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Einfach Klassik.

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Interview mit der Flötistin Olga Reiser zum neuen Album „Flute Tales“

Auf ihrer ersten Solo-CD Flute Tales erforscht die Flötistin Olga Reiser neue Ausdrucksmöglichkeiten auf ihrem Instrument. Improvisation und Komposition, Gegenwart und Musikgeschichte begegnen sich. Fazit: Die Querflöte ist viel mehr als nur ein brillantes Orchester- oder Soloinstrument. Im Gespräch mit Stefan Pieper führte Olga Reiser aus, dass dieses Instrument doch auch Experimentierfeld ist und Musizieren immer mit Improvisation zu tun hat. 

Ist das Ihre erste Solo-CD? Wie kam es dazu? 

Ja, es ist mein erstes Soloprogramm. Ich hatte es bereits vor der Corona-Zeit angefangen und habe jetzt diesen Zeitgewinn genutzt, um dieses Programm in Ruhe aufzunehmen. 

Wo kommen Sie ursprünglich her, musikalisch gesehen?

Ich komme aus der klassischen Musik und habe zunächst in Russland studiert, neben Flöte zusätzlich noch ein Kammermusikstudium absolviert. Im Jahr 2004 kam ich nach Deutschland. Bis dahin war in meinem Leben die Flöte meist auf ihre Rolle im Orchesterinstrument oder der Kammermusik fixiert. Ich finde es ja auch spannend, in einem Ensemble zu spielen. Ein Schlüsselerlebnis hatte ich im Jahr 2018: Ich wurde nach Russland eingeladen, um ein Konzert mit moderner Musik zu spielen. So etwas ist immer ein Abenteuer, weil es normalerweise mehr Zeit braucht, um ein modernes Werk einzuspielen. Die Idee, alleine für mich ein Konzert zu geben, kam von meinem Mann. Ich fand diese Idee im ersten Moment reichlich verrückt. Aber dann habe ich angefangen, über Konzepte für ein solches Programm nachzudenken. Erst überlegte ich, dass ich es historisch, also instrumentengeschichtlich aufziehe, aber dann rückte immer mehr die Geschichte von mir selbst in den Fokus. Und dazu gehört auch eine starke Faszination für andere zeitgenössische Flötisten, z.B. für Ian Clark. Von dem spiele ich die Stücke „The Great Train Race“ und „Zoom Tube“ auf der neuen CD.

Olga Reiser, © Danuta Urbanowicz
Olga Reiser, © Danuta Urbanowicz

Aber das Programm auf der CD wirkt gar nicht „spezialistenmäßig“, sondern im Gegenteil oft sehr unterhaltsam. War das beabsichtigt?

Auf jeden Fall. Ich wollte für viele Zuhörer etwas Neues schaffen. Die meisten zeitgenössischen Solostücke für Flöte sind recht komplex und nicht so einfach zugänglich. Ich habe mich deshalb in die Rolle von Menschen hinein versetzt, die zum Beispiel gerne Michael Jackson hören oder an „populärer“ klassischer Musik orientiert sind.

Wollen Sie auch ein Plädoyer für Ihr Instrument setzen? 

Auf jeden Fall. Ich spiele die Querflöte, weil ich ein großer Fan dieses Instruments bin. Und ich finde, dieses Instrument ist so vollwertig, dass es nicht immer eine Begleitung braucht. Ich liebe das Experiment. Alles verändert sich. Diese CD-Aufnahme widerspiegelt ja auch nur einen Moment in diesem Prozess. Wenn ich jetzt die Stücke der CD höre, würde ich schon wieder alles ganz anders machen .

Möchten Sie das Instrument emanzipieren? Ich denke bei dieser Frage an Ihre Überarbeitung der Violin-Capricen von Paganini. 

Ich finde, manches klingt auf der Querflöte einfach besser als auf der Violine. Die Flöte war vor allem im 18. und 19. Jahrhundert immer auf bestimmte Kontexte limitiert. Andererseits ist für die Geige viel mehr Musik komponiert als für die Flöte. Das empfinde ich als ein Missverhältnis. Aber die Flöte hat viel mehr Klangfarben – aber das ist meine subjektive Meinung als Fan dieses Instruments. Das erfahre ich aktuell intensiver, seit ich vor zwei Jahren auf ein neues Instrument umgestiegen bin und sich hier ganz neue Dimensionen für mich eröffnen. Es kommt mir so vor als wäre mein voriges Instrument ein sehr gutes Auto gewesen, aber mein jetziges ist dagegen ein Raumschiff. 

