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Einfach Klassik.

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Interview mit Kiveli Dörken zum Molyvos International Music Festival 2021

Auch die Schwestern Kiveli und Danae Dörken haben mit ihrem Molyvos International Music Festival 2021 die Corona-Krise erfolgreich überdauert, und gehen nun in die siebte Ausgabe der Veranstaltung. In der Vorbereitungszeit konnte ich ein Interview mit Kiveli führen, und habe viele spannende Einblicke bekommen.


Kiveli, auch wenn sie offensichtlich der Zeit nach der Pandemie entgegenfiebern, sind Sie doch relativ gut durch diese Phase gekommen, trotz vieler frustrierender Konzertabsagen. Sie und Ihre Schwester Danae haben es sich mit individuellen Kooperationen und vielen Inhalten und Videos in Ihren sozialen Kanälen doch so gemütlich wie möglich gemacht. Oder habe ich das falsch beobachtet? 

Wir haben auf jeden Fall versucht, aus einer eher nicht zufriedenstellenden Ausgangssituation das Beste zu machen! 

Wir haben ja bereits über Ihre erste CD hier im Blog berichtet. Gibt es vielleicht schon neue Auf- nahmeprojekte, über die Sie sprechen könnten? 

Ich habe in der Lockdownzeit gemeinsam mit einigen Freunden, unter anderem Tanja Tetzlaff und Florian Donderer, Musik von Anton Reicha aufgenommen. Darüber hinaus beschäftigte ich mich gerade mit meinem neuen Podcast the sister trill , den ich gemeinsam mit meiner Schwester gestartet habe, und dessen Aufnahme sehr viel Spaß macht. 

Kiveli und Danae Dörken
Kiveli und Danae Dörken, Foto von Amanda Holmes

Nun erwartet uns bald die nächste Ausgabe Ihres Molyvos International Music Festival, das Sie zusammen mit Ihrer Schwester im Herkunftsort Ihrer Familie auf der Insel Lesbos in Griechenland veranstalten. Über die letzte Ausgabe hatten wir im Blog ja auch berichtet. Das Motto des Molyvos International Music Festival 2021 ist „Freiheit!. Das klingt erstmal gut, damit weisen Sie aber darauf hin, dass das Festival den 200. Jahrestag der griechischen Revolution feiert. Als ich mich darüber informierte wirkte das eher wie Geschichtsunterricht. Was steckt dahinter, und welche Bedeutung hat dieses Jubiläum für Sie? 

Danae und ich fühlen uns sowohl mit unserer deutschen, als auch mit unserer griechischen Identität sehr verbunden. Wir wollen als Griechinnen in erster Linie dieses wichtige Jubiläum mitfeiern. Natürlich kann man aber mit dem Wort „Freiheit“ einen riesigen Bogen spannen beginnend mit dem antiken Prometheus-Mythos und dessen philosophische, fundamentale Bedeutung für die westliche Welt, bis hin zu den wichtigen Menschenrechtsfragen, die uns heute beschäftigen. Im Programm des Festivals ist es für uns eine sehr verlockende Aufgabe die Fülle an Assoziationen die „Freiheit“ hervorruft, künstlerisch zu erkunden, und gleichzeitig auch die Gründung des modernen Griechenland zu zelebrieren. 

Wie es aussieht können Sie wohl vor Ort wieder mit Publikum spielen, oder steht das noch auf der Kippe? 

Wir planen felsenfest mit der Erwartung beim Festival endlich wieder mit unserem Live-Publikum kommunizieren zu dürfen. 

Molyvos Town
Molyvos, Foto von Dorothea Dimitrio

Werden Sie Errungenschaften aus der Pandemie übernehmen, und das Festival für weiter entfernte Hörer*innen auch streamen? 

Das ist sicher eine Frage, die sich viele Festivals und Veranstalter gerade stellen, und auch wir müssen uns das für die Zukunft gut überlegen. Die Realität ist, dass streaming sich sicherlich erst dann lohnt, wenn eine sehr gute Qualität geboten werden kann, und das erfordert deutlich mehr Budget. Wir sind in diesem Jahr sehr glücklich darüber wieder ein vollwertiges Festival auf die Beine stellen zu können unter diesen, auch finanziell, erschwerten Bedingungen. Deshalb werden wir uns absolut darauf konzentrieren ein magisches Erlebnis für die Leute vor Ort zu kreieren. In der Zukunft sind wir natürlich für vieles offen. Ich muss an der Stelle aber sagen, dass Molyvos immer ein Besuch wert ist!

