Die Geigerin Eva Zavaro wurde 1995 in einer polnisch-französischen Musikerfamilie in Paris geboren. Sie studierte am Conservatoire National Supérieur de Musique de Paris und an der Hochschule für Musik in München mit Julia Fischer. Als Solistin gewann sie diverse Preise, ist aber auch begeisterte Kammermusikerin. Mit dem Pianisten Clément Lefebvre hat sie die CD „Fauré Szymanowski – Notturno“ aufgenommen.
Handelt es sich dabei um Ihre erste CD?
Das ist meine erste CD in dem Sinne, dass ich dieses Projekt und dieses Programm von A bis Z durchgedacht habe – das kommt wirklich aus meiner Welt. Clément habe ich dann dieses Projekt vorgeschlagen, weil ich dachte, seine Ästhetik, sein Interesse gehen in dieselbe Richtung. Wir spielten schon seit über zehn Jahren zusammen, wir kennen uns vom Studium und er hat sofort zugesagt. Ich bin froh, niemand hätte das besser machen können als er. Ich habe auch bei anderen CDs mitgemacht, zum Beispiel bei einer CD mit Werken von Pierre Wissmer, einem schweizerischen Komponisten. Von ihm habe ich das zweite Violinkonzert aufgenommen, da war ich 19 und das war eine sehr schöne Gelegenheit, mit Orchester aufzunehmen und so ein selten aufgeführtes Stück zu lernen und zu präsentieren. Die neue CD ist meine erste sehr persönliche Platte, bei der ich die „carte blanche“ hatte und alles, was ich wollte, aufnehmen konnte.
Sie sagten gerade, mit dem Orchester haben Sie ein unbekanntes Werk gespielt, Fauré und Szymanowski hört man auch nicht jeden Tag im Konzertsaal. Wie sind Sie dazu gekommen?
Die Idee kam, als ich Faurés zweite Violinsonate entdeckt habe, das war während des Lockdowns. In Frankreich zumindest kennt man Fauré schon und er wird, glaube ich, viel öfter im Konzert gespielt als in Deutschland, obwohl das erste Kammermusikkonzert, das ich je in Deutschland gespielt habe, das war Kammermusik von Gabriel Fauré, das war in München, aber der Veranstalter war tatsächlich Franzose. Also, das war das zweite Klavierquintett, aber da habe ich schon gemerkt, dass das Publikum gar nicht gewöhnt war, diese Musik zu hören. Das ist ziemlich sperrige Musik, vor allem alles, was er am Ende seines Lebens komponiert hat. Aber ja, ich habe diese zweite Sonate, Opus 108, entdeckt. Wohingegen die erste Sonate für Geigen und Klavier, Opus 15, viel zugänglicher und frischer ist. Sie ist wirklich so ein Hammer, ein Hit im Konzert. Die zweite Sonate hat diese Sperrigkeit, diese sehr mysteriöse Stimmung und ich wollte die unbedingt aufnehmen, denn es gibt viel weniger Aufnahmen davon als von der ersten und das fand ich sehr interessant. Außerdem war sie mir, als ich sie entdeckt habe, ein Rätsel. Ich fand es so kompliziert und ich hatte keinen Schlüssel dafür. Und was ist dann passiert? Da habe ich gedacht, ich muss es auflösen, ich muss es verstehen und ich möchte dies gern dem Zuhörer zugänglich machen. Und es stellt sich ja auch die Frage, was will man aufnehmen, was braucht man noch als Aufnahme? Denn es ist ja fast alles im Internet zu haben. Ich glaube, diese Sonate gewinnt, wenn man sie mehrmals hört und deshalb macht eine CD Sinn. Ich wollte auch etwas aufnehmen, was meine Wurzeln spiegelt. Ich bin halb Polin, halb Französin und was kann man mit Fauré aus Polen aufnehmen? Man assoziiert ganz oft Szymanowski und Ravel, die waren auch befreundet, sie haben sich in Paris kennengelernt.

Würden Sie sagen, dass Szymanowski von Ravel beeinflusst worden ist?
