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Einfach Klassik.

Einfach Klassik.

Ivan Ilic spielt Anton Reicha in Berlin

Hinter einem mitreißenden Konzert-Erlebnis stehen viele Faktoren: Da geht im Idealfall das Kalkül einer plausiblen Werk-Interpretation auf. Dahinter steht wiederum das erfolgreiche Zusammenwirken diverser menschlicher Faktoren. Die Aufführung des Zweiten Klavierkonzertes von Anton Reicha mit Ivan Ilic und den Berliner Symphonikern (Leitung Hansjörg Schellenberger) stand in der Philharmonie unter solch einem guten Stern. Dabei wirkte auch Ivan Ilics tiefer Bezug zum böhmischen Komponisten Anton Reicha, ebenso zu seinem bevorzugten „künstlerischen Werkzeug“, dem hier zum Einsatz kommenden Shigeru-Kawai-Flügel. 

Ein frühsommerlicher Sonntagnachmittag in Berlin: Viele Menschen ist im Freizeitmodus überall in der Stadt unterwegs. Wohl auch deswegen haben sich die Nachmittagskonzerte in der Philharmonie zu einem solchen Publikumsrenner entwickelt, was auch die Chance bietet, neue, potenzielle Klassikfans in die Philharmonie zu locken. Dafür taugte die Programmauswahl allemal: Zunächst Antonin Dvoraks Ouvertüre „Die Mittagshexe“. Dann als gewichtiger Mittelpunkt Anton Reichas Zweites Klavierkonzert, das hier in ihrer Originalfassung seine Uraufführung erlebte. Und schließlich als großes Finale Anton Dvoraks Neunte Sinfonie „Aus der neuen Welt“. 

Dvoraks Sinfonische Dichtung „Die Mittagshexe“ ist ein kompaktes, extrovertiertes Werk, dem eine etwas bizarre Geschichte zugrunde liegt. Es geht um eine Mutter, die ihrem ungezogenen Kind mit der „Mittagshexe“ droht – einem übernatürlichen Wesen, das zur Mittagszeit erscheint und schließlich das Kind entführt. Die vier Abschnitte der Komposition beginnen idyllisch und spitzen sich immer dramatischer zu. Die Berlinern Symphoniker sorgten für viel vorwärtstreibendes Temperament für mächtig viel Klangpracht und Atmosphäre. 

Ivan Ilic, Hans-Jörg Schellenberger
Ivan Ilic, Hans-Jörg Schellenberger

Als nächstes erlebte die Berliner Philharmonie eine Uraufführung, obwohl dieses Werk schon über 200 Jahre alt ist. Die bislang zugängliche Fassung von Anton Reichas Klavierkonzert Nr. 2 war gewissermaßen unvollständig, da der motivisch so bedeutsame Oboenpart hier fehlt. Ivan Ilic und der Dirigent Hansjörg Schellenberger erweisen sich auf Anhieb als dankbare Kombination, wobei sich wohl auch auch Schellenbergers eigene Erfahrung als Oboist für dieses Unterfangen besonders gestalterisch auswirkt. Also entfaltet dieses alte, zugleich neue Werk in der Philharmonie seine ganze Klangpracht: So ganz in der klassischen Tradition aufgehend, bestechen die drei Sätze durch ihre formale Klarheit, warten mit frischen Assoziationen aus vielen kulturellen Kontexten der Entstehungszeit auf, was manchmal auch rossini-hafte Leichtigkeit aufkommen lässt. Pianistisch gibt es immens viel zu tun – was hier Ivan Ilics Spielfreude hörbar nährt: Präzise und glasklar arbeitet er die vielen filigranen Details heraus, vor allem die flüssige Rasanz der Tonrepetitionen und Auszierungen bezeugt die faszinierende Symbiose zwischen Interpret und seinem Instrument. So eingängig dieses Klavierkonzert anmutet, so delikat ist diese Komposition im Detail. Vor allem der zweite Satz mit seiner Dualität zwischen geradlinigem Puls und breitem Rubato in fast kadenzartiger Ausdehnung markiert eine immense Herausforderung, die hinter dieser klaren, zugänglichen Musik steht. 

Ivan Ilic
Ivan Ilic

Für Ivan Ilic bedeutete es einen großen Meilenstein, nun auch in der Berliner Philharmonie aufgetreten zu sein, wie er hinterher im Gespräch bekundete: „Vor allem hat es mich gefreut, hier ein Konzert mit so vielen Menschen zu teilen. Es waren viele meiner Freunde da, die mich von den Soloabenden kennen, die ich seit nunmehr 10 Jahren in der Hauptstadt veranstalte.“ Denen dürfte vielleicht auch die innige Diktion der hinreißenden Zugabe vertraut gewesen sein: Für alle anderen war das erste Stück aus Anton Reichas Zyklus „Étude dans le genre fugué, opus 97 N°1“ eine aufschlussreiche, neue Hörerfahrung. Gerade in den Solostücken zeigt sich dieser Komponist auch seiner Zeit voraus. 

Ein Selbstläufer, der durch seine spektakuläre Wucht jedes Publikum betört, ist Anton Dvoraks Neunte Sinfonie „Von der neuen Welt“. Umso erfreulicher, dass diesem sinfonischen Monument nun genau jenen Qualitäten zugute kamen, die an diesem Nachmittag zuvor schon so produktiv gedeihen konnten: Hans-Jörg Schellenberger und sein Orchester, schworen sich auf eine gemeinsame Augenhöhe ein, erzeugten in den vier Sätzen eine hochkonzentrierte Innenspannung mit manchmal gar etwas zu straffen Tempi, die alles vielleicht eine Spur zu „routiniert“ wirken ließen, wo noch mehr in die dramatischen Tiefen hätte eingetaucht werden können. Andererseits hat Schellenbergers Lesart, die Kraft gerade aus der Klarheit zu schöpfen, auch etwas sehr plausibles, zumal dies auch der Präzision im Gesamtgefüge – nicht zuletzt auch bei den ausgesprochen sauber dosierten Klangfarben der Blech- und Holzbläser – ausgesprochen gut tat.

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Musik und Schreiben sind immer schon ein Teil von mir gewesen. Cellospiel und eine gewisse Erfahrung in Jugendorchestern prägten – unter vielem anderen – meine Sozialisation. Auf die Dauer hat sich das Musik-Erleben quer durch alle Genres verselbständigt. Neugier treibt mich an – und der weite Horizont ist mir viel lieber als die engmaschige Spezialisierung, deswegen bin ich dem freien Journalismus verfallen. Mein Interessenspektrum: Interessante Menschen und ihre Geschichten „hinter“ der Musik. Kulturschaffende, die sich etwas trauen. Künstlerische Projekte, die über Tellerränder blicken. Labels, die sich für Repertoire-Neuentdeckungen stark machen. Mein Arbeitsideal: Dies alles fürs Publikum entdeckbar zu machen.
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