Wollen Sie mit Klischees aufräumen?

Musikliebhaber haben eine ganz bestimmte Vorstellung von der Querflöte, die ja meist als besonders empfindliches Instrument konnotiert ist. Ich möchte zeigen, dass dieses Instrument auch ganz anders kann. Deswegen experimentiere ich mit Beatboxing oder Multiphonics. 

Wie funktionieren Multiphonics und Beatboxing auf einer Flöte? 

Multiphonics hat etwas mit der Anblastechnik zu tun. Es ist möglich, mit einem Ton zwei oder drei Töne zu machen. Dazu kann ich meine Stimme einsetzen und es kommen manchmal noch spezielle Griffe für Splitterung des Tones zum Einsatz. Ich kann also richtig Akkorde spielen mit diesem Verfahren. Beim Beatboxen nutze ich einen Vorteil aus, den die Flöte gegenüber einer Oboe oder Klarinette hat. Dazu gehört zum Beispiel der Umstand, dass die Lippen vom Ansatz her relativ frei sind und ich mit ihnen ein Geräusch produzieren kann, während gleichzeitig ein Luftstrom da ist, um einen Ton zu erzeugen. Der Trick besteht darin, mit dem imitierten Schlagzeug-Geräusch immer etwas früher anzufangen als mit dem gespielten Ton.

Wie haben Sie sich das angeeignet?

Eigentlich mehr oder weniger autodidaktisch. Ich habe mir YouTube-Videos von Beatbox-Künstlern angeguckt, zum Beispiel von Greg Pattillo.

Das deutet auf Musikvorlieben hin, die weit über die Klassik hinaus gehen. Was gehört sonst noch dazu? 

Auf jeden Fall Jazz. Ich habe mittlerweile sogar ein Jazztrio gegründet, es heißt Trio Libero. Ich bin überrascht, dass ich sofort Spitzen-Jazzmusiker gefunden habe, die etwas mit mir machen wollten. Normalerweise haben Jazzer nicht so gute Verhältnisse zu Klassik-Musikern – und letztlich bleibt die Klassik natürlich meine Heimat. Die feinsinnigen Strukturen, welche die Klassik aufbietet, bedeuten mir ja auch extrem viel.

Wie erleben Sie das Spannungsverhältnis zwischen Improvisation und Komposition?

Die Arbeit mit der Band ist sehr spannend. Am Anfang habe ich meine Improvisationen erst mal weitgehend aufgeschrieben und habe auch an einem Impro-Workshops teilgenommen, um meinen Horizont zu erweitern. An der Improvisation fasziniert mich, dass ich oft gar nicht voraussehen kann, was spontan beim Spielen entsteht. 

Kommt dies auf der aktuellen Aufnahme zum Tragen? 

Hier improvisiere ich auch über melodische Strukturen, die ich auf einer Loopstation eingespielt habe. Dann habe ich darüber improvisiert und alles in einem aufgenommen. 

Für das letzte Stück auf der CD haben Sie ein Bach-Menuett kreativ „erweitert“. Würden Sie sich selbst als Komponistin bezeichnen? 

Nein, so weit würde ich nicht gehen. Denn um ein echtes, großes Werk zu erschaffen, braucht es viel mehr. 

Das Original ist schon ein sehr durchdachtes Bauwerk ist und Sie haben an vielen Ecken neue Dinge angebaut, die aber immer den Plan der Architektur erfüllen. Wollen wir uns darauf einigen?

Ich habe eigentlich nur technische Mittel genutzt, wie sie der heutigen Zeit entsprechen. Mit dem Ziel, dass die Musik damit vielleicht zugänglicher für moderne Musikhörer wird. In den Sinn der Komposition greife ich nicht ein, der bleibt gleich. Das bezieht sich sogar auf meine Improvisationen. Denn auch Bach war ein leidenschaftlicher Improvisierer. Jeder Spieler in dieser Zeit musste improvisieren können. Das wurde einfach verlangt. Und ich improvisiere hier eben im Bachschen Sinne. 

