Einfach Klassik.

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Interview mit der Sopranistin Linda van Coppenhagen

Mit ihrem Debütalbum Heimwee schlägt die südafrikanische Sopranistin Linda van Coppenhagen eine eindrucksvolle Brücke zwischen der deutschen Romantik und der südafrikanischen Musiktradition. Auf dem Album vereinen sich Werke von Louis Spohr, Richard Strauss und Franz Schubert mit südafrikanischen Kompositionen von Stephanus Le Roux Marais. Im Interview spricht sie über die musikalischen und persönlichen Hintergründe ihres Albums und die spannende Zusammenarbeit mit der Klarinettistin Friederike von Oppeln-Bronikowski und dem Pianisten David Grant.

Auf Ihrem Album singen Sie auch das Lied von Richard Strauss, das das schlechte Wetter beklagt. Warum sind Sie nach Deutschland gekommen, wenn doch in Südafrika viel mehr die Sonne scheint?

Das ist ein großes Thema und mein ganzes Album handelt davon. Ich bin nach Deutschland gekommen, weil ich hier als Sängerin bessere Möglichkeiten habe und bereue diesen Schritt in keiner Weise. In Südafrika gibt es kaum klassische Musik, da hätte ich nur als Pop- oder Schlagersängerin Erfolg gehabt. Klassische Musik hat für mich viel mehr Potenzial. Aber das schließt nicht aus, dass ich jeden Tag aufs Neue verrückt werden könnte vor Heimweh nach Südafrika, der Landschaft, der Weite, der Atmosphäre.

Wie war der Anfang hier in Deutschland für Sie?

Alles, was in meiner Karriere bislang gelang, war ein kleines Wunder. Der Erfolg kam langsam, durch viel Geduld und Glück. Als Südafrikanerin ohne Deutschkenntnisse und klassische Ausbildung hierherzukommen und Erfolg zu haben, fühlt sich fast wie ein Wunder an. Der Anfang war unsicher, ich wusste nicht, ob es klappen würde. Dass wir jetzt hier miteinander sprechen, ist ebenfalls ein Wunder.

Sie haben am Opernhaus Halle eine künstlerische Heimat gefunden. Sind Sie dort fest engagiert?

Ich war zunächst festes Mitglied im Ensemble der Oper Halle. Mein Mann und ich sind beide Sänger, er ist ebenfalls an der Oper Halle engagiert. Irgendwann entschied ich mich, freiberuflich zu arbeiten, um mehr Zeit für unsere Tochter zu haben. Das Leben im Ensemble ist sehr anstrengend, besonders abends und an den Wochenenden. Heute arbeite ich weiterhin freiberuflich an der Oper Halle, aber nicht mehr im festen Ensemble.

Kommen wir nun zu Ihrem Debütalbum Heimwee, das im Herbst 2024 erschienen ist. Ich bin neugierig auf die Vorgeschichte, die sich dahinter verbirgt.

Ich habe mich gefragt: Wer bin ich als Künstlerin? Was mache ich eigentlich? Warum singe ich? Ein Stipendium des Deutschen Musikrats im Rahmen von „Neustart Kultur“ für benachteiligte Freiberufler während der Corona-Pandemie ermöglichte es mir schließlich, ein Album zu produzieren. In meiner Bewerbung erklärte ich, das Geld für ein Album zu nutzen, das meine Verbindung zu Deutschland und Südafrika ausdrückt. Dass ich so ein konkretes Thema hatte, half meiner Bewerbung zum Erfolg. Mein eigenes Debutalbum bringt zum Ausdruck, dass ich als Freiberuflerin die Freiheit habe, selbst zu entscheiden, was ich singen möchte. Durch das Albumprojekt bin ich dieser Identität nähergekommen. Freiberuflich zu sein, fordert viel Kreativität und Selbstinitiative. Ich bin gespannt, was in Zukunft noch kommt, denn ich möchte noch mehr in diese Richtung arbeiten.

Linda van Coppenhagen
Linda van Coppenhagen

Wie hat sich das Thema fürs Programm der CD schließlich ergeben?

Der südafrikanische Pianist David Grant, ebenfalls von der Pandemie betroffen, schlug vor, ein Programm zu entwickeln, das trotz der Einschränkungen umgesetzt werden konnte. Die Pandemie war der Auslöser. Die Programmauswahl entstand aus persönlichen Wünschen und praktischen Überlegungen. Wir achteten darauf, dass die Lieder sowohl musikalisch als auch thematisch gut zusammenpassten, wobei sowohl meine Lieblingslieder als auch Vorschläge des Pianisten einflossen. Ich wollte Lieder aus meiner Heimat auf dem Album haben, speziell in meiner Muttersprache Afrikaans, die mir viel näher an meiner Seele liegt als Englisch. Ich bin zweisprachig aufgewachsen, aber Afrikaans ist mir emotional näher. Das Album wurde zu einer persönlichen Auseinandersetzung, die sowohl musikalisch als auch menschlich geprägt war. Unsere Zusammenarbeit war ein kreativer Prozess, der von Vertrauen und Respekt getragen wurde. Es ging uns darum, uns gegenseitig zu unterstützen und Kunst zu schaffen, auch ohne große Produktionen.