Mit unter anderem Benedict Klöckner, Sebastian Manz und Pablo Barragen sind wieder für Sie bewährte Kooperationspartner beteiligt. Geplant sind ja fünf Kammerkonzerte, können Sie uns da schon etwas über das Programm verraten? 

Wir fühlen uns immer extrem glücklich, dass wir solche tollen Musiker Jahr für Jahr in Molyvos willkommen heißen dürfen. Das Programm wird beginnen mit Beethovens „Geschöpfe des Prometheus“ und endet mit Enescus Streichoktett. Dazwischen ertönen unter anderem Schuberts Forellenquintett und Auszüge aus Nicolas Astrinidis Symphonie über die griechische Revolution „1821“. So wollen wir uns inspirieren lassen vom originalen Gedanken von Freiheit als „Prometheus Geschenk an die Menschheit“, über den Kampf um das Recht auf Freiheit im späten 18. und 19. Jahrhundert, widergespiegelt in der griechischen Revolution, um schließlich zur heutigen Bedeutung von Freiheit als fundamentalstes Menschenrecht zu gelangen. 

Ein Highlight des diesjährigen Festivals wird die Premiere eines Liederwerkes sein, gesungen vom fantastischen Tenor Julian Pregardien, komponiert von der griechischen Komponistin Konstantia Gourzi, in dem Exzerpte aus Wilhelm Müllers Gedichtezyklus „Lieder der Griechen“ über die griechische Revolution, vertont werden. 

Es sollen wohl nicht nur die Konzerte stattfinden, sondern auch Musik spontan an verschiedenen Orten in Molyvos gespielt werden. Wie können wir uns das vorstellen? Als Pianistinnen haben Sie ja für örtliche Spontaneität nicht die besten Voraussetzungen. 

Die sogenannten „Molyvos Musical Moments“ sind uns seit der ersten Edition des Festivals sehr wichtig. Damit wollen wir so viele Leute wie möglich musikalisch erreichen und sie am Festival teilhaben lassen. Klar sind wir als Pianistinnen nicht die idealsten Instrumentalisten für spontane Konzertmomente am Strand, aber zum Glück kommen zum Festival ja auch immer ungefähr 20 andere Musiker, von denen viele tragbarere Instrumente spielen.

Abgesehen davon trauen wir uns Klavier- und Flügeltransporttechnisch ziemlich viel zu, also geht hier und da auch mal ein MMM mit Klavier! 

Werden Sie auch etwas von Ihrer CD „Suk“ spielen, oder passt dieses Repertoire nicht zum Konzept des Festivals? 

Ich habe 2019 beim Festival gemeinsam mit meinen brillanten Kollegen Christian Tetzlaff, Florian Donderer, Timothy Ridout und Tanja Tetzlaff das auch mit ihnen auf der CD erscheinende Klavierquintett von Suk gespielt. Es wird sicher nicht das letzte Mal sein, dass wir beim Festival Suk spielen, aber dieses Jahr steht er nicht auf dem Programm. 

Es wird nun die siebte Ausgabe des MIMF sein, und ich denke Sie beide können stolz sein, so eine interessante Veranstaltung selbst erschaffen zu haben. Gibt es da in der Organisation mittlerweile Routine, oder ist es doch jedesmal wieder ein komplett neues Projekt? 

An jedem Saisonanfang denke ich mir immer, dass ich das mit der Festivalorganisation jetzt eigentlich draufhaben sollte, und sich das Ganze relativ routiniert anfühlen sollte. Diese Illusion wird mir immer recht schnell genommen, wenn mir klar wird, dass die gelösten Aufgaben des letzten Jahres in der Retrospektive immer viel unkomplizierter erscheinen, als die noch nicht gelösten Herausforderungen des kommenden Jahres. Die Arbeit am Festival macht aber immer sehr sehr viel Spaß (von dem Spaß an den tatsächlichen Festivaltagen ganz zu schweigen) und die paar Momente, in denen uns im Team das Herz in die Hose rutscht, weil gerade irgendjemand sich entscheidet zu streiken, oder Renovierungen länger dauern als angekündigt, oder irgendwas anderes uns ins Chaos schmeißt, die sind es mehr als wert. Und wir lernen natürlich jedes Jahr mehr dazu. 

MIMF 2017
MIMF 2017, Foto von Thomas Karanikas

Die politische Lage auf Lesbos hat uns alle immer wieder sprach- und fassungslos gemacht. Wie gehen Sie ganz persönlich mit diesen Ereignissen um, und wie wollen Sie mit dem Festival die Menschen vor Ort unterstützen? 

