Einfach Klassik.

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Interview mit Viktoria Elisabeth Kaunzner

Viktoria Elisabeth Kaunzner ist Violinsolistin, Komponistin und Professorin in einer Person. Der vielseitigen Musikerin ist besonders daran gelegen, sich mit drängenden politischen und ökologischen Themen musikalisch auseinanderzusetzen. Gemeinsam mit ihrem 30-köpfigen Orchester – UKOREVV: Universal Korean Organic Ensemble-Viktoria & Virtuosi hat sie ihre neue CD „Saiga Antelope“ veröffentlicht.

Viktoria Elisabeth Kaunzner, wie sind Sie zu diesem Thema gekommen?

Ich glaub, dass ich eine nahezu synästhetische Wahrnehmung habe. Bei einer Future-Sustainability-Konferenz in Hamburg kurz vor Corona habe ich einen Vortrag einer usbekischen Wissenschaftlerin gehört, die über den Aralsee und die Biosphäre in dieser Gegend und sehr schön über die Saiga Antilope erzählte. Da dachte ich, das ist ein super Stoff, den ich sehr gerne in ein Stück verwandeln würde. Ich bekam dann vom Pyramidal Festival Berlin einen Kompositionsauftrag und wusste sofort, es wird auf jeden Fall die Antilope. In der Musik sind Metaphern, die mich zum Komponieren inspirieren, sehr wichtig, weil sich diese inneren starken Bilder auf einer unbewussten Ebene auf das Publikum übertragen. Dieses Tier ist so drollig und hat eine sehr interessante Geschichte, die damals auch zum Beginn der Coronazeit in die Gesellschaft passte. Das Tier wäre nämlich vor zehn Jahren wegen des Bakterium Pasteurella, das Louis Pasteur entdeckte – den wir von der pasteurisierten Milch kennen – ausgestorben, bedingt durch einen vom Klimawandel induzierten Temperaturanstieg. Mich hat die Geschichte dieses drolligen Tiers mit seiner kuriosen Nase berührt und fasziniert zugleich. Aktuell waren wir dann fast solidarisch gestellt: das Tier wurde durch ein Bakterium bedroht, konnte sich zum Glück wieder erholten – und wir hatten mit Corona zu kämpfen. Insofern hatte sich der Bogen geschlossen. Ich habe der Antilope ein Stück gewidmet und jetzt ist es eine ganze CD geworden.

Sie haben sich sehr intensiv der Geschichte der Antilope gewidmet und dies dann mit der Musik von vier Komponistinnen verknüpft?

Die Antilope ist sozusagen ein Global Player: Das Tier lebte bis vor circa 15.000 Jahren in einigen Ländern der nördlichen Hemisphäre von Andalusien bis hin zu Nord Kanada. Ich wollte eine CD präsentieren, die Violinkonzerte und Musik für Violine und Orchester von Komponistinnen widerspiegelt. Diese Idee hatte ich schon während meines Studiums vor 15 Jahren. Der geografische Raum, der von der Antilope bewandert wurde, ist auch in gewisser Weise Inhalt dieses Albums, das heißt, wir haben Komponistinnen und Musik aus Argentinien und von einer Komponistin, die in Usbekistan geboren wurde. Usbekistan, Kasachstan, die Mongolei und China sind der Lebensraum, auf den sich die Antilope jetzt spezialisiert hat. Dann ist die rumänische Komponistin Violeta Dinescu mit an Bord und ich habe selbst sehr lange in Ostasien gelebt und bin immer wieder in Korea, einem Land, dem ich sehr verbunden bin.

Eine weitere Komposition von Ihnen auf dieser CD heißt Seidenstraße. Auch dies zeigt Ihre Verbindung zu Ost und West? 

Vor fast zehn Jahren hatte ich ein Quartett in Messiaen-Besetzung geschrieben mit dem Titel „Bernstein“. Es war inspiriert von Leonard Bernstein. Dafür habe ich mir verschiedene Mineralien und Edelsteine herausgepickt und die einzelnen Sätze danach benannt. Nun geht es um ein Werk für Violine und Orchester. Dafür wählte ich  aus dem Quartett den Smaragd und den Rubin und schrieb einen komplett neuen als dritten Satz, den Andalusit. Auch dies verstehe ich als Brücke: Die alte Seidenstraße die von Ostasien bis nach Andalusien und Spanien ging, habe ich in diesem Stück quasi abgebildet.  