Wie kam es zu der ungewöhnlichen Kombination von Klarinette, Klavier und Gesang?

Die Klarinette passte perfekt zu meiner Stimme und dem Klavier. Da es wenig Repertoire für diese Kombination gibt, war es spannend, neues Terrain zu betreten. Die Art, wie Friederike von Oppeln-Bronikowski hier die Klarinette spielt, wirkt wie eine zweite Gesangsstimme hinzu und macht die Musik noch lebendiger.

Was hat Sie an den Gedichten und der Musik von Louis Spohr berührt?

Es war, als hätten Louis Spohrs Lieder meine eigenen Gedanken in Worte gefasst. Besonders das Lied über den Frühling berührte mich sehr, da ich mir oft gewünscht habe, einen südafrikanischen Frühling noch einmal zu erleben – eine Sehnsucht, die in den Gedichten ebenfalls zum Ausdruck kam. Lieder wie „Sehnsucht“ und „Das heimliche Lied“ haben für mich eine besondere Bedeutung. Das „heimliche Lied“ beschreibt jemanden in tiefer Depression, der dennoch einen Funken Hoffnung sucht, um aus dem Dunkel zu entkommen. In diesem Lied fand ich mich sehr wieder, es spiegelte meine eigenen inneren Kämpfe wieder. Die Musik und der Text vermitteln diese Gefühle so eindrucksvoll, dass es fast wie eine persönliche Komposition wirkte, obwohl sie von jemand anderem geschrieben wurde.

Eine echte Überraschung auf diesem Album sind die Lieder des südafrikanischen Komponisten Stephan Le Roux Marais.  Was sind hier die Hintergründe?

Stephan Le Roux Marais hat in einer anderen Zeit gelebt. Trotzdem finde ich es sehr wichtig, dass seine Musik wieder gespielt wird. Es ist faszinierend, wie er europäische Kompositionstechniken mit der südafrikanischen Poesie kombiniert hat. Gerade nach der Apartheid ist es wichtig, den kulturellen Wert dieser Musik neu zu erkennen und sie aus dem politischen Kontext herauszulösen. Sie zeigt, wie Kunst Brücken zwischen verschiedenen Welten schlagen kann.

Linda van Coppenhagen
Linda van Coppenhagen

Und wie sieht es mit Ihrer inneren Verbindung zu diesen Liedern aus?

Die Lieder aus Afrika wecken Erinnerungen und Emotionen – an die Landschaft, die Natur, das Leben in Südafrika. Sie berühren mich, weil sie wie klassische Musik sind, aber diese spezielle kulturelle Note haben, die mir aus meiner Kindheit und Jugend bekannt ist. Während der Arbeit an dem Album hatte ich immer wieder das Gefühl, dass ich diese Lieder singen muss, um meine Verbindung zu meiner Heimat nach außen zu tragen. Die Lieder sind für mich viel mehr als nur Musikstücke. Sie spiegeln meine eigene Identität und meine Sehnsucht nach meiner Heimat wider.

Wie hat sich die politische Vergangenheit Südafrikas auf die Wahrnehmung dieser Musik ausgewirkt?

Viele Komponisten der Apartheid-Zeit wie Marais wurden missverstanden oder abgelehnt, weil sie europäische Musikstile in ihren Werken integrierten. Auch Marais wurde fälschlicherweise als „Apartheid-Komponist“ abgestempelt, weil er europäische Musikstile in seine Werke integrierte. In Wirklichkeit reflektiert seine Musik lediglich seine musikalische Ausbildung und seine Fähigkeit, afrikanische Poesie auf künstlerische Weise zu interpretieren. Heute, nach der politischen Wende, denke ich, dass diese Musik endlich die Anerkennung finden kann, die sie verdient. Durch die Veränderungen in der Politik und Gesellschaft kann man Kunst heute aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten. In einer Zeit, in der kulturelle Vielfalt mehr Anerkennung findet, kann diese Musik einen Platz in der Geschichte der südafrikanischen Musik finden. Musik kann immer dabei helfen, die Identität eines Landes und seiner Menschen zu bewahren.

Gibt es kompositorisch gesehen einen gemeinsamen Nenner zwischen der europäischen und der südafrikanischen Kunstmusik?

