Einfach Klassik.

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Interview mit dem North Sea String Quartet

Das 2016 gegründete North Sea String Quartet aus den Niederlanden hat seine CD „Splunge“ ausschließlich mit Eigenkompositionen und frei improvisierten Stücken im Frühjahr dieses Jahres aufgenommen und möchte nun auch den deutschen Markt erobern. Der Cellist Thomas van Geelen erzählt, wie alles angefangen hat.

Thomas van Geelen: 2016 startete ich mit der Bratschistin Yanna Pelser und zwei anderen Musikern. Wir bekamen ein Angebot bei einem Konzert mitzuwirken. Danach kam Pablo Rodriguez, der ebenfalls Geige spielt, zu uns und wir stellten fest, dass wir gemeinsam so gute Energie entwickelten, dass wir beschlossen als Gruppe weiter zu musizieren. Damals war noch eine Musikerin bei uns die dann nach Berlin ging. So haben wir 2021 während der Pandemie Auditions für einen weiteren Musiker gemacht und so fanden wir den rumänischen Geiger und Bratschisten George Dumitriu und damit waren wir komplett. Der Ausgangspunkt war die Recherche für meine Examensarbeit über Improvisationen für ein Streichquartett. Ich wollte in meinem Examen so ein Stück vorspielen und dazu habe ich diese Gruppe gegründet. Die Szene der Streicher in den Niederlanden ist überschaubar, deshalb kannten wir uns alle ein wenig und haben uns gefunden.

Thomas, für Sie bestand die Motivation im Anfang in ihrer Examensarbeit, aber was hat die anderen an dieser Gruppe fasziniert?

Yanna Pelser: Als ich Thomas traf, spielte ich schon in einigen anderen Ensembles, die nicht klassisch waren, also Crossover oder Jazz machten, somit hatte ich schon etwas Erfahrung mit dem Improvisieren. Als er mich frage, ob wir zusammen musizieren wollten, war ich sehr froh, dass wir eine Streichergruppe gründen konnten, die als komplette „Band“ auftreten konnte, die den Rhythmus, den Bass die Harmonie und die Melodie in sich vereinte. Das war für mich der Reiz daran und natürlich auch noch mehr im Bereich der Improvisation zu lernen.

George Dumitriu: Bei mir war es ähnlich. Ich war ein Bratschist, der ein Streichquartett suchte. Ich hatte in klassischen Streichorchestern während meines Studiums in Bukarest gespielt, wo ich klassische Geige studierte. Später habe ich in den Niederlanden in Jazzgitarre einen Abschluss gemacht, aber dann habe ich wieder mehr Bratsche gespielt und damit kam mein Traum zurück, in einem Streichquartett zu spielen. Ich hatte schon jahrelang danach gesucht, aber nie die richtige Zusammensetzung gefunden. Und dann fragte mich Yanna, ob ich Lust hätte im North Sea String Quartet als Geiger mitzuspielen – in meiner Vorstellung war ich immer Bratschist gewesen, aber Yanna spielte die Bratsche ja schon, also probierte ich es als Geiger – seitdem haben wir eine tolle Zeit.

North Sea String Quartet, Foto © Federico Castelli
North Sea String Quartet, Foto © Federico Castelli

Sie improvisieren gemeinsam, aber Sie komponieren auch. Auf der CD habe ich gesehen, dass es Stücke von allen vier Musiker*innen gibt. Wie funktioniert das – komponiert jeder allein in seinem Kämmerchen?

TvG.: Es gibt verschiedene Wege zu komponieren. Manchmal hat jemand tatsächlich allein eine Idee, notiert sie und bringt dies dann zu den Proben mit und wir arbeiten gemeinsam daran. Manchmal starten wir auch einfach aus dem Nichts mit völlig freier Improvisation und dann haben wir gemeinsam eine Idee, die im Laufe der Zeit mehr Struktur erhält. Dazwischen gibt es viele Wege, wie wir zu einem neuen Stück kommen. Es gibt Stücke die komplett von einer Person durchkomponiert sind, bei denen es vielleicht in der Mitte einen Teil zum Improvisieren gibt. Manchmal gibt es nur eine vage Idee und jeder überlegt, was er oder sie damit anfangen kann. Und manchmal improvisieren wir auch komplett.

Heißt das, dass Sie in den Konzerten mit Noten spielen?

G.D.: Wenn ich es prozentual ausdrücke, würde ich sagen, dass etwa 70 bis 80 Prozent unserer Stücke niedergeschrieben sind mit nur teilweise Improvisationen darin, somit haben wir tatsächlich auch Notenblätter. Aber wir habe schon früh damit begonnen, alles auswendig zu lernen und das führt dazu, dass wir anders spielen. Alles ist auswendig und kann auch dazu führen, dass wir mit dem Notenmaterial recht frei umgehen. Und das ist für uns alle so in Ordnung.