Olga Reiser, © Danuta Urbanowicz
Olga Reiser, © Danuta Urbanowicz

Wie bewerten Sie die heute übliche Ausbildung für dieses Instrument? 

Sie findet auf einem sehr hohen Niveau statt. Aber die Improvisation wird vernachlässigt. Das ist schade, denn zwischen Musiker und Komponist könnte es im Idealfall zu einer Personalunion kommen. Wenn sich die Ausbildung verändern würde, käme dies einer viel besseren Verbreitung von moderner Musik für die Flöte zu Gute. Es gibt in Deutschland und auch in Russland sehr anspruchsvolle spezielle Ausbildungen für Jazzmusiker und Jazzkomponisten. Im klassischen Studium wird die Improvisation hingegen kaum berücksichtigt. Man muss sich meist viel zu ausschließlich zwischen einer klassischen oder einer Jazzkarriere entscheiden. Ich selbst habe die Spezialmusikschule für begabte Kinder in Russland besucht und dort sehr viel über alle möglichen Komponisten gelernt. Aber Improvisation wurde mir nicht beigebracht und das finde ich schade. 

Aber Sie haben es nicht bei dieser rigiden Trennung belassen und mehr draus gemacht. 

Bei einem Flötenfestival habe ich Tillmann Dehnhard kennengelernt und dann einige Workshops bei ihm und bei der Jazz- Flötistin Stefanie Wagner genommen. Gerne lasse ich mich immer wieder neu von anderen Menschen inspirieren. Bestimmt besuche ich noch einige Meisterklassen und Workshops von erfahrenen Jazzflötisten, weil ich es liebe zu lernen. Ich werde mein ganzes Leben lernen. Und das schadet auch nicht meinem persönlichen Ausdruck in meiner Musik, sondern bereichert meine Improvisation.

Haben Sie die Stücke von der neuen CD schon live gespielt?

Im September gab es ein Release-Konzert. Ich erzähle viel in den Konzerten und warum und ich das alles so mache. Die Publikumsreaktionen bestärkte mich in diesem Eindruck, dass das Beatboxing eine sehr gute Verbreitung hat. 

Mir gefällt Ihre von Freiheitsdrang bestimmte künstlerische Haltung. Würden Sie sagen, dass es in der Klassik zu wenig Freigeister gibt?

Ich wünsche mir schon, dass viele Musikerinnen und Musiker meinem Beispiel folgen und mutiger werden. Vor allem, weil die Musik der Gegenwart wieder in Richtung Improvisation tendiert. Komponisten müssten wieder mehr wie Musiker arbeiten. Gute Jazzer schreiben ein Thema und geben dann vielleicht noch die wesentlichen Harmonien vor. Das andere bleibt den Spielern überlassen. In meinem Trio Libero können wir solche Freiheit leben und das macht sehr viel Spaß. Viele klassische Musiker können so etwas leider nicht, was ich sehr gut verstehen kann. Ich habe ja selbst erlebt, wie schwierig es ist, von der klassischen Sozialisation auf Improvisation umzusteigen. Es ist ein Prozess im Kopf und eine Änderung der Einstellung ist hier gefragt. Man will immer perfekt sein – aber man muss nicht immer perfekt sein. An dieser Einsicht arbeite ich gerade. Ich muss nicht jedem gefallen. Das wichtigste Kriterium, das ich verfolge ist, dass es mir gefällt. 

Olga Reiser, vielen Dank für dieses Interview!

Titelfoto © Victoria Page

Das Album

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Musik und Schreiben sind immer schon ein Teil von mir gewesen. Cellospiel und eine gewisse Erfahrung in Jugendorchestern prägten – unter vielem anderen – meine Sozialisation. Auf die Dauer hat sich das Musik-Erleben quer durch alle Genres verselbständigt. Neugier treibt mich an – und der weite Horizont ist mir viel lieber als die engmaschige Spezialisierung, deswegen bin ich dem freien Journalismus verfallen. Mein Interessenspektrum: Interessante Menschen und ihre Geschichten „hinter“ der Musik. Kulturschaffende, die sich etwas trauen. Künstlerische Projekte, die über Tellerränder blicken. Labels, die sich für Repertoire-Neuentdeckungen stark machen. Mein Arbeitsideal: Dies alles fürs Publikum entdeckbar zu machen.
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