Einfach Klassik.

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Interview mit dem türkischen Pianisten Can Çakmur

Der türkische Pianist Can Çakmur ist ein junger, hochbegabter Künstler, der in Weimar studiert hat und dort heute lebt. International wurde er bereits vielfach ausgezeichnet. Auch in Deutschland erregt er zunehmend Aufmerksamkeit – vor allem durch seine Einspielungen. Sein 2023 erschienenes Album Schubert + Krenek wurde bei den ICMA 2025 als „Solo-Einspielung des Jahres“ ausgezeichnet.

Can Çakmur, Sie haben gerade Ihre dritte Auszeichnung in fünf Jahren bei den ICMA erhalten. Das reiht sich ein in die vielen Preise, die Sie bereits gewonnen haben. Sie wurden zweimal in Folge mit dem Young Artist Award geehrt. Was ist es diesmal für ein Preis – und was bedeutet er für Sie?

Das ist eine Auszeichnung für die beste Solo-Einspielung des Jahres. Prämiert wurde eine CD aus meiner Reihe Schubert +. Es handelt sich dabei um insgesamt zwölf Alben mit sämtlichen vollendeten Klavierwerken Schuberts, ergänzt durch Werke von Komponisten, die sich in besonderer Weise auf Schubert beziehen oder von ihm inspiriert wurden. Das dritte Volume – Schubert + Krenek – erhielt bei den ICMA den Preis „Solo-Einspielung des Jahres“.

Ich finde es erstaunlich, dass die Einspielungen bei ICMA so gut rüberkamen. Die Debüt-CD beim Label BIS wurde 2020 mit dem Solo-Einspielungs-Preis des Jahres ausgezeichnet. Und dann im nachfolgenden Jahr, haben sie mich zum „Young Artist of the Year“ ernannt. Ich glaube, das hatte mit meiner zweiten Einspielung zu tun, denn die kam bei der Fachpresse sehr gut an und sie wollten das anerkennen.

Gehen wir mal zurück. Sie sind ja noch sehr jung. Sie haben mit 19 den „Scottish International Piano Competition“ in Glasgow gewonnen. War das der Startpunkt Ihrer Karriere?

Ja, das kann man so sagen. Aber in der Türkei, meinem Heimatland, hatte ich bereits mit 15 oder 16 eine professionelle Konzerttätigkeit begonnen – was ziemlich skurril war. Ich war noch im Gymnasium und habe nach dem Unterricht im Schulgarten mit Veranstaltern telefoniert. Das war schon absurd. Als ich dann zum Studium nach Deutschland ging, war das mit diesen Konzerten in der Türkei zum Glück vorbei. Ich war räumlich weit weg, und es war logistisch nicht mehr so einfach oder günstig, mich für ein Konzert einzuladen.

Warum „glücklicherweise“?

Ich habe mich damals einfach nicht bereit gefühlt – vor allem nicht für die Verantwortung, die ein solches Konzertleben mit sich bringt. Die Qualität meiner Auftritte schwankte stark. Schottland war 2017 – da hatte ich immerhin schon zwei Jahre ernsthaft studiert. Nach dem Wettbewerb in Glasgow konnte ich erste Erfahrungen mit internationalen Tourneen sammeln. Im Jahr darauf, 2018, gewann ich dann den ersten Preis beim Hamamatsu International Piano Competition in Japan. Das war mein Eintritt in die internationale Musikszene. Kurz danach kam die Aufnahme in eine Agentur, ein Plattenvertrag – und plötzlich hatte ich 30 bis 40 Konzertengagements pro Jahr. Ich war als Musiker – und im Selbstmanagement – noch nicht wirklich bereit. Natürlich habe ich es angenommen. Man kann ja nicht sagen: „Bitte buchen Sie mich erst übernächste Saison.“ Aber eigentlich hätte ich mir noch ein paar Jahre für meine künstlerische Entwicklung gewünscht. Diese Chance bekam ich dann während der Pandemie.

Das ist interessant – viele träumen davon, früh entdeckt zu werden. Ihnen ist das sozusagen widerfahren. Wann haben Sie mit dem Klavierspielen angefangen? Kommen Sie aus einer Musikerfamilie?

