Unmittelbar nach seinem brillanten Examenskonzert im Orchesterzentrum NRW in Dortmund sprach der junge Geiger Elvin Hoxha Ganiyev über seinen Weg zur künstlerischen Freiheit, seine internationale Ausbildung zwischen Ankara, Köln und Berlin sowie seine neue Aufnahme der sechs Violin-Solosonaten von Eugène Ysaÿe, die er in nur drei Tagen mit dem renommierten Tonmeister Gregor Zielinski einspielte. Ein Backstage-Gespräch über den Moment, in dem aus einem Studenten ein Künstler wird.
Dieses Konzert war auch Ihre Abschlussprüfung für den Studiengang Konzertdarbietung. Welche Bedeutung hat dieser Abend für Sie persönlich?
Ich war glücklich, aufgeregt und stolz, und ich fühlte mich gut vorbereitet, was mich ruhig hielt. Während des Konzerts war ich ganz in diesem Moment. Ich konzentrierte mich auf die Musik und auf das, was das Orchester tat. Ich wollte nicht nur die Musik spielen, sondern sie auch fühlen und sehen, was das Orchester und das Publikum tun. Es war aufregend zu spüren, wie das Publikum auf meine Musik reagierte. Dieser Abend markiert den Übergang von meiner Ausbildung zum Beginn meiner beruflichen Laufbahn als Musiker. Das Konzertexamen ist mehr als nur ein Abschluss, es bedeutet eine bewusste Entscheidung, auf die große Bühne zu treten. Es ist eine Bestätigung, dass ich bereit bin, den nächsten Schritt als Künstlerin zu gehen, die Verantwortung übernimmt. Von nun an geht es darum, meine persönliche künstlerische Seite weiterzuentwickeln, und dieses Konzert hat mir gezeigt, dass ich mein Ziel erreichen kann.
Wie haben Sie sich darauf vorbereitet?
Mit einem Orchester zu arbeiten ist etwas ganz anderes als alleine zu üben. Es ist wichtig, dass der Solist und das Orchester im Einklang sind. Ich wollte, dass meine Musik meine eigene Stimme widerspiegelt. Ich habe mich nicht nur auf die Technik konzentriert, sondern auch darauf, wie die Musik auf die Zuhörer wirken würde. Als Künstler muss man lernen, wie man durch Musik ohne Worte sprechen kann.
Können Sie sich einen prominenteren und glamouröseren Rahmen als das Orchesterzentrum NRW in Dortmund für ein Examenskonzert vorstellen? Welches Netzwerk steckt dahinter?
Das ist alles sehr international. Die Verbindung reicht von der Folkwang Universität der Künste in Essen bis zum Kulturministerium in Polen und schließt auch das Orchesterzentrum ein, wo Alexander Hülshoff als künstlerischer Leiter arbeitet. Gerade für junge Musiker, die sich international etablieren wollen, ist die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Institutionen und Ländern sehr wichtig.
Haben Sie an der Folkwang Universität der Künste in Essen studiert?
Ja, ich habe zwei Jahre lang bei Aleksei Semenenko studiert. Das ist an sich schon eine tolle Erfahrung, weil wir beide früher zusammen bei Zakhar Bron studiert haben. Ich habe viel von Semenenko gelernt. Er ist für mich mehr als nur ein Lehrer – er ist mein Mentor. Ich reise viel, und er gibt mir wertvolle Ratschläge und unterstützt mich bei meinen Konzerten.

Sie haben kürzlich eine CD mit den sechs Violinsonaten von Eugène Ysaÿe aufgenommen. Worum geht es bei diesem Projekt und wie muss man sich den kreativen Prozess vorstellen?
Alle sechs Sonaten aufzunehmen, war schon immer ein Traum von mir. Besonders liebte ich die „Ballade“ (Sonate Nr. 3), die ich oft als Zugabe spielte. Als ich jedoch die Sonate Nr. 5 entdeckte, wusste ich, dass ich das gesamte Werk aufnehmen wollte. Das Projekt wurde zu einem intensiven Erlebnis, das ich in nur drei Tagen in Hannover mit dem großartigen Tonmeister Gregor Zielinski realisieren konnte. Es war ein Privileg, mit ihm in einigen der besten Studios der Welt zu arbeiten. Diese Gelegenheit war außergewöhnlich, und ich habe jeden Moment genossen – auch die schwierigen. Ich hoffe, alles klingt für die Hörer genauso lebendig wie für mich.
Was fasziniert Sie an diesen Sonaten?
Es ist atemberaubend, sie zu spielen und ihnen zuzuhören! Für mich ist es wie ein wunderschöner Ozean, in dem man jedes Mal, wenn man eintaucht, etwas Neues entdecken kann und immer von grenzenlosen Farben und Gefühlen umgeben ist. Die Sonaten haben keine Grenzen – weder in der Musik noch in der Technik. Je mehr ich an ihnen arbeite, desto mehr neue Aspekte entdecke ich. Sie sind unglaublich vielseitig und anspruchsvoll. Ich denke, sie gehören zu den wichtigsten Werken des Violinrepertoires. Was die Solosonaten von Ysayes für mich so besonders macht, ist der Reichtum der Harmonien und die Art und Weise, wie sie einem die Möglichkeit geben, jedes Mal, wenn man an ihnen arbeitet, unglaublich viele Kontraste in der Klangprojektion und den Effekten auf der Violine zu finden.