Die Ostwestverbindung und ihre Faszination zur östlichen Welt zeigt sich auch in ihrem eigenen Orchester „UKOREVV“. Wofür steht dieser Name?

Er klingt fast wie ein mongolisches Parfüm und heißt „Universal Korean Organic Ensemble-Viktoria & Virtuosi“. Ich war sehr lange in Südkorea tätig, im Auftrag der Musikschule Weimar, damals als sehr junge Professorin für Violine und Kammermusik und wollte unbedingt ein Orchester gründen, das diesen fernöstlichen Aspekt mit inkludiert. Ich wollte mir aber auch die Freiheit lassen, in kleinerer Besetzung zu spielen oder für Violine und Streichorchester Repertoire zu suchen und so hat sich dieser Name des Ensembles herauskristallisiert. Wir haben Instrumente wie die südkoreanische Harfenzither oder auch eine syrische Oud, die mische ich mit der spanischen oder der modernen Gitarre, mit dem E-Bass, mit der westlichen Harfe, das ist die Zupfinstrumentenfamilie. Genauso wie die Streichinstrumentenfamilie mit ihren unterschiedlichen Holzbeschaffenheiten – Bambusholz und Rosenholz aus Asien treffen auf Fichte, Ahorn etc. aus Europa. Wenn man diese Instrumentenqualitäten in ihren Klängen kombiniert, entstehen unfassbare reizvolle neue Räume. Diese habe ich in Korea teilweise erlebt und möchte sie in einer Fusion dem westlichen Publikum zeigen. 

Sie arbeiten fast ausschließlich mit Komponistinnen zusammen?

In Korea habe ich es erlebt, dass die Musikszene, sowohl die klassische westliche, die ja doch relativ neu ist, aber auch die Unterhaltungsmusik von Musical, Pop, Rock, eine unglaublich lebendige Jazzszene und auch die traditionelle Musikszene sehr stark von Frauen dominiert ist. Ich finde es in Korea immer sehr befreiend als Geigerin, als Solistin und auch als Komponistin agieren zu dürfen, während hier immer noch Fragen kommen – was, Sie komponieren auch?  – In Korea ist das selbstverständlich. Ich wollte ein Album kreieren mit Violinkonzerten von Komponistinnen und meinen eigenen Stücken mit einem exotischen Kolorit an Klangfarben, das einen Bogen spannt, der in gewisser Weise unerhört ist. So konnte ich von der rumänischen Komponistin Violeta Dinescu das Violinkonzert „Roman Fleuve“ gewidmet bekommen – ich kenne Violeta seit fast 20 Jahren. Das Werk ist angelehnt an eine Romanform, derer sich bereits Marcel Proust bediente, ein fließender Roman sozusagen. Es ist ein Violinkonzert mit sieben Sätzen und diese Sätze können für sich stehen, sind aber in sich hier ein Fluidum nach der Formel „Panta Rhei“. Das ist ein hochgradig spannendes Stück für Violine und Streichorchester. Sie splittet beispielsweise die ersten und zweiten Violinen auf, auch die Violen werden aufgesplittet, das heißt, jeder Instrumentalist hat auch die Rolle eines Solisten. Wir heißen ja „Virtuosi“, das heißt, die Musiker im Orchester spielen auf sehr hohem Niveau. Wir haben Klangräume ausgelotet, kreative Freiräume, die in einer sehr strengen Notation normalerweise nicht zu finden sind und so konnten wir auf der Bühne improvisieren. Wir haben theatralische Elemente mit eingebracht – wir haben getanzt, gesungen, gepfiffen, sind in die Luft gesprungen und das hat die Musiker befreit. Das war mit Violeta und mir auch so, als ich sie damals als Studentin kennenlernte. Sie war für mich eine neue Welt, sie gab mir einen imaginären Schlüssel in die Hand und ich merkte, das ist eine Dimension, die mir vorher verschlossen blieb. Ich bin ihr sehr dankbar und wir sind in einem sehr freundschaftlichen Kontakt. Wir projizieren bei Konzerten immer ihre kalligraphierten Manuskripte an eine Leinwand, das heißt, das Publikum wird in einen cineastischen Raum entführt. Es kann während wir musizieren die Noten mitlesen, es wird dann natürlich umgeblättert, das heißt, das Publikum kann einen musikalischen Roman lesen, ohne umzublättern (lacht). Das ist eine sehr spannende und lebendige und von Konzert zu Konzert neue Erfahrung. Es wäre toll, wenn dieses Stück auch mit weiteren Orchestern programmiert werden könnte. Dafür suche ich jetzt Intendanten und Dirigenten, die sich dafür öffnen, dieses Stück mit mir zu programmieren.

