Die Mezzosopranistin Katharina Kammerloher enthüllt im Gespräch ihre tiefe persönliche Verbindung zu Gustav Mahlers Liedern „Des Knaben Wunderhorn“. Dabei ging es auch um die zeitlose Friedensbotschaft in den Soldatenliedern aus diesem Zyklus, ebenso um die Kooperation mit dem Bariton Arttu Kataja und dem Pianisten Eric Schneider für die aktuelle CD-Aufnahme für das Label Dabringhaus und Grimm. Ein Interview mit Stefan Pieper.
Wie ist dieses besondere Aufnahmeprojekt entstanden?
Diese Mahler-Lieder begleiten mich seit meinen Studientagen wie alte Freunde, die immer neue Seiten zeigen. Bei den Soldatenliedern brauchte es unbedingt eine männliche Stimme. Als ich an Arttu Kataja dachte, wusste ich sofort: Das ist es! Er bringt genau das mit, was Mahler braucht – diese kultivierte Gesangstechnik, diese dunkel-weich gefärbte Stimme, und er beherrscht die technischen Extreme. Wir haben dann im Kloster Marienmünster aufgenommen. Dieses alte Benediktinerkloster aus dem 13. Jahrhundert ist ein magischer Ort. Der Konzertsaal hat genau den richtigen Hall – nicht zu viel, aber genug, um den Klang zu tragen. Es war September, die Bäume zeigten ihre ersten Herbstfarben. In den Aufnahmepausen sah man nur Wald und Wiesen. Eine perfekte Umgebung für Mahler. Werner Dabringhaus, unser Tonmeister, hat diese besondere Atmosphäre sehr sensibel eingefangen. Mit Eric Schneider hatte ich zuvor bereits einen wunderbaren Liederabend an der Staatsoper gemacht. Wir haben dann einen besonderen dramaturgischen Bogen für das Programm dieser CD geschaffen – von heiteren Themen über Liebesthemen bis zu den Soldatenliedern und tragischen Liedern. Diese Art der Anordnung ist bisher einzigartig.
Was bedeutet Ihnen persönlich die Musik Gustav Mahlers?
Diese wunderbaren Metaphern und feinen Naturbeobachtungen berühren mich jedes Mal aufs Neue. Wie Mahler einen Seelenzustand beschreibt und dabei die Natur als Spiegel nutzt – das geht mir unglaublich nahe. Er hatte diese ganz besondere Beziehung zur Natur als Kraftquelle. Er hat nicht nur in der Natur komponiert, er hat aus ihr geschöpft, durch sie komponiert.
Sie haben sich intensiv mit diesen Liedern beschäftigt. Was haben Sie dabei entdeckt?
Das Faszinierende ist dieser Blick in die Zukunft – da sind Elemente, die schon weit ins 20. Jahrhundert weisen. Besonders in Eric Schneiders pianistischer Gestaltung kommt das großartig zum Vorschein. Gleichzeitig besitzen die Melodien diese unmittelbare Volksliedqualität – sie graben sich direkt in die Seele ein. Ich glaube fest daran, dass die Seele etwas Einfaches ist. Mahler hat das verstanden: Das Einfache geht am tiefsten hinein und kommt von dort.
Diese Einfachheit steht in spannendem Kontrast zur komplexen Begleitung…
Die Begleitung wirkt sehr modern und ist für das Klavier manchmal geradezu halsbrecherisch schwer. Aber die Melodien bleiben klar und schlicht. Trotzdem muss man in jede einzelne Phrase eine eigene Farbe legen. Das ist wirklich eine Gratwanderung, die mich immer wieder fasziniert. Man beginnt mit etwas ganz Schlichtem, und plötzlich öffnet sich eine Tür zu etwas völlig Anderem – ein Gedanke im Hintergrund, der alles in neuem Licht erscheinen lässt.
Wie haben Sie die Verteilung der Lieder zwischen den Stimmen entschieden?
Wir sind sehr systematisch vorgegangen: Wenn ein Lied einen Erzähler hat, wie etwa „Wo die schönen Trompeten blasen“, wird es von einer Person gesungen. Die rein dialogischen Lieder haben wir zu zweit gesungen. „Verlorne Müh‘!“ zum Beispiel ist ein Dialog zwischen Mann und Frau – das muss man zu zweit singen.
Die Liebeslieder in dieser Sammlung haben eine ganz besondere Tiefe. Was berührt Sie daran?
Gerade bei „Verlorne Müh‘!“ zeigt sich Mahlers unglaubliches Gespür für menschliche Beziehungen. Diese Frau ist mindestens genauso schlagfertig und selbstbewusst wie der Mann, sie durchschaut das Spiel der Täuschungen. Wie Mahler das musikalisch umsetzt, war seiner Zeit weit voraus. Von zärtlicher Hoffnung bis zur bitteren Enttäuschung ist alles vorhanden und alles ist echt. Die Natur schwingt immer mit, nicht als bloße Kulisse, sondern als Spiegel unserer Seele.

Wie sehen Sie den Aspekt der Ironie im Lied „Des Antonius von Padua Fischpredigt“?
