Einfach Klassik.

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Interview mit Helmut Jasbar über „Unsere Kinder der Nacht“

„Unsere Kinder der Nacht“ erfährt am 19. Januar im Landestheater Linz seine Uraufführung.

Die Welt ist aus den Fugen geraten in Helmut Jasbars neuer Oper „Unsere Kinder der Nacht“, die am 19. Januar 2024 ihre Uraufführung am Landestheater in Linz erfährt. Kinder sinken wie leblos von ihren Stühlen zugleich kollidiert ein Erwachsene mit einem Laternenpfahl, was zu einer Art Wiederholungsschleife wird Ist diesem Menschen, wie vielen seiner Zeitgenossen durch die ganzen Ablenkungen, etwa durch den medialen Overkill, der achtsame Blick für die Realität abhanden gekommen? In einer Welt, die von der Gemütsstumpfheit der Erwachsenen geprägt ist, fassen die jungen Menschen, die sich nicht ernst genommen fühlen, den Mut, das Geschick in ihre eigenen Hände zu nehmen. Sie brechen zu einer Reise ohne festes Ziel auf. Aber der Weg führt an einen Ort, der nicht gerade für seine Gastfreundschaft und Freundlichkeit bekannt ist: Hades Incorporated, das Reich der Nacht. Mit „Die Kinder der Nacht“ hat der Wiener Komponist, Gitarrist, Autor und Radiomoderator Helmut Jasbar seine dritte große Arbeit für das Musiktheater geschaffen. Diese packende musikalische Erzählung vereint Orchester, Vokalsolisten und einen Kinderchor. Im Gespräch mit dem Autoren und Komponisten wurde deutlich, dass es bei der Uraufführung am 19. Januar um Zusammenhalt und Mitgefühl geht.

Helmut Jasbar, Ihr neues Werk „Unsere Kinder der Nacht“ scheint zwischen Realität und Mythos zu pendeln. Können Sie uns in diese Welt einführen?

Die Geschichte entwickelt sich aus einer sehr konkreten Beobachtung: Eine Gruppe von Kindern nimmt eine Bedrohung wahr, die die Welt gefährdet. Aber sie stoßen auf taube Ohren – die Erwachsenen scheinen wie in Trance, unfähig oder unwillig, diese Gefahr zu sehen. In ihrer Not erhalten die Kinder Hilfe von der Göttin Nyx, die ihnen ein Ritual beibringt, um in den Hades zu gelangen. Dort suchen sie nach Hypnos, dem Gott des Schlafes, der symbolisch für die Apathie der Erwachsenen steht.

Was hat Sie bewogen, diese Geschichte aus der Perspektive von Kindern zu erzählen?

Die kindliche Perspektive war von Anfang an zentral für das Werk. Kinder verfügen über eine natürliche Sensibilität für die Probleme der Welt, sie sind noch nicht so stark von gesellschaftlichen Konventionen geprägt. Ursprünglich sollte die Geschichte von Kindern handeln, die ihre Kindheit durch den Krieg verlieren – ein Thema, das nicht nur die äußeren Umstände, sondern vor allem die emotionalen und psychologischen Auswirkungen beleuchtet.
Nehmen Sie den Klimawandel als Beispiel: Oft sind es die jungen Menschen, die als erste Alarm schlagen, während die Erwachsenenwelt in ihren gewohnten Mustern verharrt. Diese Diskrepanz zwischen kindlicher Wahrnehmung und erwachsener Ignoranz wurde zum Kernthema des Stücks.

Die mythologischen Elemente spielen eine wichtige Rolle in Ihrem Werk. Welche Bedeutung haben der Hades und die Göttin Nyx?

