Die Orchesterakademie des WDR Sinfonieorchesters bietet Stipendiat*innen eine zwei Jahre dauernde Ausbildung in der jungen Musiker*innen Orchesterpraxis vermittelt und der Einstieg ins Berufsleben vorbereitet wird. Wie der gemeinnützige Verein das genau umsetzt, das hat mir Vorstandsvorsitzender und Trompeter Daniel Grieshammer im Interview erzählt.
Daniel Grieshammer, der Ablauf des Stipendiums bei der Orchesterakademie des WDR Sinfonieorchesters ist mit der Verbindung der Stipendiat*innen mit erfahreneren Orchestermusiker*innen und den vielfältigen Coachings gleichzeitig zielgerichtet, sinnvoll und sehr attraktiv. Wie werden Stipendiat*innen ausgewählt und wie groß ist die Zahl der Bewerbungen?
Die Orchesterakademie des WDR Sinfonieorchesters vergibt aktuell insgesamt 14 Stipendien für Streicher, Bläser und Harfe. Die freien Stellen werden auf der Plattform www.muvac.com ausgeschrieben und die Bewerberzahlen variieren von Instrumentengruppe zur Instrumentengruppe. Bei Geigen gibt es schon mal über 150 Bewerbungen pro Stelle, bei Bläsern zwischen 50 und 80 Bewerbungen. In den Probespielen sitzen Kolleginnen und Kollegen des WDR Sinfonieorchesters aus den entsprechenden Fachgruppen und nehmen das Probespiel über mehrere Runden ab.
Die Belastungen sind für junge Musiker*innen gerade in der Zeit von Probespielen sehr hoch. Die Akademie bietet Mentalcoaching durch externe Spezialist*innen an. Worauf wird dabei Wert gelegt?
Der Begriff Mentalcoaching ist ja sehr, sehr weit gefasst und wir haben Spezialisten aus verschiedenen Bereichen. Das sind zum Teil erfahrene Orchestermusiker, die sich selber psychologisch weitergebildet haben und die Auftrittsroutinen einstudieren. Wir hatten eine Zusammenarbeit mit der Sporthochschule Köln mit einem Psychologen, der das Auftreten der Stipendiat*innen aus einem ganz anderen Metier bewertet, es gibt Kommunikationstrainings, in der nicht nur die direkte Rede – zum Beispiel für Moderationen- sondern auch die Körpersprache trainiert wird. Das soll zu einer besseren Selbstwahrnehmung und einem überzeugenden Auftreten im Probespiel führen. Am Ende zählt ja nicht nur die instrumentale Leistung, sondern das gesamte Auftreten.
Welchen Herausforderungen stehen Orchestermusiker*innen heute gegenüber, wenn sie das Gleichgewicht aus Leistungsfähigkeit auf der einen und Vermeidung von Überlastungen auf der anderen Seite herstellen wollen?
Da die Arbeit in einem Orchester wie dem WDR Sinfonieorchester projektweise abläuft, gibt es Wochen, die sehr leistungsorientiert und anstrengend sind und dann auch wieder Wochen, in denen es etwas ruhiger zugeht. Das wirkt sich natürlich auch auf die Ausbildung der Stipendiat:innen aus, die in Wochen mit hoher Belastung, beispielsweise bei einer Mahler Sinfonie oder einem Strauss-Programm, weniger Zeit zum Üben haben als in den anderen Wochen. Wir versuchen da, eine ausgewogene Mischung aus Anspruch und freier Zeit zum Üben zu finden.
Sie bieten den Stipendiat*innen unter anderem Fitnessworkshops an. Die körperlichen Anforderungen an Kammer- oder Orchestermusiker*innen sind sehr hoch. Geht die Akademie die Ausbildung auch noch in anderen Aspekten ganzheitlicher an als in musikalischer Ausbildung?
Zu ganzheitlichen Aspekten gehört natürlich nicht nur die musikalische Arbeit, sondern auch eine umfassende Betreuung in allgemeinen Fragen. Daher bieten wir regelmäßige Yogakurse und Physiotherapie an und vermitteln auch Grundlagen in allgemeinen Themen, die man als angehende Orchestermusiker*in kennen sollte, also Themen zu Arbeits- und Steuerrecht, Fragen zu Sozialversicherung und privater Altersvorsorge. Mit diesen Themen sollte man sich sehr früh, am besten bereits im Studium auseinandersetzen.