Sie sind auch Regisseurin, Produzentin, Performerin. Wie wichtig ist Ihnen dieser Teil Ihrer Arbeit? 

Die Geige ist ein wunderschönes Instrument – der menschlichen Stimme sehr ähnlich. Sie kann singen wie ein Cello, aber auch sphärische Klänge transportieren. In der neuen Musik kann man mit der Geige so unfassbar viel machen von Percussion hin zum „Sounding Instrument“. Bei mir hat sich im Laufe meiner musikalischen Karriere auch das Performative herausgebildet. Ich habe als Kind viel Sport gemacht. Einmal bei einem Konzert habe ich ganz spontan einen Flügel als Requisite mit eingebaut. Ich spielte ein Stück über einen Flüchtling und bin dann spontan um den Flügel gerannt und über den Klavierhocker gesprungen, um in dem Moment eine Flucht, d. h., eine extreme, ungeahnte Situation darzustellen. Wir sind auf der Bühne quasi auch Schauspieler und präsentieren, was im Alltag verborgen ist, was jenseits der Realität jenseits der bewussten Wahrnehmung neue Räume öffnet. Insofern ist es für mich selbstverständlich diese verschiedenen Ebenen zu vereinen. Ich habe viele Freunde aus dem Theater, meine jüngere Schwester ist in der Theaterszene aktiv. Insofern ist es völlig klar, dass so eine interdisziplinäre künstlerische Einheit entsteht. Ich versuche meinen Studierenden immer zu vermitteln, dass wir auf der Bühne stehen und ein Publikum ansprechen, dass es darum geht, eine Message mitzuteilen, eine Geschichte zu erzählen und dass die Präsenz auf der Bühne enorm wichtig ist. Jede Akademie oder Hochschule ist für sich ein Elfenbeinturm und es ist wichtig, junge Studierende wirklich auf das Berufsleben vorzubereiten, das heißt, Publikum zu ziehen, für das Publikum im 21. Jahrhundert zu musizieren und diese Welten zwischen höchstem Anspruch zum einen und den Wünschen des Publikums zu vereinen. Insbesondere bei klassischer Musik brauchen die Akteure auf der Bühne viel mehr attraktive Ideen, um breite Aufmerksamkeit zu bekommen. Ich denke, es ist auch eine riesige Chance, weil somit Publikum sehr direkt angesprochen wird. In den Vereinigten Staaten wird die Musikszene stark von privater Hand gestützt, ähnliche Beobachtungen konnte ich in Australien und Korea machen. Die Frage ist, welche Marktdynamiken innerhalb der Musikszene entstehen, wenn sich wie jetzt zu Zeiten politischer Unruhen der Staat immer mehr aus der Kulturförderung herauszieht. Das Einzige das wirklich trägt, ist das Publikum und natürlich brillantes Management hinter den Kulissen.

Ich habe zwei Violinsonaten von Nikolaj Medtner aufgenommen und mein Stück „Golden Sponge“ für südkoreanische Instrumente und Violine. Nikolaj Medtner fand als 65-jähriger fast schon verkannter Pianist und Komponist in London durch eine Begegnung hier in Berlin einen knapp 30-jährigen indischen Maharadscha, der ihn dann als Mäzen unterstützte. Ich denke, dass wir jetzt wieder in diese Zeiten neu gehen, das heißt, wir finden eben Unternehmer oder Unternehmerinnen, die es sich leisten können in Kunst, in die Musik von morgen investieren.

Kehren wir nochmal zu den anderen Komponistinnen zurück. Mit Ihrer Kollegin Violeta Dinescu sind sie seit langem befreundet, wie haben sie Elena Kats-Chernin kennengelernt? 

