In Januar und Juni dieses Jahres gab es zwei ungewöhnliche Konzerte in Kiew und Tbilissi „Konzerte für Freiheit und Solidarität“ unter der Mitwirkung und Leitung des polnischen Dirigenten Pawel Kotla.
Wie ist die Idee entstanden, Konzerte in der Ukraine und in Georgien zur Solidarität zu spielen?
Die Idee zu den Konzerten in Kiew und Tiflis entstand aus dem starken Wunsch, künstlerisch auf die aktuellen politischen Krisen in der Ukraine und Georgien zu reagieren und durch Musik bedeutungsvolle Solidarität zu zeigen. Die Motivation beruhte auf der Erkenntnis, dass beide Länder – obwohl sie mit unterschiedlichen politischen Herausforderungen konfrontiert sind – dringend internationale Unterstützung benötigen, nicht nur durch Diplomatie oder humanitäre Hilfe, sondern auch durch kulturellen Ausdruck.
In der Ukraine war das Anliegen besonders dringlich aufgrund der umfassenden russischen Invasion und des existenziellen Kampfes des Landes gegen einen klar erkennbaren Aggressor. Die polnische Kulturszene, tief bewegt vom Krieg und stolz auf die starke Reaktion der polnischen Gesellschaft – die Flüchtlinge aufnahm und Hilfe mobilisierte – suchte nach einem Weg, dieser Solidarität Ausdruck zu verleihen. Das Konzert in Kiew war mehr als nur ein musikalischer Auftritt; es sollte ein kraftvolles Symbol des Widerstands und der Unterstützung sein, das zeigt, dass die gemeinsamen historischen Erfahrungen von Unterdrückung – insbesondere unter sowjetischer Herrschaft – die Völker Mittel- und Osteuropas auf tiefgreifende Weise verbinden.
In Georgien war der Kontext ein anderer, doch die Motivation war ähnlich. Auch wenn Georgien derzeit nicht im Krieg ist, ist seine jüngere Geschichte von territorialen Konflikten (wie dem Krieg mit Russland 2008) und anhaltenden innenpolitischen Spannungen geprägt. Das Konzert dort war als Ausdruck kultureller Freundschaft und Ermutigung gedacht – eine Geste, die die gemeinsamen Werte von Demokratie, Freiheit und europäischer Identität betonte. Die Organisatoren wollten Polens eigenen Weg – vom sowjetisch beeinflussten Staat zum erfolgreichen EU-Mitglied – als Modell der Hoffnung und des Wandels für andere in der Region darstellen. So entstand die Idee dieser Konzerte aus einer Verbindung von historischer Empathie, politischem Bewusstsein und einem tiefen Glauben an die verbindende Kraft der Kunst.
Wer hat diese Konzerte organisiert?
Die Konzerte wurden in erster Linie von polnischen Kulturinstitutionen in Zusammenarbeit mit lokalen Partnern in der Ukraine und Georgien organisiert. Eine zentrale Figur bei der Planung und künstlerischen Leitung war ich selber als polnischer Dirigent und Kulturvermittler mit umfassender Erfahrung in internationaler musikalischer Zusammenarbeit und Kulturdiplomatie. Eine der wichtigsten institutionellen Partner war das Polnische Institut in Kiew unter der Leitung von Jarosław Godun, der eine wichtige Rolle bei der Neuausrichtung der thematischen Schwerpunkte der Konzerte im aktuellen geopolitischen Kontext spielte.

Dies ist keine einmalige Initiative, sondern die Fortsetzung eines langfristigen Engagements polnischer Kulturakteure, Musik als Form internationalen Dialogs zu nutzen. Ich hatte bereits 2011 während der polnischen EU-Ratspräsidentschaft das Projekt “I, Culture Orchestra“ gegründet – ein bahnbrechendes Projekt, das junge Musiker aus Osteuropa und dem Südkaukasus zusammenbrachte. Diese Erfahrung bildete die Grundlage für die aktuelle Zusammenarbeit – sowohl logistisch als auch durch das Netzwerk an Musikern und Institutionen.
Das organisatorische Engagement ist zudem eng mit einer politischen und moralischen Vision verknüpft. Ziel war nicht nur, Konzerte zu veranstalten, sondern Botschaften des Widerstands, der Einheit und der kulturellen Resilienz zu vermitteln. Der Begriff „Konzert für den Frieden“ wurde bewusst vermieden, da dieser – im historischen Kontext der sowjetischen Propaganda – als zynisch oder irreführend verstanden werden könnte. Stattdessen wurde der Fokus auf „Freiheit und Solidarität“ gelegt – als kulturelle Intervention in Krisenzeiten.
