Die Münchnern Professorin und Pianistin Margarita Höhenrieder blickt auf eine lange Reihe von Veröffentlichungen zurück. Sie hat im letzten Jahr die CD „Nordlicht“ mit Werke von Grieg gemeinsam mit der Nordwestdeutschen Philharmonie aufgenommen und gemeinsam mit dem Cellisten Julius Berger die kompletten Werke Beethovens für Cello und Klavier – nach einer CD-Aufnahme bereit 2020 – nun noch eine exklusive Dreifach-Vinyl-Schallplattenedition eingespielt, um die besondere Wertschätzung diese Musik zu bezeugen.
Frau Höhenrieder, als Beethoven seine fünf Sonaten als Kammermusik-Duo für Klavier und Cello komponierte, war dies ein Wagnis, das sich dann schnell als großer Erfolg zeigte. Welchen Reiz haben diese Sonaten heute für Sie?
Margarita Höhenrieder: Beethovens ganze schöpferische Entwicklung spiegelt sich in diesen 5 Sonaten: angefangen von den ersten beiden Sonaten, die noch an Haydn und Mozart orientiert sind, über die dritte Sonate, die bereits Beethovens eigene Handschrift trägt, bis hin zu den beiden weit in die Zukunft weisenden letzten Sonaten. Beethoven wählte den Titel: Sonaten für Klavier und Violoncello. Er strahlt hier als grandioser Klaviervirtuose und stellt den Pianisten vor große Herausforderungen. Das Klavier ist in keinster Weise nur Begleitung – wie es vor Beethovens Zeit meist üblich war – der Pianist kann sich voll entfalten und das Cello ist ein ebenbürtiger Partner!
In Julius Berger fand ich den idealen Duo-Partner. Auch er war sein ganzes Leben auf der Suche nach der richtigen Beethoven-Interpretation. All unsere Proben waren intensiv, interessant und inspirierend.

Frau Höhenrieder man kann sagen, Sie sind die Urururenkelschülerin von Ludwig van Beethoven Haben Sie deshalb eine besondere Bindung zu seinen Werken – was bedeutet das für Sie?
M.H.: Beethoven hat mich mein ganzes Leben begleitet .Das Menuett seiner Sonate in G Dur Op.49/2 hörte ich zum ersten Mal mit fünf Jahren von meiner Mutter gespielt. Von diesem Moment an wollte ich Klavierspielen lernen.
Bei meinem ersten Klavierabend mit elf Jahren musste unbedingt eine Beethoven-Sonate dabei sein: die Sonate Op. 26. Beethovens Klavierkonzerte lernte ich mit fünfzehn Jahren und spielte sie öffentlich. Doch eine direkte Spur führte mich dann Jahre später über meinen legendären Lehrer Leon Fleisher, der in Baltimore lebte, über dessen Lehrer Artur Schnabel, über dessen Lehrer Teodor Leschetitzky und Beethovens langjährigen Schüler Carl Czerny hin zu Beethoven selbst. Diese ganz besondere Verbindung zu Beethoven empfinde ich als ein großes Privileg, verknüpft mit einer großen Verantwortung, diesen wertvollen authentischen Erfahrungsschatz weiterzugeben.
Sie haben gemeinsam mit Ihrem Cellisten Julius Berger sehr genau zu diesen Sonaten recherchiert. Wie weit geht für Sie die Werkstreue und wo sehen Sie Ihre interpretatorische Freiheit?
M.H.: Sich der Vision des Komposition so optimal wie möglich zu nähern ist für mich die Grundvoraussetzung für meine Interpretation: die neuesten Urtextausgaben zu studieren, wichtige Angaben des Komponisten wie Tempo, Dynamik, Agogik, Rhythmus, Pedal usw. zu realisieren. Die Ausgaben des Beethoven Schülers Carl Czerny sind mir von besonderer Wichtigkeit. Aber Beethovens berühmtes Zitat „einen falschen Ton zu spielen, ist unwichtig, aber ohne Leidenschaft zu musizieren ist unverzeihlich!“ befreit mich irgendwie von einer Engstirnigkeit, alles um jeden Preis so genau wie möglich wiederzugeben. Die Leidenschaft, die Begeisterung war einer der zentralen Punkte in Beethovens Schaffen und dies sollte in jeder Interpretation zu hören sein!
