Ich bekomme mittlerweile pro Woche zig Emails an Orchestergraben. Kaum möglich alle zu bearbeiten. Doch eine trug neulich das Wort „Orchestrapunk“ im Titel. Es war die wirklich sehr nett geschriebene Zuschrift des Fotografen Sven-Kristian Wolf, der unter dem Namen „Orchestrapunk“ einen Blog betreibt, aber auch als Orchester- und Klassik-Fotograf tätig ist. Letzteres tut er jedoch nicht mit der in dieser Szene üblichen Bildsprache, Wolfs Fotos sind rauh, schwarz-weiß, im Moment und nicht gestellt. Was das aber mit Punk zu tun hat erzählt er mir im Interview.
Sven-Kristian Wolf, wie bist Du zum Fotografieren gekommen?
Man sagt ja gerne, dass Fotografieren der Sex des gealterten Rockmusikers ist. Und tatsächlich hat ein Hörsturz vor 6 Jahren dazu geführt dass ich meinen E-Bass samt Anlage verkauft und mir eine Kamera besorgt habe. Der Hörsturz gehört demnach zu den besten Dingen, die mir passiert sind.
Welchen Bezug hast Du zur Klassikwelt und wie ist der entstanden?
Als junger Punk war Klassik für mich die Musik des reichen Establishments und der Erzkonservativen, weshalb ich sie – wie viele junge Menschen – abgelehnt habe. Kurz vor meinem zwanzigsten Geburtstag wurde ich mehr oder minder genötigt, mir Mozarts Requiem am kalten Steinboden einer Kirche sitzend anzuhören, an Mozarts Todestag. Das war wie ein Rausch, den ich heute noch spüren kann, obwohl das Erlebnis über 30 Jahre her ist. Andererseits, ansonsten hätte ich mein Projekt „Orchestrapunk“ nicht ins Leben gerufen, finde ich die Hochkultur – Attitüde lächerlich. Es geht um die Musik, nicht um gesellschaftliche Events.
Was bedeutet Punk-Lifestyle für Dich?
Punk war in der 70ern eine Bewegung gegen soziale Ungerechtigkeit und definierte sich vor allem durch den Wunsch, starre Konventionen zu brechen. Patti Smith definierte Punk als Freiheit, seine Meinung deutlich hörbar zu sagen. Ich habe keine gefärbten Haare mehr, aber der Text von Mozarts „Bona Nox“ steht bis an mein Lebensende auf meinem Arm. Direkt über seinem Autogramm.
Siehst Du schon bestehende Parallelen zwischen der Punk-Einstellung und der Klassik?
Ja und nein. Als ich bei den letzten Osterfestspielen fotografierte kam ein italienischer Chorsänger begeistert auf mich zugelaufen und deutete auf mein Misfits – Tshirt mit dem typischen Skull darauf. „Hey man, I love Glen Danzig! In Italy I play in a Misfits – Coverband!” Das hat mich beeindruckt.
Bruckner fällt mir spontan als jemand ein, der mit den Konventionen brach – auch wenn er sich immer wieder selbst korrigierte um zu gefallen. Nur: Heute wird Bruckner beinahe genau so aalglatt vermarktet wie Andre Rieu, obwohl er zu seiner Zeit ein Revoluzzer war.
Du sagst dass die Klassik vor allem im Marketing nicht für alle gleich zugänglich ist. Was genau meinst Du damit? Wie entsteht diese Ungleichheit?
Natürlich ist klassische Musik theoretisch allen Menschen zugänglich, die Konzerthäuser sind ja offen. Nur besteht Marketing zu einem großen Teil aus dem Verwerten demographisch – soziologischer Informationen, also dem Wissen um die gewünschte Zielgruppe. Möchte man Menschen ansprechen die sich gerne teuer kleiden und sich Champagner leisten können wählt man eine bestimmte Strategie.
Ich habe gewiss nichts gegen Champagner, aber viele Menschen ist dies aber ein regelrechtes Feindbild, das sich in „Das sind die Reichen, die mein Steuergeld verschwenden“ äußert. Ich bedauere es zutiefst dass Menschen so denken, aber ich habe auch Verständnis dafür. Wenn man es nicht schafft in erster Linie die Magie der Musik zu kommunizieren und allen das Gefühl zu geben willkommen zu sein darf man sich auch nicht wundern, wenn es zu wenig Akzeptanz für klassische Musik gibt. Es gibt aber mittlerweile einige Orchester, die dem erfolgreich entgegen wirken.
Die auffälligste Technik die Du in Deiner Fotografie verwendest ist das Arbeiten in Schwarz-Weiß. Welche weiteren technischen Mittel verwendest Du um Deine Ziele in der Darstellung zu erreichen?
Ich bediene mich einer Bildsprache, die für klassische Musik völlig neu und an Fotografien aus dem Punk, Postpunk und Jazz angelehnt ist. Ansonsten verwende ich eine Allerweltskamera und Allerweltsobjektive da ich nichts von Edelmarken halte.
Was möchtest Du mit Deinen Fotos bewirken oder erreichen? Hast Du da bestimmte Ziele?