Welches Programm haben Sie für diese Veranstaltungen gewählt?
Die Musik wurde mit Bedacht ausgewählt – sie vereint künstlerische Exzellenz mit politischer und historischer Symbolkraft. Das Repertoire umfasste Werke aus Polen, der Ukraine und Europa – ausgesucht nicht nur nach musikalischer Qualität, sondern nach ihrer Fähigkeit, Themen wie Verlust, Resilienz, Erinnerung, Identität und Widerstand auszudrücken.
In Kiew spiegelte das Programm den tragischen, aber entschlossenen Kampf der Ukraine um Souveränität. Eines der zentralen Werke war Andrzej Panufniks „Epitaph für Katyn“, eine eindringliche Hommage an die 1940 von sowjetischen Kräften ermordeten polnischen Offiziere – ein Ereignis, das die Sowjetunion jahrzehntelang leugnete. Das Werk thematisiert historischen Schmerz und die Notwendigkeit, die Wahrheit zu bewahren, und stellt eine direkte Verbindung zwischen den Erfahrungen Polens und der Ukraine unter russischer/sowjetischer Herrschaft her. Ein weiteres Schlüsselwerk war Henryk Mikołaj Góreckis 3. Symphonie („Sinfonie der Klagelieder“), ein moderner Klassiker, der sich mit Trauer und den menschlichen Kosten des Krieges auseinandersetzt. Obwohl in der Zeit der deutschen Besatzung Polens verortet, ist ihre emotionale Tiefe universell und eignete sich ideal, um die Solidarität mit dem heutigen Leid der Ukraine auszudrücken. Auch ein Werk von Maxim Berezovsky, einem ukrainischen Komponisten des 18. Jahrhunderts, wurde aufgeführt – als Bestätigung des reichen kulturellen Erbes der Ukraine, das Russland insbesondere im Kriegskontext zu leugnen oder sich anzueignen versucht.
In Georgien war die Werkauswahl anders, angepasst an den lokalen Kontext. Auch wenn kein Krieg herrscht, steht Georgien unter politischem Druck aus Russland. Hier wollten die Organisatoren Polens kulturelle Vitalität und demokratischen Erfolg durch Werke von Górecki und Krzysztof Meyer betonen – beides bedeutende zeitgenössische polnische Komponisten. Herzstück war Beethovens „Eroica“-Symphonie – ein monumentales Werk, das die Verbindung von Kultur und politischer Idee symbolisiert und zeigt, dass Musik nie neutral ist, sondern Wandel inspirieren kann. Die Musik war nicht zur Unterhaltung gedacht, sondern zur Erinnerung, Reflexion und Inspiration – jedes Stück trug eine historische und emotionale Botschaft und setzte der Gewalt und Propaganda ein kulturelles Gegengewicht entgegen.

Wer waren Ihre Musiker und woher kommen sie?
Die beteiligten Musiker*innen verkörpern internationale Zusammenarbeit: lokale Talente aus der Ukraine und Georgien traten gemeinsam mit erfahrenen polnischen Künstlern auf. In Kiew spielte das „Nationale Sinfonieorchester der Ukraine“, in Tiflis das „Giya Kancheli Tbilisi Youth Orchestra“ – ein junges Ensemble mit professionellem Niveau und internationalem Renommee. Ihre Teilnahme unterstreicht die Rolle junger Künstler im grenzüberschreitenden Dialog. Hinzu kamen polnische Musiker wie das „Krakau Duo“ – Cellist Jan Kalinowski und Pianist Marek Szlezer, beide Professoren an der Musikakademie Krakau. Sie sind international bekannt für die Förderung polnischer Musik, auch in politisch sensiblen Regionen wie Belarus oder Transnistrien. Ihre regelmäßige Zusammenarbeit mit Georgien zeigt ihr langfristiges Engagement in der Kulturdiplomatie.
