sonst bekommt man Walzerseligkeit auf so hohem Niveau zu hören, wie beim Neujahrskonzert; die Philharmoniker haben dieses Genre einfach im Blut.
Radetzkymarsch
Eine Premiere gab es 2020, als erstmals eine originalgetreuere Version des Klassikers gespielt wurde. Jahrelang war ein Arrangement von Leopold Weninger in Verwendung, der überzeugtes NSDAP-Mitglied war und für die SA den Radetzkymarsch neu arrangiert hatte, um ihn militärischer und zackiger klingen zu lassen.
Strauss-Dynastie
Johann Strauss (Vater) und seine Söhne Eduard, Josef und „Walzerkönig“ Johann steuern alljährlich die meisten Werke zum Programm des Neujahrskonzerts bei.
Tradition
Nicht nur bei Dinner for One gilt „same procedure as every year“, auch beim Neujahrskonzert gibt es fixe Abläufe. So unterbricht das Publikum die ersten Takte des Donauwalzers mit Applaus, woraufhin die Philharmoniker und der Dirigent „Prosit Neujahr“ wünschen; beim Radetzkymarsch klatschen die Anwesenden (mehr oder weniger) im Takt mit.
Uhrzeit
Allzu wild sollte man Silvester nicht feiern, wenn man pünktlich zum Konzertstart um 11:15 Uhr fit sein will. Für österreichische Langschläfer strahlt ORF 3 das Konzert um 20:15 nochmals aus.
Vermarktung
Kaum ist der letzte Ton verklungen, startet die Marketing-Maschinerie. Die CDs und DVDs sind bereits nach wenigen Tagen erhältlich – und weltweit echte Kassenschlager.
Walzer
Der Klassiker im ¾ Takt ist neben Polka, Galopp und Marsch eine tragende Säule des Neujahrskonzerts.
X-beliebig
Apropos Walzer – viele davon sind gefühlt x-beliebig austauschbar und spätestens nach einer Stunde Neujahrskonzert klingt plötzlich alles gleich; verstärken lässt sich dieser Effekt durch Champagner.
Y-Chromosom
Traditionell stark vertreten bei den Wiener Philharmonikern, denn erst seit 1997 werden Frauen aufgenommen. Durch die geringe Fluktuation (Stellen werden hauptsächlich bei Pensionierungen frei) und den langwierigen Aufnahmeprozess (frühestens nach 3 Jahren im Staatsopernorchester kann ein Aufnahmeantrag gestellt werden) erhöht sich die Anzahl der Philharmonikerinnen nur langsam. Wann erstmals eine Dirigentin das Neujahrskonzert leiten wird, steht noch in den Sternen.
Zither
Dieses Instrument der alpenländischen Volksmusik hat einen Solopart in meinem persönlichen Lieblingswalzer von Johann Strauss (Sohn): Geschichten aus dem Wienerwald. Heute würde man die Mischung aus Walzer und Wienerlied wohl als Crossover bezeichnen.
Titelfoto: Diomari Madulara on Unsplash