Ravel und Szymanowski haben in Szymanowskis spätem Stil sehr viel gemeinsam in den impressionistischen Ausdrücken und Farben und auch in der Harmoniesprache. Aber Fauré und Szymanowski empfinde ich wie zwei Planeten, die nicht die gleiche Sprache reden und ich fand es interessant, die zwei Welten zu kombinieren und Gemeinsamkeiten zu zeigen. Manchmal denkt man, dass man Szymanowski hört, aber es ist doch Fauré und es gibt diese Verbindungen. Fauré und Szymanowski hatten beide verschiedene Schöpfungsphasen in ihrem Leben. Fauré war teilweise sehr frisch, sehr romantisch, diese Salonmusik und dann kam die zweite Sonate und man denkt, das ist ein komplett anderer Komponist. Und bei Szymanowski genauso, seine frühe Phase war viel mehr Spätromantik, sehr von deutscher Musik wie Strauss vor allem, ein bisschen Wagner und Brahms geprägt und allmählich, mit dem älter werden, ist er viel abstrakter geworden und entwickelte seine eigene Stimme. Das war für mich der Zusammenhang zwischen den beiden. Sie haben sich sehr entwickelt, ihr ganzes Leben lang, das fand ich sehr interessant, diese Spiegelungen in der Zeit. Ich wollte unbedingt Stücke von diesen jungen und älteren Beiden spielen. Die Sonate von Szymanowski eröffnet die CD, die hat er mit 20, 21 komponiert und Fauré hat seine Sonate mit 72 komponiert. Szymanowski hat einen Aufenthalt in Frankreich gehabt und er war sehr von französischer Musik geprägt. Ich wollte auch die zwei konfrontieren, weil Fauré immer weiter nach innen gegangen ist und eine sehr intime Musik komponiert hat. Das ist nicht so eine explosive oder brillante Musik, überhaupt nicht, das ist eher sehr intim wie ein Gespräch, es gibt Geheimnisse, so dass man so leise spricht, flüstert. Szymanowski hat diesen Reiz, diese Brillanz, diese sehr hohen Register, fast ein bisschen exzentrisch. Kontraste liegen mir immer am Herzen, wenn ich eine Platte oder ein Konzertprogramm kreiere.
Gab es für Sie bei dem Programm und der Aufnahme besondere Herausforderungen?
Die Herausforderung von der Aufnahme war, und das war mir nicht so klar, bevor wir das aufgenommen haben, dass die zwei so unterschiedlich vom Charakter und von dem Klang sind, dass es für den Tonmeister schwierig war, die richtige Balance zu finden. Wir haben erstmal alles von Szymanowski aufgenommen und dann, als wir zu Fauré kamen, mussten wir die Balance wechseln. Das klang so anders, das wurde von den Mikrofonen ganz anders aufgenommen. Ich glaube, das liegt wirklich an dieser komplett anderen Atmosphäre. Das finde ich aber total spannend.
Im Studio kann man das dann ja ausgleichen, da kann der Tonmeister sagen, jetzt müssen wir die Balance anders steuern, aber wie machen Sie das im Konzert? Da regelt ja keiner.
Ich glaube, das regeln die Ohren der Zuschauer. Es gibt immer diese Flexibilität des Ohres – die Mikrofone haben das nicht, also müssen wir das dann künstlich nachmachen. Im Konzert kann man sehr mit Überraschungen spielen Ein Stück erscheint laut und dann kommt ein Wiegenlied, da muss man wirklich genauer zuhören. Ich liebe es sehr, mit der Flexibilität der Ohren des Zuhörers zu spielen, das macht es dann spannend, es ist nicht nur einfarbig, es passiert etwas.

Beim Weg zur Kunst gibt es zwei verschiedene, entweder man fängt ganz früh an und die Familie hat es einem schon in den Schoß gelegt oder man hat irgendwann das Gefühl, jetzt muss es passieren. Wie war es bei Ihnen?