Auf den ersten Blick wirkt dieses Lied wie eines der amüsantesten Stücke des Zyklus, aber Mahler erschafft mit der Unterwasserwelt eine sehr aktuelle Parabel. Es geht um die Stumpfheit der Masse. Man predigt und predigt und die Menschen – also die Fische – nicken und schwimmen weiter, als wäre nichts geschehen. Die gefräßigen Fische, die lüsternen, die aggressiven usw. – jeder steht für einen Menschentypus. Die üppige und vielschichtige Bildsprache erinnert an barocke Gemälde.
Im Lied „Lob des hohen Verstandes“ treten Kuckuck und Nachtigall zum Gesangswettbewerb an. Ist das eine Satire auf das Kritikerwesen?
Absolut! Da treten Kuckuck und Nachtigall in einem Gesangswettbewerb an, und ausgerechnet der Esel soll Juror sein. Die Nachtigall ist von ihrer Kunst so überzeugt, dass sie den stumpfen Kritiker einfach ignoriert. Der schlaue Kuckuck hingegen weiß genau, dass dieser selbsternannte Experte ihm den Sieg zusprechen wird. Das spiegelt Mahlers eigene Erfahrungen wider. Er litt unter der Kritik, besonders in Wien, wo man seine Musik nicht verstanden hat und ihm auch seine Verweigerung des gesellschaftlichen Umgangs übel nahm.
Würden Sie sagen, Mahler war ein intellektueller Underdog im Wiener Kulturleben?
Mir imponiert seine absolute Kompromisslosigkeit. Er lebte nur für seine Kunst, nicht für Orden oder Anerkennung. Er wusste in sich selbst, was gut ist. Diese Leidenschaft für das Echte und diese Verachtung jeder Eitelkeit zeichnen ihn aus. Er verweigerte sich dem Wiener Gesellschaftszirkus, weil er den äußerlichen Pomp nicht ertragen konnte. Das haben ihm viele übel genommen, aber er blieb sich treu. Unter anderen Voraussetzungen wären diese Lieder aus „Des Knaben Wunderhorn“ nicht denkbar.

Mahlers Soldatenlieder gehören zu den erschütterndsten Statements zum Krieg. Sehen Sie darin eine pazifistische Botschaft?
Unbedingt. Mahler versetzt sich in die Gefühlswelt junger Menschen – ich stelle mir hier immer 18-, 19-, 20-Jährige vor. Menschen, die gerade dabei sind, sich zu verlieben, die voller Hoffnung in die Zukunft schauen, und dann kommt der Krieg. Ich denke dabei an meinen 18-jährigen Sohn. Diese Tragik ist zeitlos. Ob damals oder heute – es zerreißt einem immer wieder das Herz.
Was ist Ihr künstlerischer Anspruch beim Singen dieser Lieder?
Ich versuche, mit meinen Mitteln dieser Haltung Mahlers nahe zu kommen. Ich möchte dem Text treu bleiben und diesen echten Ton finden. Darum ringe ich bei jeder Aufführung. Das verträgt keine Eitelkeiten und keine Effekthascherei, nur absolute Ehrlichkeit. Manchmal gelingt es mehr, manchmal weniger, aber dieses Streben treibt mich immer von Neuem an.
Erzählen Sie uns von Ihrem künstlerischen Werdegang.
Eigentlich sollte alles anders kommen. Meine Mutter hatte einen vernünftigen Plan: Schulmusik und Deutsch. Aber manchmal muss man seinem Herzen folgen – bei mir war es zunächst die Oboe. Ich übte wie besessen und schaffte die Aufnahmeprüfung in München. Als mein Professor nach Detmold ging, zog ich mit. Dort fand ich für zehn Jahre meine künstlerische Heimat.
Die Wendung zum Gesang kam überraschend und doch natürlich: Im Studentenwohnheim hörte ich eine Sängerin, und plötzlich wusste ich: Das ist mein Weg! Völlig unvorbereitet sang ich einer Professorin vor. Sie spürte wohl etwas in meiner Stimme und nahm mich sofort in ihre Klasse auf.
Wie gelang dann der entscheidende Sprung an die Staatsoper?
Das war wie ein kleines Wunder: Beim Hochschulwettbewerb in Düsseldorf dachte ich erst, alles wäre schiefgegangen. Dann kam der überraschende Anruf: Ich hatte gewonnen! In Berlin wagte ich beim Bundeswettbewerb die Waltraute aus der ‚Götterdämmerung‘ – ziemlich mutig für eine Studentin. Als der Intendant mir das Engagement an der Staatsoper anbot, sagte ich: „Ich will aber nicht weg aus Detmold!“ Da war die große Chance und ich klammerte mich an mein vertrautes Nest! Zum Glück lächelte er nur milde: „Sie können es sich ja noch überlegen.“ Natürlich bin ich nach Berlin gegangen und seit 1993 bin ich nun hier. Ich bin immer wieder dankbar, dass ich an diesem wunderbaren Haus meine künstlerische Heimat gefunden habe. Was mir half, war diese besondere Mischung aus jugendlicher Unbefangenheit und einem tiefen Gespür für den richtigen Weg. Manchmal braucht es genau diese Unbekümmertheit, um die großen Schritte zu wagen.
Katharina Kammerloher, vielen Dank für dieses Gespräch!