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Einfach Klassik.

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Interview mit dem Countertenor Alois Mühlbacher und seinem Mentor Franz Farnberger

„Wir wollten etwas Gemeinsames, Vertrautes machen“

Alois Mühlbacher ist ein Phänomen – das gilt nicht nur für seine unvergleichliche Countertenorstimme, sondern ebenso für seinen Ehrgeiz, seine Darstellungslust und diese gewisse Leichtigkeit, mit welcher der einstige Sängerknabe beim oberösterreichischen Sankt-Florians-Stift die internationale Profi-Liga erobert hat. Am 13. Februar singt Alois Mühlbacher in Händels Oper Alcina (Leitung Marc Minkowski) die Rolle des Oberto in Hamburgs Elbphilharmonie. Zwei bemerkenswerte CD-Aufnahmen mit Pergolesis Stabat Mater/ Vivaldis Nisi Dominus sowie mit späteromantischen Liedern von Richard Strauss und Gustav Mahler belegen einmal mehr die Flexibilität des 28jährigen, der von seinem coolen Auftreten her so garnicht ins Chorknaben-Klischee passen will. Im letzten Sommer traf ich ihn und seinen Freund und langjährigen Mentor Franz Farnberger zum Frühstück im lauschigen Wiener Café „Goldener Papagei“.

Herr Mühlbacher, wie hat alles angefangen?

Alois Mühlbacher: Ich habe zuhause immer gesungen. Meinen Eltern ist aufgefallen, was für eine laute und hohe Stimme ich habe. Meine Mutter schlug vor, dass ich bei den Sängerknaben vorsinge und das tat ich. Ich möchte mich gar nicht als Ausnahmetalent bezeichnen, sondern habe einfach nur viel Ehrgeiz gehabt. Damals war mir nicht klar, dass es mal etwas besonderes werden würde. Trotzdem wurde ich recht schnell Solist. Meine Stimme entwickelte sich, dass ich große Sachen singen konnte. Franz war ja der Chorleiter und wir haben damals ununterbrochen gemeinsam gesungen. 

Erzählen Sie über Ihre Zusammenarbeit mit Franz Farnberger 

Alois Mühlbacher: Wir haben eine ganze Menge Literatur erarbeitet und auch schon früh mit dem Aufnehmen begonnen. Wir hatten riesigen Spaß dabei und manchmal die unmöglichsten Sachen gemacht. Franz wollte alles gerne. Dabei ist später dann die CD „Alois Unerhört“ rausgekommen. Wir wollten diese erst gar nicht veröffentlichen, aber dann wurde es die bestverkaufte CD in Oberösterreich. Dieser Titel sollte einerseits ausdrücken, dass ein Teil des enthaltenen Repertoires wohl noch nie von einem Knaben gesungen wurde, andererseits es für einen Buben unerhört (im Sinne von frech) war, sich an diese Stücke heranzuwagen.

Herr Farnberger, wann ist Ihnen das Potenzial von Alois zum ersten mal aufgefallen?

Franz Farnberger: Ich hatte schon beim ersten Vorsingen gemerkt, dass es etwas ganz besonderes ist. Neben seinem sängerischen Talent habe ich von Anfang an seinen Willen und seine schauspielerische Ausdruckskraft gesehen. 

Franz Farnberger, Alois Mühlbacher, Foto © Georg Wiesinger
Franz Farnberger, Alois Mühlbacher, Foto © Georg Wiesinger

Sie sind ja dann ins Internat der Florianer Sängerknaben aufgenommen worden. Wie gingen schulische Allgemeinbildung und künstlerischer Werdegang miteinander einher?

Alois Mühlbacher: Es gab einen normalen öffentlichen Schulunterricht, aber in den Klassen wurde darauf Rücksicht genommen, wenn wir auf Tournee gegangen sind. Morgens lief der Schulunterricht. Der ganze Nachmittag war dem Singen gewidmet. Es gab immer mehr solistische Aufgaben, zum Beispiel in einer Messe. Dann kamen Solokonzerte mit der Ars Antiqua Austria hinzu. Und dann haben wir circa eine neue CD-Aufnahme pro Jahr gemacht. Meistens mit oberösterreichischen Werken, die wir in Bibliotheken ausgegraben haben. 

Franz Farnberger: Nicht jeder Sängerknabe muss hier so einen erfüllten Tag mit Musik haben, viele gehen nach der Schule auch Fußball spielen. Aber für Alois war es das liebste, zu proben. 

Ist Singen für Sie wie atmen? 

Alois Mühlbacher: Das war als Kind noch viel stärker ausgeprägt – jetzt natürlich auch, wo es mein Beruf ist. Das gibt mir Ausdrucksstärke, die ich anders nicht erreichen kann. 

Beschreiben Sie Franz Farnberger als Lehrenden! 