Nein, ich komme nicht aus einer Musikerfamilie, aber aus einer musikliebenden Familie. Klassische Musik war bei uns zu Hause immer präsent – und ich habe früh eine große Leidenschaft dafür entwickelt. Meine Eltern haben dann irgendwann gedacht, es wäre sinnvoll, mich an einer Musikschule anzumelden. So begann ich mit dem Klavierspielen – aber die ersten fünf, sechs Jahre war das wirklich nur ein Hobby. Mit 14 wurde ich in ein Stipendienprogramm von Güher und Süher Pekinel aufgenommen – ab da war klar: Ich will Musiker werden. Und mit den Pekinels kam auch der Anspruch, früh zu professionalisieren.

Sie sind immer noch jung.

Ja, ich bin 27. Aber in der heutigen Musikindustrie fühle ich mich damit nicht mehr besonders jung. Es ist ja mittlerweile ganz normal, mit 18 oder 19 voll in die Karriere einzusteigen.

Can Çakmur, Foto © Muhsin Akgün
Can Çakmur, Foto © Muhsin Akgün

Es gibt viele sehr begabte. junge Künstler, und es gibt unendlich viele Werke für Klavier. Wie gelingt es Ihnen, sich abzugrenzen?

Das ist eine wichtige Frage – und eine, die ich mir selbst viel zu spät gestellt habe. In Phasen des Experimentierens – etwa im Studium oder zwischen Debüts – sollte man sich möglichst wenig eingrenzen. Gleichzeitig muss man irgendwann ein Gespür dafür entwickeln, was einem besonders liegt und wie man sich als Künstler positionieren möchte.

Ich habe mich in den letzten Jahren stark auf die Musik des 19. Jahrhunderts konzentriert, besonders auf die Hochromantik und ihre historische Aufführungspraxis. Das steht auch in direktem Zusammenhang mit der Schubert +-Reihe. Die Erkenntnisse aus der Forschung prägen meinen interpretatorischen Zugang. Nach Abschluss der Serie möchte ich mich auch anderen Epochen widmen – etwa der Moderne oder dem Barock.

Das heißt, Sie haben jetzt schon alles von Schubert aufgenommen – oder sind dabei?

Ich habe nahezu alles gespielt, was Schubert für Klavier geschrieben hat. Es fehlen nur noch einige Kammermusikwerke und Klavierstücke zu vier Händen. Was die Aufnahmen betrifft, sind wir mit etwa drei Vierteln der geplanten CDs fertig.

Das klingt sehr systematisch. Sie sind nicht nur Pianist – Sie haben mit 24 bereits eine Professur erhalten. Das ist ungewöhnlich. Viele denken da gerade erst über ihre Bachelorarbeit nach. Interessiert Sie auch die Theorie?

Ja, absolut. Für mich gibt es zwei gleichwertige Seiten: die Musikhochschule – die mir sehr viel bedeutet – und die Konzerttätigkeit. Diese beiden Bereiche befruchten sich gegenseitig. Ohne den Austausch mit meinen Studierenden – über Aufführungspraxis, Improvisation oder stilistische Fragen – wäre meine künstlerische Entwicklung unvollständig. Gleichzeitig: Wie könnte ich jemandem beibringen, wie man mit sich selbst auf der Bühne umgeht, wenn ich das nicht selbst erlebe?

Ein weiteres Feld, das mich interessiert, ist die kulturpolitische Reflexion über die Musikindustrie. Wenn ich Zeit finde, darüber zu lesen oder zu schreiben, ist das sehr erfüllend für mich.

Sie sind viel unterwegs. Gibt es Säle oder Regionen, in denen Sie besonders gerne spielen?

Für mich gibt es zwei Arten von Konzerten. Die einen finden an Orten statt, wo das bloße Dasein der Musik im Mittelpunkt steht. Meist sind das Regionen, in denen klassische Musik noch eine gewisse Frische besitzt. Dort gibt es oft schlechte Instrumente – aber ein offenes, neugieriges Publikum. Bei solchen Konzerten habe ich oft das Gefühl, wirklich etwas zum Leben der Menschen beigetragen zu haben.

