Genny Basso ist ein italienische Pianist, der in Neapel geboren wurde, dort das Konservatorium S. Pietro a Majella mit Auszeichnung absolvierte und danach seine Studien in Paris fortsetzte. Inzwischen lebt er wieder in Italien. Seine neue CD „Neapology“ widmet er seinem Vater.
Genny, wenn es heißt, Musik hat einen Bezug zu Italien, denken die meisten Menschen an gute Laune und wunderbare, sonnige Stimmung, die glücklich macht. Geht es Ihnen auch so?
Das geht mir genauso, aber für mich ist noch ein anderes Element der Musik wichtig, weil ich die Poesie dieser Musik so schätze, die Texte sind für mich genauso entscheidend. In neapolitanischen Liedern ist das wichtigste Gefühl immer die Liebe. Die Verbindung zu diesem Gefühl ist ausschlaggebend, wenn man neapolitanische Musik spielt. Da gibt es nicht nur die leichte Seite, sondern auch das Leid, aber immer in Bezug zu der Liebe.
Wie wurde genau die Idee für diese Projekt „Neoaology“ geboren?
Ich denke es geht zurück auf die Zeit, als ich ein Kind war, also wirklich noch sehr jung. Neapolitanische Lieder waren die erst Musik mit der ich in Berührung kann zusammen mit der Klassik. Diese beiden Stränge kamen immer zusammen. Als Kind traf ich Menschen, die neapolitanische Lieder sehr gut kannten und sangen und somit ist diese Musik für mich immer eine direkte Verbindung zu meiner Herkunft. Mit der Zeit spielte ich mit größerer Aufmerksamkeit für die Harmonien und stellte fest, dass die neapolitanischen Lieder sehr spezifische, wunderschöne Melodien haben, einzigartig in der Welt, selbst wenn man den Text nicht verstehen kann. Und ich dachte mir, diese Melodien könnten gut mit der Klassik harmonieren, weil sie gar nicht so weit voneinander entfernt sind. Die klassischen neapolitanischen Lieder stammen aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts zusammen mit Donizetti, Rossini und haben auch eine Verbindung zur Oper und italienischer Musik aus jener Zeit, die nicht so populär war. Wir wissen sehr gut, dass auch die Klassik immer einen Bezug zum Ausdruck der Populärmusik hatte. Also, ich meine jetzt nicht Pop Musik, aber die neapolitanische Musik hatte immer einen starken Bezug zur Klassik. Mein Ziel war also, dies zu verbinden auf sehr klassische Weise, so dass man bei meine Arrangements nicht sagen kann, was ist Lied und was Klassik ist. Beispielsweise „Core’ngrato“ ähnelt einer Arie aus einer Puccini-Oper wie Bohème oder Tosca und wenn ich es sehr musikalischen Freunde vorspiele, sagen sie, ich kann mich an diese Puccini-Arie gar nicht erinnern und ich sage, dies ist nicht von Puccini es ist „Core’ngrato“. Das Besondere ist, es gibt eine Arie aus der Oper „La Rondine“ von Puccini, deren Anfang genauso klingt wie „Core’ngrato“, aber wir wissen, dass dieses Stück bereits zwei Jahre zuvor geschrieben wurde, das ist unglaublich.

Haben Sie alle Stücke, die Sie auf dieser CD spielen, selber arrangiert?
Ja, ich habe Sie selber arrangiert. Wir haben in Italien eine Vereinigung, die SIAE, sie ist der deutschen GEMA vergleichbar für das Copyright, dort sind meine Arrangements registriert. Das war wirklich Arbeit, ich habe etwa zehn Jahre an diesen Stücken für dieses Album gearbeitet.
Sie waren mit dem ebenfalls in Neapel geborenen Pianisten Aldo Ciccolini eng befreundet und er war ihr Lehrer. Er starb 2014. Sie haben ihm Ihre vorletzte CD gewidmet. Welchen Einfluss hat er auf dieses Album?
Aldo Ciccolini stammt auch aus Neapel. Mit etwa 25 Jahren ging er nach Paris, aber er hatte eine enge Bindung an Neapel, nicht immer nur positiv, denn Neapel ist eine schwierige Stadt, aber auf jeden Fall liebte er die neapolitanische Musik und Kultur. An dem Tag bevor er starb war ich bei ihm zu Hause – ich lebte in seinem Haus in Paris für zwei Jahre – und er bat mich „Carmela“ zu spielen. Ich denke, das war die letzte Musik, die er vor seinem Tod hörte. Schon Monate vorher fragte er mich immer wieder nach meiner Arbeit, was mich sehr freute, denn Aldo war ein großartiger Pianist und ich war glücklich, dass er mit meinen Ideen einverstanden war.