Alois Mühlbacher: Das besondere an unserer Beziehung war, dass Franz mich alles hat ausprobieren lassen. Es gab immer etwas zu verbessern, aber es war nie etwas wirklich falsch. Das hat mich am meisten gestärkt. Es wurden meine Talente gefördert. Wo ich nicht so talentiert war, das hat man nicht so angeschaut. Genau diese Mischung hat mich als Kind zu Höchstleistungen gebracht. Heute wundere ich mich, wie das so hat funktionieren können in dieser Leichtigkeit. Es war immer etwas natürliches, an dem es keine Zweifel gab. 

Wie ging Ihre Karriere weiter?

Alois Mühlbacher: Eines meiner größten frühen Erlebnisse war im Alter von 15 Jahren an der Staatsoper, wo ich den jungen Hirten im Tannhäuser spielte. Später folgte, ebenfalls an der Staatsoper, Händels Oper Alcina, wo ich den Oberto gesungen habe, wovon es auch eine DVD-Aufnahme gibt. Das ist eines der schönsten Erlebnisse bislang. Von dem Moment an hatte ich das Gefühl, ich kann alles singen. 

Franz und ich haben viel gemeinsam erlebt, in Tokio habe ich die Rolle des „Yniold“ in Debussy’s Oper „Pelleas et Melisande“ gesungen.Großartig war die Johannespassion in Ravenna und in Wien. Ich hatte Konzerte in Los Angeles, Madrid und immer wieder im Musikverein. Zum Beispiel zusammen mit Dorothee Oberlinger. Regelmäßig arbeite ich mit Martin Haselböck zusammen. Nächstes Jahr touren wir nach Amerika. Ja, es gibt immer neue Sachen, die einfach super sind. Mit Franz geht es immer wieder darum, etwas Gemeinsames, Vertrautes zumachen.

Hätten Sie sich so eine rasante Entwicklung träumen lassen?

Alois Mühlbacher: Ich war als Kind davon überzeugt, dass es klappen würde. Mein Selbstbewusstsein war vor allem als Kind besonders stark. Heute ist es anders und schwieriger, denn der künstlerische Prozess ist durch viel mehr Nachdenken und Reflektieren geprägt. Aber ohne Selbstbewusstsein wäre es schwierig, auf der Bühne zu stehen. Viele Künstler sind von Selbstzweifel geplagt, das ist auch normal. Aber auf der Bühne musst Du alles loslassen können und auch das Denken zurück drängen.

Franz FarnbergerMan kann durchaus voraussagen, wie es sich bei talentierten Sängerknaben entwickelt. Es gibt junge Sänger, die erst wenig auffallen und dann richtig gut werden. Bei Alois war das Solistentum so herausragend, dass man sich nicht vorstellen konnte, dass er nicht Sänger würde. 

Gibt es spezifische Herausforderungen beim Countertenor singen? 

Alois Mühlbacher: Countertenor singen ist nicht Sache einer körperlichen Disposition, sondern vor allem Sache der Technik. Die ist in allen Stimmlagen relativ ähnlich, auch wenn beim Countertenor gewisse spezifische Schwierigkeiten hinzu kommen.

Franz Farnberger: Man muss sich bewusst entscheiden, ob man normale Männerstimme singen möchte oder eben nicht. Die physische Herausforderung beim Countertenor singen ist, dass man genauso hoch wie als Kind singen muss, aber die Stimmbänder bei einem erwachsenen Menschen doppelt so lang sind. Alois war sehr verliebt in seine hohe Lage. Am Anfang wollte er gar nicht Countertenor werden, das war nicht sein Traum. Er hat aber gemerkt, dass er das sehr gut kann. Wir haben dann gezittert, als er 14 war und in den Stimmbruch kommen würde und vieles nicht mehr so singen könnte. 

Alois Mühlbacher: Ich bin als Kind sehr mit dieser hohen Stimme identifiziert worden. Also bekam ich Angst vor dem Stimmbruch und fürchtete, dann gibt es mich nicht mehr. Ich hatte immer das Gefühl, ich kann mich durch das Singen so ausdrücken wie sonst nicht und bekam Angst, dass dies verloren geht. Ich möchte diese Zeit nicht wieder erleben. Aber dann wurde klar, dass es weiter gehen würde. Ich habe ja auch die Bassbaritonstimme, die ich verwenden kann.

Franz Farnberger: Es gibt einen Unterschied zwischen Alois als Knabe und heute. Damals war seine Stimme einer weiblichen Stimme sehr viel ähnlicher. 

Können Sie im Konzert einfach so hin und her switchen? 

Franz Farnberger: Es gibt Konzerte, wo Alois erst mal die Bassarie gesungen hat und dann die Altstimme direkt hinterher liefert.

Alois Mühlbacher: Das ist natürlich die Show! 