Das erste gilt für mich. Meine Eltern sind beide Musiker und ich komme aus einer sehr kunstorientierten Familie. Mein Großvater war Maler, er hat im Beaux-Arts, das ist eine sehr große Kunstschule in Paris, unterrichtet für, glaube ich, 50 Jahre. Mein Vater ist Komponist, deswegen habe ich wahrscheinlich auch so eine Liebe für eher unbekannte, nicht so oft aufgeführte Musik und meine Mutter ist auch Geigerin. Ich habe auch Klavier gelernt, bis ich 15 war und dann habe ich mich für Geige entschieden. Aber die richtige Entscheidung, dass ich das beruflich machen wollte, kam mit Entdeckung der Kammermusik. Das war wie ein Schock, dass man wirklich miteinander durch die Musik sprechen und zusammen eine Welt erschaffen kann, das fand ich einfach grenzenlos. Ich hatte das Glück, dass es in meinem Gymnasium ein Kammermusik-Atelier gab mit einer tollen Professorin. Also habe ich Kammermusik nicht im Konservatorium oder in der Musikschule entdeckt, sondern wirklich schon im Gymnasium. Da konnte ich mit meinen Klassenkameraden Kammermusik spielen und es war, als ob sich ein Tor geöffnet hätte. Ich durfte auf viel tieferer Ebene mit meinen Kameraden kommunizieren und dann war plötzlich alles möglich für mich. Das war wie ein Coming-out, ich konnte plötzlich alles ausdrücken.
Träumen Sie denn von Ihrem eigenen Ensemble?
Ich spiele regelmäßig mit einem Trio, ich habe auch sehr lange Streichquartett gemacht, vier Jahre, also, ja. Ich bin mit sehr vielen Ensembles verbunden, ich mag auch diese Vielseitigkeit. Ich würde sehr gerne mein eigenes Festival gründen, um das alles irgendwie zusammenzubringen und nicht nur mit den anderen Musikern auf der Bühne zu kommunizieren, sondern wirklich ein ganzes Event mit Publikum, dass die Leute auch zu uns reisen und so eine längere Einheit zu organisieren, das wäre eigentlich ein Projekt, das mich sehr interessieren könnte.
Haben Sie weitere Ziele?
Dirigieren würde ich auch gerne, also spielend dirigieren, das mache ich auch sehr gerne. Ich habe ein Streichorchester in Frankreich, da machen wir das regelmäßig, dass ich ein Konzert von Mendelssohn oder Bach dirigiere.

Was reizt Sie da ganz konkret?
Bei einem Dirigenten ist es interessant, er merkt so viele Sachen nur allein, weil er seine Ohren im Saal hat und nicht auf der Geige. Ich fühle, wenn man ein bisschen Distanz zu der Musik hat, dann hört man so viel klarer und ich möchte mich immer mehr in dieser Richtung orientieren, also weg vom Instrument und dann spielt man so viel besser. Also das Instrument, das ist mir schon wichtig, dass ich immer meine Stimme habe, aber wenn man sich nur mit der Geige beschäftigt, dann hat man ein Limit und ich möchte gerne dieses Limit überschreiten.
Gibt es sonst noch Wünsche oder Träume?
Es sind wirklich nur Träume, weil ich nicht weiß, ob ich talentiert genug bin, aber mich fasziniert, was Pianisten sehr gerne tun und es vielleicht leichter haben – Transkriptionen. Das ist ein bisschen wie komponieren, aber nicht ganz so anspruchsvoll. Man nimmt sich zum Beispiel ein Stück, eine Sinfonie oder ein Poplied und macht davon ein Stück für sein Instrument. Ich würde sehr gerne viel mehr Repertoire für Solo-Geige haben. Das Problem an Solo-Geige ist natürlich, dass es kein polyphonisches Instrument ist und die Möglichkeiten begrenzt sind. Jemand wie Bach oder Paganini haben diese Ausdrucksmöglichkeiten für das Instrument so viel erweitert. Und sowas würde ich sehr gerne machen. Aber das scheint mir sehr schwierig, das ist doch ein Traum. Wenn ich irgendwie die Geige ein bisschen erweitern könnte, das fände ich echt toll. Es ist ein Zwischenschritt zwischen dem was schon bekannt ist und Kompositionen, die noch niemand gehört hat. Heutzutage ist das ein Thema, weil es echt schwierig ist, seinen Stil als Komponist zu finden. Ich empfinde das so, weil mein Vater auch Komponist ist. Ich habe das immer von außen beobachtet und ich weiß, was für Schwierigkeiten es bringt, Musik zu kreieren, zu schöpfen. Ich habe mich immer viel wohler gefühlt mit Interpretationen. Aber es ist doch das Ideal des Künstlerwerdens, dass man wirklich kreiert. Deswegen wäre für mich aktuell eine gute Antwort diese Transkription.
Eva Zavaro, ich wünsche Ihnen viele wundervolle Projekte und bedanke mir sehr für dieses Gespräch.
Titelfoto © Olivier Lalane