Die deutsche Kunstlied-Tradition ist tiefgründig und technisch anspruchsvoll, die afrikanische Musik ist direkter und emotionaler. Sehr ausdrucksstark und emotional ist beides. Die deutschen Kunstlieder sind technisch anspruchsvoll und haben eine gewisse Struktur, die ich als Sängerin sehr schätze. Aber sie sind auch intimer als afrikanische Musik. Bei den afrikanischen Liedern wollte ich den Gesang genauso intim und direkt gestalten, aber auch die Freiheit und den Raum der Musik respektieren. In beiden Lied-Traditionen geht es um Liebe, Verlust, Sehnsucht und Natur. Die Herausforderung war, beides miteinander zu verbinden.

Welche Prioritäten gab es beim Aufnahmeprozess?

Als ich mit den deutschen Liedern arbeitete, wollte ich, dass diese sehr persönlich klingen. Die südafrikanischen Lieder sollten mehr Raum bekommen, weil sie nicht nur meine Gefühle, sondern auch die Geschichte des ganzen Landes widerspiegeln. Auch hier war mir wichtig, dass die Lieder intim und direkt klingen. Ich habe eine Operngesangsstimme, aber ich wollte nicht, dass die Aufnahmen wie Oper klingen. Oper klingt oft sehr distanziert. Ich wollte, dass die Stimme den Zuhörer direkt anspricht, wie bei einer Popsängerin. Der enge, direkte Klang passt besser zu der Intimität der Lieder. In einem Tonstudio konnte ich die Lautstärke und Power meiner Stimme zurücknehmen und fast in Sprechgesang übergehen. Das hat sich als richtig herausgestellt, weil es die Intimität verstärkt.

Linda van Coppenhagen
Linda van Coppenhagen

Wie beeinflusste das Mikrofon und der Studio-Sound Ihre Interpretation der Lieder?

Im Konzertsaal muss man oft lauter singen, um die letzte Reihe zu erreichen. Im Studio konnte ich mich auf die kleinen Unterschiede im Klang konzentrieren und habe nicht so viel Kraft gebraucht. So konnte ich die Emotionen und Farben der Texte besser vermitteln. Die Texte muss man verstehen können, denn Kunstlieder sind Gedichte. Manchmal geht die Nähe in Kunstlied-Aufnahmen verloren, wenn die Stimme zu laut ist. Bei Louis Spohr, dessen Musik viele Details hat, war es wichtig, dass man den Text hört und die Gefühle durch Musik und Worte versteht.

Haben Sie schon Rückmeldungen aus Südafrika bekommen?

Die Rückmeldungen aus Südafrika waren überwältigend positiv. Besonders die Tatsache, dass ich afrikanische Lieder auf dem Album habe, hat viele Leute tief berührt. Dass ich als Südafrikanerin, die nun in Europa lebt, etwas Positives und Schönes über Südafrika und die afrikanische Kultur aufnehme, ist für sie eine große Ehre. Es gibt den Menschen das Gefühl, dass ihre Kultur nicht verloren geht und ihre Geschichte weiterhin erzählt wird. Es ist auch eine Bestätigung für mich, dass Musik immer die Kraft hat, Menschen zu verbinden und ihnen Hoffnung zu geben.

Was ist Ihnen neben der Musik noch wichtig?

Ich male, was mir hilft, meine Seele auszudrücken und meinen künstlerischen Horizont zu erweitern. Außerdem reite ich seit meiner Kindheit, was mir einen beruhigenden Ausgleich bietet. Pferde haben einen großen Einfluss auf mich und helfen mir, meine Verbindung zum „Urmenschen“ zu bewahren. In einer zunehmend digitalen Welt, die mich nervös macht, halte ich diese Verbindung zu natürlichen Wurzeln für besonders wichtig.

Möchten Sie, dass die Hörer mit Ihrem Debütalbum wieder ein Gefühl für die Natur bekommen?

Auf jeden Fall. Das Album war mein Versuch, etwas Natürliches und Ursprüngliches in eine zunehmend künstliche Welt zu bringen. Es war ein Versuch, den Menschen etwas zu geben, das sie tief berührt und in Einklang mit ihrer eigenen Menschlichkeit bringt.

Linda van Copenhagen, vielen Dank für dieses Gespräch!

Icon Autor lg
Musik und Schreiben sind immer schon ein Teil von mir gewesen. Cellospiel und eine gewisse Erfahrung in Jugendorchestern prägten – unter vielem anderen – meine Sozialisation. Auf die Dauer hat sich das Musik-Erleben quer durch alle Genres verselbständigt. Neugier treibt mich an – und der weite Horizont ist mir viel lieber als die engmaschige Spezialisierung, deswegen bin ich dem freien Journalismus verfallen. Mein Interessenspektrum: Interessante Menschen und ihre Geschichten „hinter“ der Musik. Kulturschaffende, die sich etwas trauen. Künstlerische Projekte, die über Tellerränder blicken. Labels, die sich für Repertoire-Neuentdeckungen stark machen. Mein Arbeitsideal: Dies alles fürs Publikum entdeckbar zu machen.
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