Einfach Klassik.

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Interview mit der Geigerin Laura Zarina

Ein Beitrag von Beatrice Ballin.

„Wenn ich spiele, bin ich zu Hause.“ Mit dieser einfachen, aber vielschichtigen Aussage beschreibt die lettische Geigerin Laura Zarina den inneren Kompass ihres Schaffens. Ihr neues Album „Echoes of Latvia“ ist eine Rückkehr zu den eigenen Wurzeln – musikalisch, emotional, kulturell. Und sie will damit ein Fenster für die in Deutschland fast unbekannte weibliche Komponistentradition Lettlands öffnen, die von der Romantik bis zur Moderne reicht. Beatrice Ballin wollte mehr darüber wissen und erhielt interessante Antworten.

Sie haben Ihr neues Album „Echoes of Latvia“ (Echos aus Lettland) genannt, was sicherlich daran liegt, dass Sie ausschließlich Werke lettischer Komponistinnen eingespielt haben. Doch darüber hinaus: Was schätzen Sie an Ihrem Heimatland?

Ich schätze die kulturelle Bildung, das Werteverständnis, die Liebe zur Natur und die Emotionalität der lettischen Menschen. Auf der Suche, als Künstlerin Neues in die Welt zu bringen, wandte ich mich zuerst meinen eigenen Wurzeln und Prägungen zu. Das tat sehr gut.

Interessanterweise merke ich, dass das rätselhafte Gefühl der Heimatsehnsucht mit diesem Album ein Ventil gefunden zu haben scheint.

Unsere klassische Musikkultur ist historisch sowohl von der westeuropäischen als auch von der osteuropäischen Kultur tiefgreifend geprägt. Aber auch politische Unterdrückung hat ihre Spuren hinterlassen. Gerade dadurch hat sich ein starker Freiheits- und Unabhängigkeitsdrang entwickelt, der der eigenen kulturellen Identität enorme Kraft verliehen hat.

Laura Zarina
Laura Zarina

Unter den europäischen Komponisten vom Barock bis zur Gegenwart fällt auf: Lettische Komponisten sind auf den Konzertbühnen unterrepräsentiert und erscheinen in Nachschlagewerken meist erst ab dem 19. Jahrhundert. Woran liegt das Ihrer Meinung nach? Es wurde doch bestimmt auch früher komponiert.

Wir haben tatsächlich kaum Werke aus der Barock- oder Klassikzeit vorzuweisen. Unsere Komponisten stiegen praktisch direkt in die Romantik ein. Die ersten lernten etwa bei Persönlichkeiten wie Rimsky-Korsakov und seinen Zeitgenossen. 

Vor der Entwicklung einer akademischen Musiktradition wurde vor allem Volksmusik praktiziert – mit passenden Instrumenten, Gesang und Tanz. Diese Volkskultur entwickelte sich ursprünglich aus heidnischen Traditionen und führte schließlich zur Hochkultur.

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts sammelte der lettische Volkskundler Krisjanis Barons als Lebenswerk 217.996 Dainas – vierzeilige Volkslieder, die das alltägliche Leben thematisieren. Das war der Startschuss für das Entstehen einer lettischen Nation. In Ungarn taten Komponisten wie Béla Bartók und Zoltán Kodály Ähnliches.

Ein bemerkenswerter Gedanke von Kodály war: Musik, die bewegt, hat ihren Ursprung in der Nähe zum Volk.

Sie interpretieren Werke von Komponistinnen des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart. Dabei fällt auf, dass fast alle Stücke entweder mit der Natur zu tun haben oder auf Gedichten basieren. Ist das ein Zufall – oder typisch für Lettland?

Ich glaube, es ist sehr typisch. Der lettische Mensch trägt eine lyrische Seele in sich. Unsere Naturverbundenheit ist stark ausgeprägt. Die Liebe zum Land, das eigene Anbauen, Einkochen, die Stille der Natur und die frische Luft – das ist Lebenselixier für uns. Eine Sommerpause auf dem Land, in der Datscha, ist ein Muss.

Auch ich habe die schulfreien Sommermonate oft auf dem Land oder am Meer verbracht, bei meinen Großeltern, im Garten oder auf dem Feld. Das war ein unglaublicher Schatz – eine Zeit, in der man Analogien zwischen Natur und Leben hautnah entdecken konnte.

Die Stücke auf Ihrer CD haben Sie ganz bewusst als Dialog zwischen den Kompositionen von Lucija Garuta (1902–1977), einer bekannten Pianistin, Konzertmeisterin und Komponistin, und Werken zeitgenössischer Komponistinnen gestaltet. Welcher Gedanke liegt dem zugrunde?

Einerseits war Lucija Garuta damals praktisch die einzige Frau, die so produktiv komponierte. Durch ihre leidenschaftliche pädagogische Arbeit prägte sie die nächste Komponistengeneration maßgeblich.

Andererseits entsteht durch den Dialog zwischen Garutas romantisch gefärbter Musik und den verschiedenen zeitgenössischen Perspektiven ein spannungsvoller Wechsel der Klangwelten. Die Werke kommunizieren miteinander.

Laura Zarina
Laura Zarina

Bei der Komposition „Waves come and waves go“ ließ sich die Komponistin Renāte Stivriņa (*1985) von dem Buch „Bernsteinstücke, Liebeserzählungen und Überlegungen“ der lettischen Dichterin Zenta Mauriņa inspirieren. Mehr noch: Die klangliche Grundlage dieses Werks besteht aus einem Kryptogramm Ihrer und Mauriņas Namen. Wie muss man sich das vorstellen?

Das Werk wurde in meinem Auftrag geschrieben – mit der Aufgabenstellung, ein Gedicht als Inspirationsquelle zu wählen. Die Komponistin wählte Zenta Mauriņa, eine mir sehr nahestehende Autorin.

Für das Werk wählte sie eine besondere kompositorische Technik: Sie nahm die Buchstaben der Vor- und Nachnamen von Zenta Mauriņa und mir und übertrug sie in Tonhöhen – so, wie im musikalischen Alphabet etwa A, B, C für bestimmte Noten stehen. Diese Ton-Buchstaben bilden das musikalische Grundmaterial des Stücks.

Die Partitur ist wie ein geheimer Dialog zwischen Zenta Mauriņa und mir – ein Gespräch über die Wellen, die kommen und gehen. Und trotz aller Vergänglichkeit suchen wir in diesem Austausch nach bleibenden Schätzen – wie damals, so auch heute.

Wenn die letzte Note verklungen ist, wünsche ich mir, dass etwas bleibt – ein Nachhall. Vielleicht nicht nur von Lettland, sondern von etwas, das in jedem Menschen Heimat bedeutet.

Laura Zarina, vielen Dank für das Gespräch.

Titelfoto © Andrej Grilc

Das Album

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