Sicherlich hätte er sich sehr über diese gelungene CD gefreut, zumal Sie Ihre musikalischen Fähigkeiten, die er schon damals lobte, weiter verfeinert haben. Es gibt Passagen bei Ihren Stücken, da klingt das Klavier in meinen Ohren so zart wie eine Harfe, nur um dann gleich anschließend ein ausdrucksvolles Orchester widerzuspiegeln. Lassen Sie uns noch ein wenig über die Zusammensetzung der CD sprechen. Es gibt ja sowohl die neapolitanischen Lieder als auch einige klassische Stücke. Wie haben Sie die Zusammenstellung ausgewählt und gibt es ein Lieblingsstück?
Es gibt einige klassische Stücke auf der CD aus dem Grund, weil ich die Verbindungen aufzeigen wollte, die jeweils sehr ausgeprägt ist. Ich spiele elf neapolitanische Lieder, mit denen ich eine tiefe Verbindung habe, aber sie ist unterschiedlich. Beispielweise „O sole mio“ ist ein leichtes Liebeslied, „Chiove“ dagegen ist viel schwerer, weil es die Liebe beschreibt, die Bestand hat über den Tod hinaus. Das ist sehr stark. Die neapolitanische Kultur ist damit eng verknüpft und hat vor diesen Themen keine Angst. „Carmela“ ist ein Lied, das von einer Frau spricht, aber gleichzeitig auch das Lied von Neapel ist. Es sagt, Liebe ist das Gegenteil von Tod. Also muss ich immer sehr tief in diese Gefühle eintauchen. Meine Stimmung ändert sich stark, wenn ich „O sole mio“, „Carmela“ oder „Core’ngrato“ spiele, manchmal ist es überbordend laut, dann wieder sehr innerlich. Aber ich denke, das ist bei jeder Musik so, dass man eng mit der Gefühlslage der Musik verbunden sein muss.

Die Tarantella taucht gleich mehrfach auf der CD auf – von wem?
Wir haben sie viermal. Eine Tarantella ist von Liszt, eine von Leoncavallo, eine von Chopin und die „Napolitana“ von Stravinsky ist auch eine Tarantella. Der Tanz Tarantella stellt die wichtigste musikalische Form der neapolitanischen Kultur dar. Dank Rossini – oh, dann haben wir sie ja gleich fünfmal auf der CD – „la Danza“ ist die berühmteste Tarantella auf der Welt, sie war die Initialzündung von diesem populären Tanz, danach stellte viele Komponisten fest, dass sie diese Rhythmen mochten und haben auch eine Tarantella geschrieben. Also hat Rossini Mitte des 19. Jahrhunderts den Grundstein für diese Kompositionen gelegt. Diese Stücke spiele ich natürlich alle in der Ursprungsversion.
Sie sind auch der Mitbegründer des „Twitch-Kanals“, um junge Menschen für klassische Musik zu erreichen, das war während der Corona-Zeit. Was verbirgt sich genau dahinter?
Leider pausiert der „Twitch-Kanal“ im Moment, aber ich hoffe, wir können ihn wiederbeleben. „Twitch“ war ursprünglich eine Plattform für Spiele, aber dann starteten dort viele Menschen einen Kanal für andere Aktivitäten wie Sport oder Kochen. Wir wollten über die Plattform jüngere Menschen erreichen als diejenigen, die normalerweise ins Konzert gehen und mit ihnen auf einfache und unterhaltsame Weise über Musik sprechen, aber trotzdem seriös. Das ging 2021 sehr gut, weil viele Musiker sich daran beteiligten. Es waren Live-Streams, es gab Interviews, Gesprächsrunden und Fragen und Antworten.
Noch eine Frage zum Abschluss. Mit dieser CD sind Sie zu Ihren musikalischen Wurzeln zurückgekehrt. Was sind Ihre zukünftigen Pläne und Wünsche?
Ich denke, für einen Musiker ist heutzutage die schwierigste Frage:Kann ich weiterhin klassische Musik spielen, wie wird der Weg der Klassik in der Zukunft sein? So ist unterrichten eine Möglichkeit, um in Kontakt mit der Jugend zu sein. Es ist wichtig für die Zukunft neue Musiker auszubilden, aber auch Menschen zu finden, die Musik und Kunst lieben. Also ist mein größter Wunsch, weiterhin Musik zu spielen, ohne befürchten zu müssen, dass es kaum Menschen gibt, die dieser wunderbaren Musik zuhören wollen und genau aus diesem Grund wurde auch „Twitch“ geboren, um einen Dialog mit jungen Menschen zu starten und ihnen zu zeigen, dass Klassik wunderbar und zeitlos ist. Es gibt mehre Wege, Musik zu hören, der eine ist nebenbei beim Arbeiten, Laufen unterwegs etc. aber man muss für diese Musik eigentlich sein Herz öffnen und sich darauf konzentrieren, das geht natürlich gut in der Stille eines Konzertsaals. Aber vielleicht ist es möglich, auch dies zu verändern und persönlich mit den Musikern ins Gespräch zu kommen und durch den direkten Austausch eine neue Form zu finden.
Genny Basso, dafür wünsche ich Ihnen viel Erfolg und bedanke mich für unser anregendes Gespräch.
Titelfoto von Mario Spada.