Das war eine ganz kuriose Begegnung: Im Internet wurde sie von ihrem Verlag anlässlich des Weltfrauentags im Besonderen porträtiert. Ich habe dann so viel es ging über ihre Musik recherchiert und dachte, was für eine Geschichte: Sie wurde in Taschkent geboren, ging nach Moskau und dann mit der Familie nach Sydney, emigrierte nach Deutschland, studierte bei Helmut Lachenmann und ging nach vielen Jahren wieder zurück nach Sydney. Diese Geschichte erinnert mich an meine eigene zwischen Europa und Ostasien und ich spürte eine gewisse kosmopolitische Verbundenheit. Ihr Klangsprache lebt von einer Intelligenz, die eine tiefe Lebensweisheit artikuliert und Publikum so anspricht, dass sich sogar auch Kindern für ihre Musik begeistern. Sie ist sehr berühmt für ihre Kinderopern, Filmmusik und Konzerte. Ich konnte ihr einen Kompositionsauftrag dank Unterstützung einer Stiftung erteilen und habe sie gebeten, eine Instrumentierung auszuwählen, die kompatibel mit meinen Stücken und mit den Werken der anderen Komponistinnen ist. Und sie möge bitte das koreanische Nationalinstrument, die „Gayageum“ mit in die Orchestrierung integrieren. Sie hat das wunderschöne Stück „Times of Rain & Sun“ für mich geschrieben, das eigentlich auch ein Naturphänomen reflektiert: Es geht um die australischen Buschbrände und Überschwemmungen. Trotzdem versprüht das Stück eine Kraft, das in der Gesamtwahrnehmung etwas Erbauliches hat, sodass es Spaß zu spielen und zu hören macht.

Die Geschichte zu Claudia Montero begann in Valencia und Murcia. Dort schwärmte ein Freund von seiner einzigen Kompositionsprofessorin, von ihrer unglaublichen Aura. Sie sei von Argentinien nach Valencia gezogen und unterrichte dort. Doch dann verstarb sie. Sodann fand ich heraus, dass Claudia Montero im selben Verlag verlegte wie auch einige Kompositionen von mir. Dieses Werk von Claudia Montero ist ein Tango-Violinkonzert in drei Sätzen, in dem man wirklich die argentinische Poesie, d. h., den Tango Nuevo, auf der Bühne mit allem Feuer und aller Leidenschaft nachempfinden kann.

Haben Sie dieses Programm extra für die CD erarbeitet?

V.K.: Nein. Wir bekamen Fördergelder vom Deutschen Musikrat, von der Korea Foundation, vom Land Bayern, von weiteren Stiftungen, auch privates Sponsoring. So konnten wir die wunderschöne Konzerttour „Eurasian Flow“ durch die Berliner Philharmonie, Dresdner Kulturpalast, Herkulessaal München, Laeiszhalle Hamburg etc. musizieren, also ein Violinkonzertmarathon mit gerade erschaffenen Werken, die für das Publikum sicher reizvoll sind – mit einem mozärtlichem Augenzwinkern. Das Konzert in der Berliner Philharmonie ist live hier zu erleben – als ganzes:

oder als Best of:

Danach haben wir die Essenz dieses Programmes mit der Violinmusik der Komponistinnen Violeta Dinescu, Claudia Montero, Elena Kats-Chernin, meine eigenen Kompositionen „Saiga Antilope“, „Jasmine Rice“, „Silk Road“, das schmissige „Lucid Dreams“ und das mozärtliche Klanglächeln mit UKOREVV wie durch ein akustisches Brennglas formiert und aufgenommen. Ich hoffe, dass ich auch weitere ViolinsolistInnen inspirieren kann, Teile dieses Programms zu spielen und natürlich auch zu ermuntern, wie sehr die Musik, bzw. Violinkonzerte von Komponistinnen ein einzigartiges Juwel sein können.

Viktoria Elisabeth Kaunzner, ich wünsche Ihnen dabei viel Erfolg, weiterhin viel sprühende Ideen und bedanke mich für das lebendige Gespräch.

Titelfoto © Keil Musik PR

Das Album

Icon Autor lg
Als Hörfunkjournalistin habe ich die unterschiedlichsten Formate von der Live-Reportage, über Moderationen bis zum Feature bedient. In den letzten Jahren habe ich meine inhaltlichen Schwerpunkte auf die Kultur gelegt. Als Ethnologin interessiere ich mich schwerpunktmäßig für außereuropäische Literatur. Doch war Musik schon immer mein großes Hobby – Singen in vielen Chören begleitet mich durch mein Leben. Seit einiger Zeit bin ich im Vorstand von Orso Berlin e.V. an der Organisation und Durchführung von großen Konzerten in der Philharmonie mit unserem eigenen Chor und Orchester beteiligt und stehe auch auf der Bühne. Somit ergeben sich bei Gesprächen mit Profimusikern viele Anknüpfungspunkte. Es interessiert mich besonders, welchen ganz persönlichen Zugang die Musikerinnen und Musiker zu ihren jeweiligen Werken finden – oft auch verbunden mit dem Brückenschlag zu anderen Kulturen.
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