Der Hades steht für das Verschlafen gesellschaftlicher Probleme. Wenn die Kinder in die Unterwelt hinabsteigen, ist das eine reale und symbolische Reise. Sie treffen Hypnos, der für die Lethargie der Gesellschaft steht. Nyx, die Göttin der Nacht, hilft ihnen. Sie hilft ihnen, ihre Ängste zu überwinden und lehrt sie das Ritual, das sie durch den Hades führt.
Das Ende bleibt offen, weil die Realität nicht einfach ist. Aber die zentrale Botschaft ist klar: Auch wenn wir die Welt nicht im klassischen Sinne „retten“ können, müssen wir füreinander da sein und mit Anstand leben. Die Geschichte selbst hat sich auch weiterentwickelt. Die mythologischen Elemente kamen erst später dazu, weil wir eine metaphorische Ebene brauchten, um die Themen zu vermitteln. Die Verbindung von modernen Problemen und alten Mythen schafft einen zeitlosen Rahmen für aktuelle Fragen. Es gibt aber auch viele humorvolle Elemente.

Zum Beispiel?

Ich habe sehr bewusst auch einige Slapstick-Elemente in die Bühnenhandlung eingebaut: Zum Beispiel läuft ein Mann ständig gegen einen Laternenpfahl. Beim ersten Mal ist es noch zum Lachen, aber mit jedem weiteren Mal wird es zunehmend irritierender. Er verletzt sich dabei immer mehr, bis er schließlich von der Bühne „weggezogen“ werden muss. Diese wiederholte Aktion ohne Kommentar, außer durch die Musik, soll das Gefühl der Erschöpfung und des Scheiterns ausdrücken. Es zeigt auf eine subtile Weise, wie wir immer wieder in die gleichen Fehler und Routinen zurückfallen, ohne daraus zu lernen. Die Musik unterstützt diese Wiederholung, die den Humor im Verlauf der Szene verblassen lässt und die Komplexität der Situation immer stärker hervorhebt.

Helmut Jasbar, Foto © Mischa Nawrata
Helmut Jasbar, Foto © Mischa Nawrata

Auf was für eine Musik können wir uns freuen? Verfolgen Sie hier wieder diesen gewissen eklektizistischen Ansatz, der mir schon bei anderen Ihrer Kompositionen aufgefallen ist?

Die Musik entwickelt sich parallel zur Handlung und spiegelt die verschiedenen Ebenen der Geschichte. In den surrealen Szenen wird die Musik experimenteller, fast atonal, während andere Passagen, besonders die der Kinder, zugänglicher gestaltet sind, manchmal fast volksliedhafte Züge tragen. Der Kinderchor spielt dabei eine zentrale Rolle – seine Partien sind anspruchsvoll, bleiben aber stets expressiv und singbar.
Diese Mehrschichtigkeit der Musik ist für mich kein beliebiges Sampling verschiedener Stile, sondern eine bewusste künstlerische Entscheidung. Musiktheater bedeutet immer auch Risiko – man weiß nie genau, wie das Publikum auf bestimmte Passagen reagieren wird. Aber gerade dieses Risiko schafft Raum für neues Denken und tiefgehende Reflexionen. Die Klangsprache entwickelt sich mit der Reise der Protagonisten, vom Alltäglichen bis ins Mythologische. Das ermöglicht verschiedene Hörebenen und damit unterschiedliche Zugänge zum Werk.

Erzählen Sie mir doch noch etwas mehr über die Kooperation mit dem Landestheater Linz, die hinter der Uraufführung am 19. Januar steht.

Für mich markiert dieses Projekt einen echten Meilenstein. Die Zusammenarbeit mit dem Intendanten Hermann Schneider war ein echter Glücksfall. Er hat mir völlige künstlerische Freiheit gegeben und bringt ein tiefes Verständnis für die Bedeutung der Arbeit mit Kindern im Theater mit. Unser Dirigent Ingmar Beck trägt mit seiner akribischen Arbeitsweise ebenfalls zum Gelingen des Projekts bei – seine Präzision ist gerade bei zeitgenössischer Musik unerlässlich. Die Möglichkeit, ein solches neues Stück an einem großen Haus wie dem Landestheater Linz uraufführen zu können, eröffnet neue Perspektiven für zeitgenössische Werke, denn dadurch können solche Werke einem breiteren Publikum präsentiert werden. Große Häuser verfügen nun mal über die notwendigen Ressourcen und das künstlerische Personal, um komplexe Produktionen wie diese zu realisieren. 

