Einfach Klassik.

Einfach Klassik.

Interview mit der Pianistin Heghine Rapyan

Heghine Rapyan, geboren in Armenien, studierte am Staatlichen Konservatorium Jerewan und der Universität Mozarteum Salzburg. Sie konzertierte mit bedeutenden Orchestern und gewann zahlreiche Preise. Ihr Album „The Soul of Smyrna“ (2023) wurde von der American Record Guide zur „Besten CD des Jahres“ gekürt. Mit „The Untouchable“ debütiert sie als Komponistin.

Pianistin Heghine Rapyan hat ihr Leben der klassischen Musik gewidmet – bis jetzt. Mit ihrem Album „The Untouchable“ wagt sie den Sprung ins Komponieren und schafft etwas völlig Unerwartetes: Melodien, die „direkt ins Herz gehen“ und weit über die Klassik-Szene hinaus berühren. Im Gespräch verrät die preisgekrönte Musikerin, warum sie nach Jahren des Zögerns ihre eigenen Kompositionen veröffentlicht, wie ihre Stücke zwischen griechischen Stränden und verschneiten Salzburger Straßen entstehen, und warum sie überzeugt ist, dabei nur als Kanal für eine größere Kraft zu dienen – ein faszinierender Einblick in den kreativen Prozess einer Künstlerin, die aus dem goldenen Käfig der Interpretationen ausbricht! 

Heghine Rapyan, beim ersten Hören Ihrer Platte war ich zunächst irritiert. Sie sind als klassische Pianistin bekannt, plötzlich erklingen Songs mit Pop-Anklängen. Wie kam es dazu und mussten Sie sich überwinden, damit an die Öffentlichkeit zu gehen?

Als Kind waren Improvisieren und Komponieren Teil meiner musikalischen Entwicklung. Bereits mit acht, neun Jahren improvisierte ich Zugaben. Als ich älter wurde, schrieb ich meine ersten Lieder. Die acht Stücke für dieses Album existierten schon lange, doch ich scheute bislang davor zurück, sie meinem Publikum zu zeigen. Die Angst vor Kritik blieb, aber nach einem Jahr intensiver Arbeit dachte ich: Das klingt schön, es könnte den Leuten gefallen. Hubert Haas vom Label Solo Musica reagierte so positiv, dass er mir Mut machte. „Die Musik ist wunderschön, wir veröffentlichen sie gerne.“

Wie sind aus Ihren Klavierstücken diese Arrangements entstanden und warum nannten Sie das Album „Untouchable“?

Ursprünglich schrieb ich die Stücke für Klavier. In Armenien fand ich dann mit Gevorg Hakobyan und Karen Ananian wunderbare Instrumentalisten. Es funktionierte sofort so gut, dass wir direkt „Non-Dubitare Tango“ aufnahmen. Dies gefiel mir so gut, dass ich weitermachen wollte.

„Untouchable“ ist der Titel eines Stücks und steht für die unerreichbaren Dinge in meinem Leben – Träume, die ich nie erfüllen konnte oder kann. Als ich es vor etwa fünf Jahren komponierte, wusste ich sofort: So wird meine erste CD heißen.

Heghine Rapyan
Heghine Rapyan

Was bedeutet komponieren für Sie? Wie entstehen diese Melodien?

Interpretieren und Komponieren sind völlig verschiedene Welten. Das Wissen, eigene Musik geschaffen zu haben, die bleiben wird, erfüllt mich zutiefst. Diese Lieder existieren weiter, wenn ich einmal nicht mehr bin – mein größter Erfolg als Musikerin.

Die Melodien tauchen plötzlich auf, ich weiß nicht woher. Sie kreisen im Kopf, ich halte sie sofort fest, arbeite dann an Form und Harmonie. Diesen Prozess kann ich nicht kontrollieren – eine unsichtbare Kraft leitet mich, bis das Stück vollendet ist. Unterbrechungen sind unmöglich.

„My Saloniki“ entstand direkt am griechischen Strand. Die Musik überfiel mich förmlich. Ich sang sie ins Telefon, vollendete sie später zu Hause. Einige Stücke haben auch Texte in meiner eigenen Sprache. Ich müsste noch eine passende Sängerin finden. Ist ein Werk abgeschlossen, ändere ich nichts mehr daran.

Und „April Snow“? Spiegelt sich darin Ihre Wahlheimat Salzburg?

„April Snow“ entsprang einem Salzburger Spaziergang. Es war April, alle Wetterphänomene trafen aufeinander – Wind, Sonne, Schnee. Rosa blühende Bäume. Beim Blick zum Himmel kam diese Melodie. Ich sang sie während des Gehens ein. Zu Hause formte ich sie am Klavier, nahm sie auf, war danach erschöpft. Am nächsten Tag hörte ich sie wieder und änderte nichts mehr.

