Die renommierte ICMA-Preisverleihung machte erstmals in Düsseldorf Station und setzte ein kraftvolles Zeichen für die klassische Musik in schwieriger werdenden Zeiten. Mit hochkarätigen Preisträgern, bewegenden Darbietungen und einer klaren kulturpolitischen Botschaft bewies der International Classical Music Award seine Bedeutung als „Lichthaus“ für kulturelle Substanz jenseits kommerzieller Verwertungslogiken, wie es sein Präsident Remy Franck in der Begrüßungsansprache während der Preisverleihung sinngemäß formulierte.
Der International Classical Music Award (ICMA) etabliert sich seit 2011 als Institution, die musikalische Exzellenz würdigt. Nach Leipzig 2017 war Düsseldorf erst die zweite deutsche Stadt, die dieses kulturell hochkarätige Ereignis beherbergen durfte. Die Auszeichnungen wurden von einer internationalen Jury aus 19 Experten aus 15 Ländern aus rund 20.000 bewerteten Alben ausgewählt.
Der ICMA versteht sich als aktiver Förderer qualitätsbewusster Rezeption in der europäischen Musiklandschaft. Hier benannte Remy Franck die aktuellen Herausforderungen: „Es gibt immer mehr Releases und weniger Verkaufszahlen!“ Diese ökonomische Realität wird durch eine schwindende mediale Sichtbarkeit der kulturellen Vielfalt verschärft, wie der Luxemburger am Beispiel Frankreichs verdeutlichte: „In nur ein paar Tagen wird Frankreich nicht weniger als drei Musikmagazine verlieren. Immer mehr Zeitungen schließen ihre Seiten über klassische Musik.“

Ebenso erschwere die Digitalisierung die angemessene Anerkennung innovativer Projekte: „Die Suchmaschinen sind nicht für klassische Musik optimiert. Bei einer Beethovensinfonie findet man stets dieselben, am häufigsten gehörten Aufnahmen.“ Gleichzeitig benachteilige das Vergütungsmodell der Streaming-Plattformen systematisch die zahllosen, eher unbekannten, aufstrebenden Künstlerinnen und Künstler. Ein Preisträger fasste dies in seinem eigenen Statement so zusammen: „Wir schaffen Kunstwerke für die Ewigkeit und werden nach Fast-Food-Logik bezahlt.“
Ein Netzwerk der Wertschätzung
Mit seiner pan-europäischen Jury schafft der ICMA hier ein Netzwerk der Wertschätzung, auch jenseits nationaler Grenzen. „Musik spricht eine universelle Sprache, die tiefer reicht als jede politische Differenz,“ betonte ein Jurymitglied.
Die Düsseldorfer Symphoniker, selbst mit dem „Special Achievement Award 2025“ für innovative Publikumsformate und Umweltengagement ausgezeichnet, eröffneten unter Adam Fischers energischem Dirigat mit Mozarts „Figaro“-Ouvertüre das fast vierstündige (!) Galakonzert in der Düsseldorfer Tonhalle. Fischer selbst erhielt ebenfalls einen „Special Achievement Award“, zehn Jahre nach seiner preisgekrönten Mozart-Gesamteinspielung, die für ihre historisch informierte Spielpraxis in einem modernen Orchesterkontext gelobt wurde.
Ein Phänomen für sich ist der junge türkische Pianist Can Çakmur, der bereits zum dritten Mal innerhalb von fünf Jahren einen ICMA-Preis erhielt – auch das eine außergewöhnliche Erfolgsgeschichte, hinter der viel Ambition und noch mehr akribische Arbeit steht. Schon während der Preisverleihung präsentierte er gemeinsam mit Can Sarac Schuberts „Lebensträume“ auf einem Shigeru Kawai-Flügel, seinem Lieblingsinstrument. Der dritte Satz aus Beethovens Klavierkonzert bestach durch seine hellwache Interaktion mit dem Orchester, wobei viele seiner impulsiven Vorstöße bewiesen, dass hier jemand das Bekannte neu zu denken wagt.

Gidon Kremers Auftritt anlässlich der Verleihung des „Lifetime Achievement Award“ für sein ganzes Lebenswerk und für seine einflussreiche Künstlerpersönlichkeit bildete einen emotionalen Höhepunkt. Seine Interpretation der beiden ukrainischen Musikstücke, nämlich Silvestrovs „Serenade für Violine solo“ und Kosenkos „Dreams“ wirkten wie demütige Gebete voll spiritueller Tiefe. Besonders die filigranen Flageolett-Töne und die dynamischen Abstufungen im Pianissimo-Bereich schufen eine Atmosphäre meditativer Innerlichkeit. Das Publikum verharrte nach dem letzten verklingenden Ton in ergriffener Stille, bevor minutenlange Standing Ovations ausbrachen.
Das Danel Quartet, ausgezeichnet für ihre Schostakowitsch-Einspielung, demonstrierte im ersten Satz des zweiten Quartetts ihre einzigartige Klangsprache, die drastische Ausdrucksgesten mit struktureller Klarheit verbindet. Besonders die exponierten Dissonanzen im Mittelteil wurden mit kompromissloser Intensität ausgekostet, ohne den formalen Zusammenhalt zu gefährden – eine tiefgreifende Annäherung an die Komplexität des Werkes.
Wie man mal eben die Tonhalle zum Rocken bringt in diesem Riesen-Konzertmarathon bewies Leonardo García Alarcón, der als Dirigent und Cembalospieler zum „Künstler des Jahres“ ausgezeichnet worden war und Händels „Royal Fireworks Music“ zum farbenfroh treibenden Klangfest steigerte.
Auch der luxemburgische Cellist Benjamin Kruithof und „Rising Star“-Preisträger, beeindruckte in Tschaikowskys „Pezzo Capriccioso“ durch viel spielerische Überlegenheit gepaart mit emotionale Reife. Seine Interpretation verband slawische Melancholie mit aristokratischer Eleganz, wobei besonders die lyrischen Passagen durch sein warm-timbriertes Cantabile berührten.

Christoph Ehrenfellners Uraufführung „Wiener Blut 200“ kombinierte als Auftragskomposition sehr kreativ Walzertraditionen mit komplexen zeitgenössischen Strukturen in einer humoristischen Collage. Pēteris Vasks‘ „Fernes Licht“ für Violine und Streichorchester, hochexpressiv dargeboten von Stanko Madić, entfaltete seine charakteristische Klangsprache zwischen baltischer Spiritualität und universeller Transzendenz.
Ohne Musik ist das Leben in Irrtum
Noch viele weitere leidenschaftliche Darbietungen in diesem kolossalen Mix zeigten künstlerische Exzellenz im Dienst idealistischer Werte, aber ohne oberflächlichen Glamour und auch, was besonders anregend wirkte, ohne einschläg abgspielte Klassik-Hits, dafür mit umso mehr Entdecker-Repertoire. Gidon Kremers in seiner Ansprache artikuliertes Nietzsche-Zitat, dass „ein Leben ohne Musik ein Irrtum“ sei, brachte die gerade in heutiger, unsteter Zeit so elementare Bedeutung einer achtsamen Musikrezeption auf den Punkt. Und last but not least wirkte das in Düsseldorf so hautnah erlebbare Engagement des ICMA auch wie eine klare Ansage etwa an den Opus Klassik, dessen wachsende Tendenz zur Bevorzugung längst etablierter Stars ebenfalls die Umverteilung von unten nach oben in der Aufmerksamkeitsökonomie ebenfalls vorantreibt.
Titelfoto © Susanne Diesner