Viele der jungen Musiker*innen aus Georgien und der Ukraine waren auch Mitglieder des “I, Culture Orchestra“, einem 2011 gegründeten paneuropäischen Ensemble, das Musiker*innen aus Polen, Georgien, der Ukraine, Moldawien, Armenien, Aserbaidschan und Belarus vereinte. Dieses Projekt bot nicht nur professionelle Ausbildung bei renommierten Mentoren, sondern war ein lebendiges Beispiel für Zusammenarbeit über politische und kulturelle Grenzen hinweg. Die gemeinsame Geschichte dieser Musiker*innen aus früheren Projekten und Austauschen verlieh den Konzerten eine persönliche und geschlossene Atmosphäre – mehr als bloße professionelle Kooperation, sondern geteilte Überzeugung an die verbindende Kraft der Musik.
Wer hat das Projekt finanziert?
Die Konzerte und damit verbundene kulturelle Initiativen werden vom polnischen Außenministerium finanziert, das den strategischen Wert kultureller Diplomatie gerade in Krisenzeiten anerkennt. Ich bin dem Ministerium äußerst dankbar, das nicht nur die Durchführung ermöglichte, sondern auch die Vision unterstützte, Polen als starken Fürsprecher für Freiheit und Solidarität in Osteuropa zu positionieren und Kultur als zentrales Element der Außenpolitik zu etablieren. Die Förderung ist Teil von Polens Engagement im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft, in der das Land Führungsstärke in Bereichen wie humanitärer Hilfe, demokratischen Werten und Bekämpfung von Desinformation zeigen möchte. Mit der Unterstützung solcher Projekte sendet das Ministerium ein deutliches Signal: Kultur ist kein Randthema, sondern Kernstück der Außenpolitik – insbesondere gegenüber östlichen Nachbarn.
Die Finanzierung deckt nicht nur logistische Kosten, sondern ermöglicht auch die Versammlung großer Orchester in Krisenregionen, internationale Konzertübertragungen und das symbolische Zeichen, dass polnische Musiker*innen in Ländern auftreten, die unter Druck autoritärer Regime stehen. Sie schafft die Voraussetzungen für künstlerisch hochwertige Projekte mit nachhaltiger politischer Wirkung.
Sie haben im Januar in der Nationalphilharmonie in Kiew gespielt. Wie war das Publikum, wie war der Erfolg?
Das Konzert war von extremer Anspannung geprägt. Wir wussten, dass jederzeit Luftalarm ausgelöst werden konnte, was alles zunichte gemacht hätte. Wir hatten Glück – diesmal blieb es ruhig, das Konzert und die Übertragung konnten ungestört stattfinden. Im Publikum waren viele Vertreter des internationalen diplomatischen Corps, darunter auch die polnische Vizeaußenministerin Anna Radwan-Röhrenschef, die extra aus Polen angereist war. Die Reaktion war großartig.

Der Abschluss fand kürzlich in der Philharmonie in Tbilissi statt. Wie war dort die Resonanz?
Absolut begeistert. Viele junge Leute kamen. Der Saal war fast voll. Und das junge Orchester spielte mit vollem Einsatz und auf sehr hohem Niveau!
Gab es für Sie Unterschiede zwischen den Konzerten in beiden Städten?
Natürlich. Tiflis ist eine Stadt mit politischen Spannungen, aber kein Land im Krieg. Es bestand also keine militärische Bedrohung. Ich erinnere mich, dass ich 2010 zum ersten Mal in Tiflis war, zwei Jahre nach dem Krieg mit Russland. Damals war die Stadt dunkler, grauer, fast introvertiert. Jetzt ist sie lebendig, voller Licht, Restaurants, Weinbars. Wegen der politischen Lage gibt es allerdings weniger regelmäßige Konzerte – die Menschen sehnen sich nach Hochkultur.
Ich denke, wir brauchen derzeit viele Programme für Freiheit und Solidarität. Planen Sie, Ihre Arbeit in dieser Richtung fortzusetzen?
Polens EU-Ratspräsidentschaft endet diesen Monat. Aber ich möchte diese Reise auf verschiedenen Ebenen fortsetzen – nicht nur in Konzertsälen, sondern auch durch Vorträge, Begegnungen und jede Form von Aktivität, die dem Westen das Trauma dieser Länder näherbringt, wenn ihr Recht auf Freiheit von der internationalen Agenda verschwindet und die demokratische Welt nicht bereit ist, Solidarität mit jenen zu zeigen, die für Freiheit und gegenseitigen Respekt kämpfen.
Pawel Kotla ich danke Ihnen sehr herzlich für Ihre Ausführungen.
Titelfoto © Anna Kłosek