Diese Melodien stammen vom Universum. Ich glaube an etwas Größeres – Gott, das Universum, wie auch immer. Diese Verbindung gebiert die Ideen. Besonders beim Klavierüben öffnet sich meine Vorstellungskraft. Ein Notizbuch liegt stets bereit. Abends sichte ich die Einfälle, setze die besten um. Ohne diese Achtsamkeit gingen sie verloren.

Die orchestralen Arrangements wirken sehr aufwändig, mit orchestraler Begleitung und vielen elektronisch produzierten Elementen. Wie sind Sie vorgegangen?

Die instrumentalen Konzepte stammen von mir. Mein Team realisierte sie digital – ein echtes Orchester wäre zu kostspielig gewesen. Das Klavier spielte ich live ein, nur das Orchester ist elektronisch.

Planen Sie Liveauftritte mit diesen Stücken?

Unbedingt! Gerade weil Aufführungen mit klassischem Klavier und digitalen Elementen heute sehr gefragt sind. Diese Musik spricht ein breiteres Publikum an als reine Klavierklassik. Ich warte erstmal, bis die CD Resonanz findet, um Veranstalter zu gewinnen. Die Stücke könnten auch für die Filmindustrie interessant sein.

Heghine Rapyan
Heghine Rapyan

Welche Reaktionen erhalten Sie bisher?

Durchweg positive, denn diese Musik trifft direkt ins Herz. Die Menschen sind überrascht, dass ich komponiere, und fühlen sich berührt. Wenn ich meine Kompositionen als Zugaben in klassischen Konzerten spiele, sprechen die Zuhörer anschließend mehr darüber als über das eigentliche Programm.

Der Bürgermeister von Thessaloniki lud mich sogar ein, weil ich über seine Stadt ein Lied schrieb. Tourismus-Kanäle nutzen es für ihre Videos – hier wird ein Publikum weit jenseits der Klassik-Szene erreicht. Die Melodien entwickeln sich eingängig und bleiben im Gedächtnis, auch ohne musikalische Vorbildung. Aus diesem neuen Schaffen schöpfe ich enorme Freude und Energie.

Erzählen Sie mehr über Ihre persönliche Horizonterweiterung durch dieses Projekt.

Es erfüllt mich mehr als das ständige Üben klassischer Stücke. Bei der Interpretation gibt es immer Bessere als mich, aber meine eigene Musik bleibt einzigartig. Natürlich spiele ich weiterhin mit Liebe Bach, Beethoven und Chopin – ohne sie kann ich nicht leben. Aber jetzt ist etwas Neues hinzugekommen, wie ein zweites Kind. Auch wenn man zunächst zweifelt, ob man ein weiteres Kind lieben kann – die Liebe kommt von selbst.

„Non-dubitare Tango“ bedeutet „Zweifle nie an dir selbst“ – auf Italienisch, weil es schön klingt. Das Stück strahlt immense Positivität aus. Oft denke ich, nicht ich habe diese Musik komponiert. Sie kommt von woanders. Ich bin nur ein Kanal. Die Reaktionen bestätigen das. Habe ich das wirklich geschrieben oder nur Signale empfangen und weitergegeben? Ich glaube, diese Verbindung zu etwas Größerem existiert. Wer aufmerksam bleibt für die Ideen im Kopf und sie ins Leben bringt, kommt viel weiter.

Sie unterrichten auch Klavier. Was lernen Sie von Ihren Schülern?

Kinder leben nur im Jetzt. Sie fürchten weder Zukunft noch grübeln sie über Vergangenes. Sie genießen einfach. Ihre Fähigkeit, im Moment zu sein, ist der Schlüssel zu ihrem Glück. Das lerne ich täglich von ihnen.

Meine Lebensphilosophie lässt sich in drei Worten zusammenfassen: Alles ist gut. Diese einfachen Worte können Menschen retten. Und ich wünsche allen, dass sie sagen können: Alles ist gut. Weil es wirklich so ist.

Heghine Rapyan, vielen Dank für dieses Gespräch!

Titelfoto von Piano City Milano / Marco Pieri

Das Album

Icon Autor lg
Musik und Schreiben sind immer schon ein Teil von mir gewesen. Cellospiel und eine gewisse Erfahrung in Jugendorchestern prägten – unter vielem anderen – meine Sozialisation. Auf die Dauer hat sich das Musik-Erleben quer durch alle Genres verselbständigt. Neugier treibt mich an – und der weite Horizont ist mir viel lieber als die engmaschige Spezialisierung, deswegen bin ich dem freien Journalismus verfallen. Mein Interessenspektrum: Interessante Menschen und ihre Geschichten „hinter“ der Musik. Kulturschaffende, die sich etwas trauen. Künstlerische Projekte, die über Tellerränder blicken. Labels, die sich für Repertoire-Neuentdeckungen stark machen. Mein Arbeitsideal: Dies alles fürs Publikum entdeckbar zu machen.
Dots oben

Das könnte Dir auch gefallen

Dots unten
Dots oben

Verfasse einen Kommentar

Dots unten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Newsletter

Icon Mail lg weiss

Bleib informiert & hol dir einen
exklusiven Artikel für Abonnenten