Die übliche behind the scenes – Fotografie aus Orchestern bestätigt schlimmstenfalls das Vorurteil, dass klassische Musik emotionslos oder langweilig ist. Ich möchte auf meine Art dazu beitragen, das über Jahrzehnte gewachsene Bild der elitären Kulturveranstaltung für alte Menschen zu demontieren. Diese Musik live zu hören ist unglaublich und sie ist für alle da. Aber es reicht nicht, dies mantrahaft zu wiederholen oder sich „niederschwellige Angebote“ zu überlegen. Man muss zeigen, dass klassische Musik anders ist als viele vielleicht glauben. Und das funktioniert am besten über Fotografie.
Hast Du andere Kunstformen oder -techniken im Sinn mit denen man Deine Intentionen in Bezug auf die Klassik auch verfolgen könnte?
Kunstformen nicht – aber ich würde Bier in Halblitergläsern zu vernünftigen Preisen ausschenken.
Hast Du auch Feedback bekommen von Menschen die nicht in der Klassik arbeiten oder die nicht viel klassische Musik hören?
Oh ja, jede Menge! Genau diese Menschen sind ja meine Adressaten. Wenn mich jemand sogar fragt „Welches Konzert würdest du mir als Klassik – Anfänger empfehlen?“ merke ich, dass meine Arbeit Früchte trägt.
Du hast schon mit vielen namhaften Künstler*innen und Ensembles gearbeitet. Wie kommst Du da in Kontakt, gibt es großes Interesse der Musiker*innen aufgrund von Empfehlungen oder Mundpropaganda?
Mit Simon Rattle oder Antonio Pappano war es sehr unkompliziert zu arbeiten, auch mit den Salzburger Osterfestspielen und der Elbphilharmonie. Ich schreibe einfach ein Email, in dem ich davon erzähle dass ich die Klassik über Fotografie mehr Menschen zugänglich machen möchte. Viele laden mich dann ein und bei einigen habe ich das Gefühl dass sie regelrecht auf mich gewartet haben.
Hast Du im Fall von Ablehnungen den Eindruck dass das Konzept grundsätzlich abgelehnt wird, oder hattest Du auch negatives Feedback nachdem Du schon fotografiert hattest?
Auch das kommt natürlich vor. Besonders bei Institutionen die sehr auf Tradition bedacht sind. Der Wiener Musikverein beispielsweise beklagte sich in einem Zeitungsartikel darüber, dass zu wenig neues Publikum den Weg ins Haus findet. Mein Angebot, den Musikverein in einer Fotoserie einem ganz neuen Licht zu präsentieren lehnten sie aber ab. Dass einige Fotografien von mir keinen Anklang finden kann man durchaus als negative Kritik verstehen. Ich finde das grundsätzlich gut. Würde man mich in jedem Haus willkommen heißen und jede Fotografie von mir akzeptieren wäre es nicht Punk.
Haben die “Fotoobjekte” die von Deiner Idee und Arbeit begeistert waren dafür auch Begründungen gegeben, und welche waren das?
Als ich Rattle in der Münchner Residenz getroffen habe begrüßte er mich mit den Worten: „Your images are fantastic! At last someone who shows how we musicians work. We need more of that!“
Wirkt sich die Offenheit der beteiligten Musiker*innen gegenüber Deiner Arbeit auf die Ergebnisse Deiner Fotos aus? Und falls ja, ist das immer korreliert so dass weniger Akzeptanz dein Arbeiten auch erschwert?
Man kann das mit einem Blind Date vergleichen, ich kenne die Musiker:innen ja noch nicht wenn ich zu einer Probe komme. Wenn im Vorfeld klar kommuniziert wurde was ich vorhabe werde ich mit einem Strahlen begrüßt; wenn aber nur die Information ausgegeben wurde dass da ein Fotograf kommt der Fotos machen will spüre ich das auch. Ich kümmere mich dann mehr darum, spannende Fotografien vom Saal zu machen. Wie gut das kommuniziert wurde erfahre ich dummerweise erst im Nachhinein.
Mit welchen Künstler*innen oder Ensembles würdest Du besonders gern mal arbeiten?
Gustavo Dudamel steht ganz oben auf meiner Liste. Nicht nur wegen seiner Interpretationen, sondern besonders wegen seiner Arbeit mit El Sistema.
Wo werden Deine Bilder veröffentlicht? Wie können unsere Leser*innen sie bekommen?
Ich plane, die Fotografien 2025 als Buch heraus zu geben und mit den Fotografien eine Wanderausstellung zu machen, vielleicht auch in Konzerthäusern. Spannender finde ich in diesem Zusammenhang aber, in Bars und Clubs auszustellen.
Wie können Dich interessierte Musiker*innen kontaktieren?
Auf meiner Website www.skw-photo.com gibt es einige aussagekräftige Orchestrapunk – Fotografien und auch die Möglichkeit der Kontaktaufnahme. Ob ein Ensemble bereits einen Namen hat oder nicht, zählt für mich nicht. Was zählt, ist die Spielfreude und die Bereitschaft, die Musik einem breiteren Publikum zu präsentieren.
Vielen Dank für dieses Gespräch!