Helmut Jasbar, Foto © Maria Frodl
Helmut Jasbar, Foto © Maria Frodl

Sie sind auch als Radiomoderator tätig. Wie gehen künstlerisches Schaffen und Medienarbeit bei Ihnen miteinander einher?

Die verschiedenen Disziplinen – Musik, Schreiben und Medienarbeit – befruchten sich gegenseitig.
In zwanzig Jahren Radioarbeit habe ich gelernt, wie schwierig es sein kann, komplexe Themen zu vermitteln, besonders wenn sie nicht dem Mainstream entsprechen. Diese Erfahrung fließt in meine künstlerische Arbeit ein. Ich habe nie aufgegeben, dass es immer ein Publikum gibt, das solche Themen schätzt und dadurch angeregt wird.

Wie wichtig ist es für Sie, in Ihrer Kunst Abstand zu tagespolitischen Ereignissen zu wahren?

Die Herausforderung besteht darin, zeitlose Themen zu finden, die über das Tagesgeschehen hinausreichen. Ein Werk, das zu sehr von aktuellen Ereignissen geprägt ist, verliert schnell an Relevanz. Kunst sollte Fragen aufwerfen und zum Nachdenken anregen, statt fertige Antworten zu liefern. Das ist in unserer schnelllebigen Zeit vielleicht ein Luxus, aber ein notwendiger.

In Zeiten gesellschaftlicher Polarisierung – welche Rolle kann Kunst da spielen?

Wir erleben heute einen regelrechten „Krieg der Meinungen“, der den echten Dialog oft unmöglich macht. Kunst kann hier einen Raum öffnen, in dem verschiedene Perspektiven nebeneinander existieren können. Die Präzision, die ich im Radio gelernt habe, hilft mir dabei, komplexe Themen künstlerisch zu verarbeiten.

Was hoffen Sie, nehmen die Zuschauer aus dem Stück mit?

Ich möchte zum Nachdenken anregen – nicht nur über die Bedrohungen unserer Welt, sondern auch über unsere Fähigkeit zur Veränderung. Das Stück bietet verschiedene Zugänge: Über die Geschichte, die Musik, die Symbolik. Wenn die Zuschauer nach Hause gehen und sich fragen, was wir anders machen können, wie wir füreinander da sein können, dann hat das Stück sein Ziel erreicht. Gerade in der Arbeit mit dem Kinderchor zeigt sich, wie wichtig es ist, die nächste Generation ernst zu nehmen. Wenn das Stück dazu beiträgt, diesen Dialog zwischen den Generationen zu fördern, hat es eine weitere Aufgabe erfüllt.

Helmut Jasbar, vielen Dank für dieses Gespräch!

Titelfoto von Maria Frodl

Icon Autor lg
Musik und Schreiben sind immer schon ein Teil von mir gewesen. Cellospiel und eine gewisse Erfahrung in Jugendorchestern prägten – unter vielem anderen – meine Sozialisation. Auf die Dauer hat sich das Musik-Erleben quer durch alle Genres verselbständigt. Neugier treibt mich an – und der weite Horizont ist mir viel lieber als die engmaschige Spezialisierung, deswegen bin ich dem freien Journalismus verfallen. Mein Interessenspektrum: Interessante Menschen und ihre Geschichten „hinter“ der Musik. Kulturschaffende, die sich etwas trauen. Künstlerische Projekte, die über Tellerränder blicken. Labels, die sich für Repertoire-Neuentdeckungen stark machen. Mein Arbeitsideal: Dies alles fürs Publikum entdeckbar zu machen.
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