Mit dem Angebot von Orchester- und Kammermusikprojekten offerieren Sie schon eine Bandbreite an Möglichkeiten. Gibt es noch andere Tätigkeitsrichtungen für klassische Musiker*innen, die Sie in der Ausbildung beleuchten oder sogar erarbeiten?
Wir haben in der Zeit der Coronapandemie, als die Orchesterbesetzungen stark verkleinert spielen mussten, Projekte organisiert, in denen die Stipendiat:innen als Solisten mit einem Kammerorchester des WDR Sinfonieorchester aufgetreten sind und ihre Probespielkonzerte aufführen konnten. Das war eine erweiternde Erfahrung, diese Konzerte nicht nur mit Klavierbegleitung sondern mit einem hochkarätigen Kammerorchester spielen zu können. Und natürlich sind die Stipendiat*innen auch bei Musikvermittlungsprojekten wie dem „Konzert mit der Maus“ dabei.
Die Akademie kann eine Vermittlungsquote von 85 % verzeichnen. Das ist sehr beeindruckend. Bieten Sie denn den anderen 15 %, die keine Anstellung finden, auch noch Unterstützung an?
Die konkrete Unterstützung endet mit Ablauf des Stipendiums. Einige Musiker:innen nehmen aber weiterhin privaten Unterricht bei Kolleginnen und Kollegen des WDR Sinfonieorchesters. Wir hoffen natürlich, dass alle ehemaligen Stipendiat:innen irgendwann auch noch ein Probespiel gewinnen werden.
Gibt es über die praktische Durchführung der Stipendien hinaus übergeordnete Qualitätsbetrachtungen der Prozesse oder Möglichkeiten zur Supervision für den Fall dass junge Musiker*innen Konflikte oder Probleme haben?
Da wir als Orchesterakademie ja eine Erweiterung zu den Hochschulen darstellen und die meisten unserer Stipendiat:innen weiterhin im Masterstudium irgendwo eingeschrieben sind, übernehmen wir „nur“ die Ausbildung im Orchesterspiel. Probleme und Konflikte im Rahmen des Orchesters und der Akademie werden natürlich behandelt und gelöst, Konflikte im Rahmen des Studiums können von uns entsprechend nur bedingt behandelt werden.
Wie ermutigen Sie die Musiker*innen aus dem WDR Sinfonieorchester zur Mentorenschaft? Oder gibt es da mehr Bereitschaft als benötigt wird?
Die Bereitschaft im Orchester, Verantwortung zu übernehmen, ist sehr groß, wir haben da keine Schwierigkeiten, Mentorinnen und Mentoren zu finden.
Die Finanzierung Der Akademie ist durch die Verkopplung eines Fördervereins und eines Trägervereins klassisch organisiert. Wie gehen beide Vereine die Einwerbung von Spenden oder Mitgliedern an und wie kommen potentiell an Unterstützung interessierte Menschen am besten in Kontakt?
Der Förderverein des WDR Sinfonieorchesters unterstützt die Akademie konkret mit finanziellen Zuwendungen. Die Mitglieder des Fördervereins werden regelmäßig zu Kammerkonzerten und Probespielsimulationen zum Zuhören eingeladen und kommen so in persönlichen Kontakt zu den Stipendiat*innen.
Was treibt Sie als erfahrenen Orchestermusiker zur Arbeit in der Akademie an?
Ich persönlich war Anfang der 90er Jahre selber Akademist an der Orchesterakademie der Berliner Philharmoniker und konnte als junger Student in das Orchesterleben hineinschauen. Diese Eindrücke von damals bleiben unvergessen und geben enormen Antrieb, sich zu entwickeln – und das wollen wir heute mit unserer Akademie auch vermitteln.
Sie sind ja neben dem reinen Orchesterspiel im WDR Sinfonieorchester noch in mehreren Gremien, im Blechbläserensemble und in anderen Orchestern aktiv. Haben Sie in der Akademie auch direkt mit Stipendiat*innen zu tun, oder sind Sie dort rein administrativ tätig?
Das versuche ich zu trennen. Die Arbeit im Vorstand der Orchesterakademie hat mit anderen Gremien wie Gewerkschaftsdelegierter oder Medienbeirat im WDR Sinfonieorchester nichts zu tun und laufen getrennt nebeneinander. Am Erfüllendsten ist es immer, wenn wieder einmal Stipendiat*innen Probespiele gewinnen.
Daniel Grieshammer, vielen Dank für dieses Gespräch!
Titelfoto: Stipendiat*innen der Akademie des WDR Sinfonieorchesters, Foto © WDR