Ich kann man mir diese Form gut für die Konzerte vorstellen. Sie kennen sich sehr gut, sehen sich auf der Bühne und können schnell aufeinander reagieren. Aber wie sieht die Arbeit im Studio aus, da wird es ja nur eine Aufnahme geben und die soll dann ja sozusagen als Prototyp für die Konzerte gelten. Wie haben Sie das gemacht?

Y.P.: Die ausgeschriebenen Stücke sind natürlich sehr leicht zu wiederholen, aber auch in ihnen gibt es Improvisationsteile und die sind natürlich immer wieder anders. Somit gibt es durchaus Unterschiede zwischen der CD und den Live-Konzerten, aber das ist ja auch schön für das Publikum – denken wir. Für uns war bei der Auswahl der Takes wichtig, dass sie die größte Energie hatten. Das war entscheidender als wenn es ganz präzise oder werkgetreu war.

TvG.: Unser Label „ 7 Mountain Records“ war  dabei sehr hilfreich. Eigentlich machen sie mehr Klassik. Aber sie haben uns ermöglicht, eine Art Live-Sound aufzunehmen. Wir haben nur ganz wenig geschnitten und wirklich lange Teile aufgenommen und wenn ein kleiner Fehler darin war, dann war es halt so. Aber natürlich ist es live doch immer etwas anders.

Lassen Sie uns über den Nahmen der CD sprechen:  „Splunge“ das erinnert mich an spritzendes Wasser. Wofür soll dieser Titel stehen?

TvG.: Tatsächlich ist „Splunge“ kein existierendes Wort. Es ist die Kombination aus den beiden Worten „plunge“ und „splash“ und wir lieben den Klang des Wortes „Splunge“. Es klingt irgendwie so, wie wir es meinen. Es ist unser erstes Album, das ausschließlich aus unseren eigenen Kompositionen besteht. Und so haben wir beschlossen es ist unser „Splunge“ in die kreativen Gewässer, in die wir tauchen und dann macht es „splash“ und die Spritzer sind die Musik, die daraus entsteht. So erklären wir den Namen unserer CD. Aber wir lieben besonders den Klang des Wortes, er ist so spontan, dynamisch, frisch und mit Bewegung.

Wenn wir uns direkt der Musik zuwenden, gibt es für ihre Kompositionen Vorbilder, auf deren Spuren Sie wandeln?

YP.: Alle vier von uns sind von unterschiedlichen Stilen und Genres sowie Komponisten inspiriert worden. Jeder hat sein persönliches „Gepäck“ das er mit sich trägt und wovon er geprägt worden ist. Bei meinen Stücken, die ich für diese Album geschrieben habe, gibt es eins, dass sehr von Henri Dutilleux und seinem Streichquartett „Ainsi la nuit“ beeinflusst worden ist und ich habe eine Art Ballade dazu geschrieben. Es gibt einige Akkorde darin, die ich besonders mag. Ein anders Stück von mir heißt „Carussell“, das ist mehr von Stravinsky und Bartók inspiriert. 

G.D.: Ich habe drei wesentliche Grundlagen: die erstes ist natürlich die klassische Musik, aber dazu kommen auch Jazz und Funk, wo wir mehr zeitgenössische freie Improvisationen finden. Im Modern Jazz gibt es viele Jazz-Gitarristen, John Scofield, um einen zu nennen, aber es ist natürlich kompliziert dies auf ein Streichquartett zu übertragen. Somit sind die direkten Verbindungen etwas unscharf eher flirrend. Das Stück „Cryptosplash“ habe ich zuerst für die Gitarre geschrieben – ich finde es ist mehr ein Stück für Gitarre, sehr kantig und eckig mit Dreiklängen, aber gleichzeitig auch chromatisch, sehr rhythmisch und der Improvisationsteil ist sehr frei bzw.er führt etwas mehr zur moderner temporärer Klassik. Wir nutzen auch Perkussionselemente in unserem Streichquartett. Ich denke, für uns ist der Rhythmus besonders wichtig.  

TvG.: Das Stück, das ich geschrieben habe, ist von dem amerikanischen Cellisten Mark Summer inspiriert, der für seine Percussion und Pizzicato-Technik mit dem Bogen bekannt ist. Eins meiner Stück ist von dieser Art zu spielen inspiriert worden, aber gleichzeitig ist da auch ein Jazzeinfluss. Mir hat gefallen, als George gesagt hat, die Einflüsse seien schillernd und unscharf. Es geht im Prozess des Spielens ja immer auch um die persönliche Entwicklung und somit wäre es zu einfach zu sagen, oh dieses Stück geht nur auf diesen Einfluss zurück. Das andere Stück, das ich geschrieben habe, ist ein Bluegrass Stück, das wurde beeinflusst von dem amerikanischen Geiger Stuart Duncan. Aber wie schon gesagt, es geht weit darüber hinaus. Es ist schön, dass wir so unterschiedliche Interessen und Voraussetzungen haben. Wenn dies alles zusammen kommt, entsteht etwas Neues, ohne dass wir darüber viel nachdenken müssen. 