Dann gibt es die andere Sorte – bei der alles perfekt abgestimmt ist: Akustik, Instrument, Publikum. Da geht es weniger um das Neue, sondern um die feine Interpretation des Bekannten. In diese Kategorie fallen die großen Musikzentren. Besonders erwähnenswert ist für mich die Shirakawa Hall in Nagoya, Japan – einer meiner Lieblingssäle. Leider wurde sie vor zwei Jahren geschlossen.

Can Sarac und Can Cakmur, Foto © Stefan Pieper
Can Sarac und Can Cakmur, Foto © Stefan Pieper

Wie sind Sie nach Japan gekommen?

Durch den Hamamatsu-Wettbewerb. Japan ist für mich in den letzten sechs, sieben Jahren zu einer Art musikalischer Heimat geworden. Ich bin jedes Jahr mehrfach dort und habe viel vom Land gesehen. Besonders beeindruckend finde ich die reiche Hobbymusikkultur – das ist extrem wertvoll für die musikalische Gesundheit einer Gesellschaft.

Womit beschäftigen Sie sich aktuell?

Zurzeit spiele ich viel Kammermusik – in Spanien, Liechtenstein, Deutschland, Italien und der Türkei. In zwei Wochen spiele ich das Klavierkonzert von Rimski-Korsakow in Griechenland. Ein unterschätztes Werk, das neben den Liszt-Konzerten viel häufiger gespielt werden sollte – zugleich aber technisch äußerst anspruchsvoll ist.

Der rote Faden bleibt Schubert +. Momentan arbeite ich an einem sehr fordernden Programm: Schuberts Wanderer-Fantasie, Liszts Großes Konzertsolo und zwei frühe Werke von Schubert. Und natürlich: Prüfungszeit an der Hochschule. Ich bereite meine Studierenden darauf vor. Parallel schreibe ich an einem Artikel über die Kulturindustrie, der auch Grundlage für eine Vorlesung am Tokyo College of Music sein wird.

Sie haben mehrfach gesagt: „Da war ich zu jung.“ Sind Sie jetzt angekommen?

Mein innerer Maßstab war immer: Wenn ich morgen mein absolutes Traumkonzert bekäme – wäre ich bereit? Bisher war die Antwort: nein. Aber durch die positiven Erfahrungen der letzten Jahre, besonders durch das Unterrichten, fühle ich mich jetzt angekommen.

Sie sind sehr erfolgreich, vieles ist Ihnen zugefallen. Gibt es dennoch einen Traum, den Sie sich in fünf oder zehn Jahren erfüllen möchten?

Mein Traum wäre, mich ganz der Musik widmen zu können – ohne ständig an den nächsten Karriereschritt denken zu müssen. Die Balance zwischen Kunst und Markt ist essenziell, auch wenn ich den Markt nicht gerne in Betracht nehme. Ich finde, das Künstlerische sollte immer im Vordergrund stehen und sich im kritischen Austausch mit dem Markt befinden. Aber dafür muss man, wie wir besprochen haben, in jeder Hinsicht angekommen sein – erst dann beginnt das eigentliche Experimentieren.

Can Çakmur, ich danke Ihnen herzlich für das Gespräch – und wünsche Ihnen, dass sich dieser Traum erfüllt.

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Als Hörfunkjournalistin habe ich die unterschiedlichsten Formate von der Live-Reportage, über Moderationen bis zum Feature bedient. In den letzten Jahren habe ich meine inhaltlichen Schwerpunkte auf die Kultur gelegt. Als Ethnologin interessiere ich mich schwerpunktmäßig für außereuropäische Literatur. Doch war Musik schon immer mein großes Hobby – Singen in vielen Chören begleitet mich durch mein Leben. Seit einiger Zeit bin ich im Vorstand von Orso Berlin e.V. an der Organisation und Durchführung von großen Konzerten in der Philharmonie mit unserem eigenen Chor und Orchester beteiligt und stehe auch auf der Bühne. Somit ergeben sich bei Gesprächen mit Profimusikern viele Anknüpfungspunkte. Es interessiert mich besonders, welchen ganz persönlichen Zugang die Musikerinnen und Musiker zu ihren jeweiligen Werken finden – oft auch verbunden mit dem Brückenschlag zu anderen Kulturen.
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