Frau Höhenrieder, Sie sind eine international anerkannte Beethoven-Expertin. Nun haben Sie sich im letzten Jahr auch noch mit Edward Grieg beschäftigt und mit der Nordwestdeutschen Philharmonie die CD „Nordlicht“ veröffentlicht. Was hat Sie an Grieg gereizt?
M.H.: Grieg und List sind sich in Rom das erste Mal begegnet. Liszt war begeistert von dessen Klavierkonzert – eine große Ehre für Grieg. Liszt liebte das Folkloristische, die mixolydischen Tonarten, die feurigen nordischen Rhythmen … und sehr ähnlich erging es mir selbst auch. Darüber hinaus fand ich es spannend, dieses Konzert mit der Peer Gynt Suite in der Fassung von Grieg selbst für Klavier vierhändig zu kombinieren. Auf einer Islandreise, von den sensationellen Nordlichtern fasziniert, wurde mir ganz plötzlich der Titel dieser CD klar: „Nordlicht” Und es wurde mir auch klar, dass das magische Klavierstück „Stilla“ des isländischen Komponisten Hjálmar Hegi Ragnarsson, eine sehr stimmige Ergänzung, ein echtes „Nordlicht” zu den anderen Werken sein würde. Er hatte es für mich geschrieben.

Wie empfanden Sie die Zusammenarbeit mit der Nordwestdeutschen Philharmonie?
M.H.: Mit der Nordwestdeutschen Philharmonie hatte ich früher schon innerhalb verschiedener Tourneen gespielt und sehr positive Erfahrungen gemacht. Das Zusammenspiel mit ihrem charismatischen Dirigenten Jonathon Heyward war diesmal besonders inspirierend und eine große Freude! Wir beide haben eine ähnliche Auffassung von diesem berühmten Klavierkonzert und eine ähnliche Begeisterung plus Spontanität auf der Bühne.
Worin besteht für Sie der Unterschied, wenn sie mit einem ganzen Orchester oder nur einem weiteren Partner wie Julius Berger auftreten?
M.H.: Um sich als Solist bei einem Konzert mit Orchester durchsetzen zu können, braucht man eine Strahlkraft und die Fähigkeit, sich auf den Dirigenten und eine Vielzahl von Musikern einzustellen, ihnen zuzuhören und sich durchzusetzen. Man muss eine ganze Partitur im Kopf haben, es ist ungeheuer komplex. Bei den Aufnahmen mit Julius Berger konnte ich meine pure Konzentration auf unsere gemeinsame Interpretation lenken. Das „aufeinander Hören“ nimmt eine große Tiefe und Emotionalität ein, wenn man die gleiche Wellenlänge hat und sich auch als Mensch sehr wertschätzt.
Wie sehen Ihre weiteren Pläne und Wünsche aus?
M.H.: Es sind demnächst einige Konzerte und Aufnahmen geplant mit Spitzenorchestern u.a.im Wiener Musikverein, in der Schweiz und in Deutschland. Als Nächstes werde ich alle Bagatellen von Beethoven aufnehmen. Sie werden zu Unrecht völlig unterschätzt, da sie der damalige Verleger herabwürdigte. Doch Beethoven selbst war überzeugt: „Sie gehören zum Besten, was ich je komponiert habe“!
Margarita Höhenrieder, ich wünsche Ihnen für Ihre Pläne viel Erfolg und bedanke mich für das anregende Gespräch.
Titelfoto von Mat Hennek