Haben Sie die Sonaten schon in Konzerten aufgeführt?
Nicht alle sechs Sonaten in einem Konzert, aber ich habe einzelne Sonaten in verschiedenen Konzerten aufgeführt. Ich habe jedoch vor, den gesamten Zyklus oder größere Teile davon nach der Veröffentlichung des Albums aufzuführen. Das wird eine große Herausforderung für das Publikum sein, aber es ist auch spannend, ein so umfangreiches Programm zu präsentieren. Aber das Üben und die Vorbereitung auf ein solches Konzert erfordert einen enormen Arbeitsaufwand – man muss wirklich Hunderte von Stunden üben, um es gut zu spielen.
Wie wichtig sind Konzerterfahrungen für Ihre musikalische Entwicklung?
Konzerte bedeuten mir enorm viel. Seit ich sieben Jahre alt bin, ist es mein Traum, auf den besten Bühnen der Welt zu spielen. Mein Großvater war ein großer Geiger in der Sowjetunion und hat mir gezeigt, wie wichtig es für einen Musiker ist, auf der Bühne zu stehen und mit dem Publikum in Kontakt zu treten.
Erzählen Sie mir mehr über Ihren Hintergrund!
Ich wurde in Ankara geboren; mein Vater ist Albaner und meine Mutter Aserbaidschanerin. Der Name Elvin ist in beiden Ländern bekannt. Mein Großvater Server Ganiyev, der das Bilkent-Sinfonieorchester in Ankara gründete, hatte einen großen Einfluss auf mich. Als Kind hörte ich Musiker wie Rozhdestvensky und Ashkenazy, die er gut kannte. Ich hatte das Glück, Ashkenazy persönlich zu treffen, als er das Orchester dirigierte. Seit ich acht Jahre alt war, reiste ich regelmäßig nach Köln, um bei Zakhar Bron zu lernen. Er war ein charismatischer Lehrer, der mir viel beibrachte, vor allem in Bezug auf Technik und musikalischen Ausdruck. Trotz seiner Strenge hat er mir gezeigt, wie man Musik zum Leben erwecken kann. Ich habe auch viel von meinem Großvater Server Ganiyev gelernt, von Krzysztof Węgszyn in Hannover, von Professor Semenenko und von Eduard Wulfsson und auch von Prof. Mark Gothoni, bei dem ich an der UdK Berlin studiere.

Haben Sie bestimmte künstlerische Ideale?
Aber irgendwann hatte ich das Gefühl, dass ich meine eigene musikalische Stimme finden muss. Ich denke, der wichtigste Schritt war, mir selbst treu zu bleiben und meine eigene musikalische Identität zu entwickeln. Heute fühle ich mich wirklich frei und in der Lage, mich in einem Konzert voll auszudrücken. Freiheit ist für mich sehr wichtig. Ich möchte nicht nur Normen oder einem bestimmten Stil folgen. Für mich geht es darum, authentisch zu spielen, das zu tun, was ich fühle, und mit meinem Herzen zu spielen. Natürlich ist Intonation ist sehr wichtig, weil sie der Geige die Resonanz verleiht und den Klang lebendig macht. Aber vor allem geht es darum, im Moment zu sein.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Musik?
Wir brauchen viel mehr Interaktion, vor allem mit der jüngeren Generation. Die jüngere Generation ist vielleicht weniger an klassischer Musik interessiert als an anderen Genres, aber ich bin sicher, dass wir dies durch innovativere Konzertformate ändern können. Viele junge Musiker sind unglaublich talentiert und bringen neue, frische Ideen in die Musik ein. Aber wir müssen ihnen auch mehr Möglichkeiten geben, dies auf großen Bühnen zu zeigen. Leider gibt es in der klassischen Musik immer noch eine sehr kleine Gruppe von extrem etablierten Künstlern, die immer im Rampenlicht stehen. Dabei gibt es so viele große Talente, die es genauso verdienen, gesehen und gehört zu werden. Das müssen wir unterstützen.
Was steht bei Ihnen als nächstes an?
Im Juni trete ich beim Klavier-Salon Christophori in Berlin auf zusammen mit dem französischen Pianisten Gaspar Thomas, den ich beim Szymanowski-Wettbewerb kennengelernt habe. Am 21. Dezember gibt es ein Konzert in Istanbul mit meinem Freund, dem Pianisten und Komponisten Cem Esen. Im Januar habe ich zwei Mendelssohn-Konzerte. Im Februar werde ich nach Thailand reisen und mit einem Symphonieorchester auftreten, gefolgt von einem Konzert in Ankara mit einem jungen türkischen Pianisten (Ilyun Burkev). Es gibt viele spannende Projekte, und ich bin gespannt, wie sich alles entwickelt!
Welche Erfahrungen haben Sie in den vielen östlichen Ländern, in denen Sie auftreten gemacht?
Meine Erfahrungen sind immer großartig, das Publikum ist sehr gut ausgebildet für klassische Musik und sehr informiert. Und das Publikum ist viel jünger.
Danke, Elvin Hoxha Ganiyev, für diese faszinierenden Einblicke!