Ich glaube, wenn ich nicht so eine Nähe zur Insel und ihren Bewohner*innen hätte, wäre mir das Ausmaß an Komplexität dieser Krise nicht mal ansatzweise klar. Es ist immer sehr einfach, Schlagzeilen zu konzipieren, die eindimensional und griffig sind, und dazugehörige Artikel die „eindeutige“ Positionen vertreten. Es ist viel schwerer zu akzeptieren, dass es in der Flüchtlingskrise, die ausgelöst wurde durch Phänomene, mit denen Lesbos gar nichts zu tun hatte, auf der Insel ausschließlich Verlierer und Leidende gibt, auf allen Seiten. Die Situation ist alles andere als eindimensional, und Fakt ist, dass die Bewohner*innen auf der Insel sich genauso machtlos allem gegenüber fühlen, wie die Flüchtlinge, die in den Camps weiterhin darauf hoffen, ihr Leben weg von der Not, dem Hunger und den Todesängsten ihrer Herkunftsländer starten zu dürfen. Die Länder und Institutionen, die wahre Veränderung und Verbesserungen in dieser Situation ankurbeln könnten, sind bisher leider (und sicherlich seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie) auffällig still und eher passiv. Welche Chance hat denn eine einzige griechische Insel, wenn die EU sich im Flüchtlingsthema nicht einigen, und keine langfristige Strategie präsentieren kann? Das ist die Situation, mit der wir konfrontiert sind, sie bedeutet sehr viel Angst und Leid bei allen Involvierten. 

Doch genau wenn Menschen mit Leid und Schwierigkeiten zu kämpfen haben, spielt ein Kunst-Event wie dieses Festival eine überwältigend wichtige Rolle. Und das meine ich nicht nur im „klischeehaften“ Sinn, dass Musik Kraft und Energie schenkt, um mit schweren Emotionen fertig zu werden, wobei das auch auf jeden Fall stimmt (deswegen versuchen wir stets, vor allem über unsere Bildungsprojekte auch mit Flüchtlingen musikalisch in Verbindung zu kommen). Ich meine, dass das Festival etwas ist, womit sich die Inselbewohner identifizieren können und in dem sie sich kulturell widergespiegelt und inspiriert fühlen. Es stimmt sie für ein paar Tage etwas optimistischer und offener. Es ist auch ein Weg, um das große Problem von fehlendem Tourismus, welches durch die Krise erheblich verschlimmert wurde, ein kleines bisschen zu verbessern. 

Gleichzeitig ergreifen wir die Chance, um durch unsere Programme und philosophische Haltung des Festivals zu betonen, wie zentral kulturelle Vielfalt und Toleranz für eine blühende Gesellschaft sind, und um „Kunst“-Brücken zu bauen zwischen östlichen und westlichen Weltperspektiven. Wir machen uns überhaupt nicht vor, dass wir auf irgendeine Art echten Einfluss nehmen können auf das Ganze, das kann nur die Politik, aber wir tun unser Bestes um in dieser emotional aufgeladenen Situation eine positive Gegenbewegung zu sein, und somit nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung zu sein! 

Welche Hoffnungen haben Sie für das Molyvos International Music Festival 2021, und worauf freuen Sie sich dabei am meisten? 

Ich freue einfach unwahrscheinlich darauf, wieder vor unserem Publikum spielen zu dürfen, und mit ihm die Tage gemeinsam zu erleben. Das Festival sind nicht nur die Konzerte selbst, sondern alle Begegnungen mit den Inselbesuchern und -bewohnern im Laufe der Tage, die sich in einem so kleinen Dorf wie Molyvos sofort sehr intim und familiär anfühlen können. 

Ich hoffe, dass wir in diesem August wieder gemeinsam kammermusikalische Momente im idyllischsten Dorf das ich kenne, gemeinsam genießen können, und natürlich alle zusammen das für Griechenland so wichtige Jubiläum zelebrieren können. Vielleicht können wir auch abends gemeinsam einen Sirtaki tanzen (selbstverständlich nur unter Geimpften, Genesenen und Getesteten). 

Kiveli, vielen Dank für dieses Interview!
Icon Autor lg
Stefan Pillhofer ist gelernter Toningenieur und hat viel Zeit seines Lebens in Tonstudios verbracht. Er hat viel Hörerfahrung mit klassischer und Neuer Musik gesammelt und liebt es genau hinzuhören. In den letzten Jahren hat sich die Neue und zeitgenössische Musik zu einem seiner Schwerpunkte entwickelt und er ist stets auf der Suche nach neuen Komponist*innen und Werken. Stefan betreibt das Online-Magazin Orchestergraben, in dem er in gemischten Themen über klassische Musik schreibt. Darüberhinaus ist er auch als Konzertrezensent für Bachtrack tätig.
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