Sie konterkarieren viele Klischees. Das Cover der CD „Nisi Dominus“ zeigt eine Unterwasseraufnahme von Ihnen. 

Alois Mühlbacher: Ich habe immer nach Freiheit gesucht und diese auch gefunden. 

Wie haben Sie das Aufnehmen erlebt? 

Alois Mühlbacher: Stabat Mater ist eines der großartigsten Werke. Wenn man es aufführt, passiert etwas mit einem. Jedes Stück ist für sich ein kleines Wunder. Es ist eines der berühmtesten Barockwerke. Wir haben etwas gesucht, das dazu passt und entschieden uns für Antonio Vivaldis Nisi Dominus. Wir haben mit der Ausgestaltung begonnen und auch neue Verzierungen erfunden, die gerne von der Norm abweichen. Kurz vor dem ersten Lockdown haben wir im Stift Sankt Florian aufgenommen. Akustik und Atmosphäre sind ideal. Wir fühlen uns hier wie auf einem Familientreffen. Da fiel es leicht, beim Singen viel zu riskieren, damit wirklich etwas besonders heraus kommt. Vorm Mikro herrscht weniger Stress, weil man es wiederholen kann. 

Alois Mühlbacher, Goto © Alexander Eder
Alois Mühlbacher, Goto © Alexander Eder

Mit Christian Ziemski macht auf dieser Aufnahme ein anderer junger Sänger mit, der noch eine Sopranstimme hat. Sehen Sie diesen schon als eine Art würdigen Nachfolger?

Franz Farnberger: Christian Ziemski hat eine ähnliche Singweise, wie sie Alois früher hatte.

Alois Mühlbacher: Jede Zeit bringt immer wieder sehr gute Knabensolisten hervor. Aber Christian Ziemski ist bislang der beeindruckendste für mich gewesen. Ich hatte mir schon lange gewünscht, mit ihm das Stabat Mater zu singen und ich empfinde es als großes Glück, dass ich mit ihm diese Produktion verwirklichen konnte. Mittlerweile ist auch er schon im Stimmbruch. 

Wie ist es zur Aufnahme der Duo-CD „Urlicht“ mit seinem romantischen Liedrepertoire gekommen? 

Alois Mühlbacher: Damit verbindet uns eine längere Geschichte. Wir haben früher schon, als ich quasi noch ein Kind war, Lieder von Rückert erarbeitet, haben aber aktuell noch weitere Lieder hinein genommen. Die Strauss-Lieder sind ein Auszug aus einigen seiner schönsten Lieder. 

Wie fühlt sich das Miteinander im Duo an?

Franz Farnberger: Als Pianist habe ich nur wenige Soloabende gegeben, aber in tausenden Konzerten die Sängerknaben vom Klavier aus geleitet. Das Begleiten liegt mir und ich würde von mir sagen, dass ich gut zuhören kann. Es war mir immer eine Freude, etwas gemeinsam zu machen, weil wir uns blind verstehen. Das ist auch ein schönes Gefühl beim Aufnehmen. Wir haben verschiedene Stärken und Schwächen, die sich gegenseitig ergänzen. 

Alois Mühlbacher: Vor allem hat mich Franz schon als Kind immer auf Augenhöhe behandelt.

Was sind Ihre nächsten Projekte? 

Ich bin gerade überraschenderweise eingeladen worden, meine Debut-Rolle des Oberto in Händels Oper Alcina mit dem Dirigenten Marc Minkowski im Februar 2023 für eine CD aufzunehmen und im Rahmen einer Europa-Tournee in der Pariser Philharmonie und in der Elbphilharmonie Hamburg konzertant zu singen. Ebenso habe ich gerade ein Engagement im Linzer Musiktheater in Händels Oper „Rinaldo“.

Herr Mühlbacher, Herr Farnberger, vielen Dank für dieses Interview!

Titelfoto © Alexander Eder

Konzert

13. Februar 2023 Elbphilharmonie Hamburg

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Musik und Schreiben sind immer schon ein Teil von mir gewesen. Cellospiel und eine gewisse Erfahrung in Jugendorchestern prägten – unter vielem anderen – meine Sozialisation. Auf die Dauer hat sich das Musik-Erleben quer durch alle Genres verselbständigt. Neugier treibt mich an – und der weite Horizont ist mir viel lieber als die engmaschige Spezialisierung, deswegen bin ich dem freien Journalismus verfallen. Mein Interessenspektrum: Interessante Menschen und ihre Geschichten „hinter“ der Musik. Kulturschaffende, die sich etwas trauen. Künstlerische Projekte, die über Tellerränder blicken. Labels, die sich für Repertoire-Neuentdeckungen stark machen. Mein Arbeitsideal: Dies alles fürs Publikum entdeckbar zu machen.
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