Sie haben alle vier natürlich noch viele andere Verpflichtungen. Wie gestaltet sich die Arbeit des North Sea String Quartets, wie oft treffen Sie sich?

YP.: Wir spielen alle in unterschiedlichen Ensembles und einige von uns unterrichten auch, das erfordert natürlich viel Zeit. Aber ich glaube, für uns alle ist dieses Quartet das wichtigste und deshalb widmen wir ihm viel Zeit. Es geht ja nicht nur um das Komponieren und Spielen, wir müssen auch die Konzerte und Tourneen organisieren. 

North Sea String Quartet
North Sea String Quartet

Yanna, ich habe an Sie noch eine andere Frage: Ich habe gelesen, das Sie gleichzeitig Bratsche spielen und singen. Wie kann ich mir das vorstellen?

YP.: Es funktioniert wirklich, wenn man es versucht und ab einem gewissen Punkt, wenn du mit deinem Instrument gemeinsam singst, eröffnen sich viele Möglichkeiten – es gibt eine schöne Verbindung aus der Stimme und der Bratsche. Es ist natürlich davon abhängig, welche Vokale ich nutze und es ist eine ganz neue Welt, die ich da entdecken kann. Manchmal, wenn ich mich in den Konzert bei einer Improvisation sehr gut fühle, beginne ich auch zu singen. Ich bin keine ausgebildete Sängerin. Professionelle Sängerinnen können in jeder Lage und jeder Verfassung singen, aber das bin ich nicht und so muss ich mich gut fühlen und der Klang und die Akustik müssen stimmen. Wenn all dies optimal ist, dann kann ich es probieren. 

Welche Pläne hat das North Sea Quartet für die Zukunft?

TvG.: Wir haben im Frühjahr unsere CD in den Niederlanden vorgestellt, wir hatte 13 Konzerte, jetzt sind wir im Ausland unterwegs, wir waren für fünf Konzerte in Rumänien und werden im November wieder dort sein, in Berlin waren wir auch schon und wir wollen noch weiter reisen, aber gleichzeitig denken wir auch schon an das nächste Projekt und hoffen, dass es im nächsten Jahr konkretisiert wird.

GD.: Ich kann über unsere Träume sprechen – wir haben Plänen und Träume. Geplant ist eine zweite Tour durch Holland mit „Splunge“, gleichzeitig arbeiten wir daran, mehr Auftritte in Deutschland und Österreich zu haben, ich denke, das ist ein guter Markt für uns. Frankreich steht auch schon auf der Liste. Australien wäre ein schöner Platz in der Zukunft, wir haben dort einige Kontakte. Und wenn es um Träume geht, würden wir gern in Japan spielen in den USA und möglicherweise in Südamerika. 

Gibt es dem noch etwas hinzuzufügen, bevor wir unser angenehmes Gespräch beenden?

Y.P.: Ja, ich möchte noch gern auf die Kunst auf unserem Album hinweisen. Es handelt sich um ein Aquarell von Ivana Dukic, einer serbischen Malerin. Sie hat mit Aquarellfarben gearbeitet, die ineinander verlaufen, so wie Thomas das von unserer Musik beschrieben hat. Es ist flirrend, alles ist überlappend und sehr ausdrucksstark wie „Splunge“.

Herzlichen Dank für dieses gelungen Schlusswort und das ganze anregende Gespräch. 

Titelfoto © Federico Castelli

Das Album

Icon Autor lg
Als Hörfunkjournalistin habe ich die unterschiedlichsten Formate von der Live-Reportage, über Moderationen bis zum Feature bedient. In den letzten Jahren habe ich meine inhaltlichen Schwerpunkte auf die Kultur gelegt. Als Ethnologin interessiere ich mich schwerpunktmäßig für außereuropäische Literatur. Doch war Musik schon immer mein großes Hobby – Singen in vielen Chören begleitet mich durch mein Leben. Seit einiger Zeit bin ich im Vorstand von Orso Berlin e.V. an der Organisation und Durchführung von großen Konzerten in der Philharmonie mit unserem eigenen Chor und Orchester beteiligt und stehe auch auf der Bühne. Somit ergeben sich bei Gesprächen mit Profimusikern viele Anknüpfungspunkte. Es interessiert mich besonders, welchen ganz persönlichen Zugang die Musikerinnen und Musiker zu ihren jeweiligen Werken finden – oft auch verbunden mit dem Brückenschlag zu anderen Kulturen.
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