Einfach Klassik.

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Iveta Apkalna im Interview zum neuen Album „Triptychon“

Mit dem Bau der neuen Orgel in der Konzertkirche Neubrandenburg konnte die Organistin Iveta Apkalna ein spannendes und interessantes Projekt begleiten. Als Folge davon hat sie Bach, Vasks und Liszt als die für sie wichtigsten drei Komponisten im Orgelrepertoire ausgesucht, und deren zentrale Werke mit der neuen Orgel aufgenommen. Das Album „Triptychon“ wird auf drei CDs veröffentlicht, und ich konnte dazu ein ausführliches Interview mit Iveta Apkalna führen.

Iveta, Ihr Album heißt “Triptychon” in Anlehnung an dreiteilige Flügelaltäre, wobei die drei Teile die für Sie persönlich, wichtigsten Komponisten symbolisieren. Unter der Annahme, dass Ihnen diese Entscheidung nicht leicht gefallen sein dürfte, welche Komponist*innen wären noch hinzu gekommen, wenn Sie das Album nach einem Altar aus fünf Teilen, einem Pentaptychon benannt hätten?

Das ist eine gute Idee für das nächste Album, da habe ich noch nicht dran gedacht! Eigentlich sind schon drei CDs eine Herausforderung, nicht so sehr für mich, sondern eher für den Produzenten, den Herausgeber der Berlin Classics. Deshalb bin ich mit der Idee des dreiteiligen Flügelaltars als eine geschlossene und runde Kette schon komplett zufrieden. Auch Berlin Classics-Produzent Marcus Heinicke hat das so akzeptiert, dass es bei dieser ganzen Aufnahme um die Zahl Drei ging: Drei Komponisten, drei CDs, auf jeder CD drei Werke, was übrigens nicht explizit so ausgesucht wurde, das hat sich so ergeben. In diesem Fall war mir das ganz wichtig, diese Zahl Drei. Bei den Komponisten auf dem Album ist vor allem Bach sehr wichtig, der wichtigste Komponist überhaupt in meinem Leben. Vasks und Liszt sind auf dieser Aufnahme und auf der CD „Triptychon“ aber auch sehr wichtige Bestandteile. Ich kann nicht sagen, ob ich genau diese drei Komponisten gewählt hätte, wenn dieses Album zu einer anderen Zeit oder mit einer anderen Orgel aufgenommen worden wäre. Die Zahl Drei steht auch für die Holy Trinity, die Trinitatis, und tatsächlich ist dieser religiöse Aspekt, wie der dreiteilige Flügelaltar spürbar, nicht zuletzt auch beim Öffnen des CD-Covers.

Die Idee zum Album hatten Sie in der konzertlosen Zeit während der Pandemie. Durch die schon vorher durchgeführte Einweihung der Orgel hätten erste Ideen ja schon in Ihrer Vorstellung existieren können, oder ist Ihnen da wirklich im Lockdown ein Licht aufgegangen?

Diese Idee ist tatsächlich im Lockdown entstanden. Die Vorstellung, auf dieser Orgel eine CD aufzunehmen, gab es schon nach der Einweihung am 12. und 13. Juli 2017, aber ich wusste, das alles braucht seine Zeit. Und ich wollte nicht nur etwas aufnehmen, um dann etwas zu haben. Ich möchte den Leuten immer etwas von mir erzählen und auch eine gewisse Überzeugung und ein Verständnis vermitteln, ohne lange zu erklären, warum ich genau diese Werke ausgesucht habe.

Natürlich ist das, was Sie jetzt sehen und hören, tatsächlich dem Lockdown und der Pandemiezeit geschuldet, aber die Idee dort aufzunehmen war schon da, weil die Klais und Schuke-Orgel in der Konzertkirche Neubrandenburg etwas ganz Besonders sind. Schon der Aspekt, dass zwei Orgelbaufirmen an einem Instrument arbeiten, ist ungewöhnlich – normalerweise ist das immer in den Händen eines Orgelbauers. In diesem Fall war es eine Kooperation, und da kann natürlich ganz vieles und unterschiedliches, nicht immer nur Vorteilhaftes herauskommen. Natürlich hat jeder eigene Ideen, auch Orgelbauer und Orgelbaufirmen haben – genauso wie wir Künstler*innen – eigene künstlerische, musikalische und ästhetische Konzepte, aber in diesem Fall hat es wunderbar funktioniert. Der Saal in der Konzertkirche Neubrandenburg hat eine ideale Kombination aus Klarheit, wie wir sie aus Konzertsälen kennen, und Nachhallzeit: Es klingt nicht so trocken, wie in vielen Konzertsälen – was Orgelbauer nicht sehr gerne mögen – aber gleichzeitig stört der Nachhall auch die musikalischen Linien und den musikalischen Kontext nicht so sehr. Diese Situation einer Konzertkirche kenne ich so nur aus Neubrandenburg.

Im Lockdown kam dann der richtige Zeitpunkt, den Zuhörer*innen, das zu geben, was ich in dieser Zeit zur Konzertkirche Neubrandenburg gespürt und gedacht habe. Vasks, Liszt und Bach spiegeln das sehr genau wider, wegen dieses ganz besonderen Zusammenhangs zwischen den drei Komponisten. Sie stellen gerade für die aktuelle Zeit wichtige und existenzielle Fragen in der Musik: Wofür stehen wir überhaupt? Was brauchen wir? Was wird nach der Krise sein? Dadurch, dass im Jahr 2020 in der Konzertkirche sehr wenige Veranstaltungen stattfanden, hatten wir viel Zeit für die Einspielung. Dadurch bekam diese Musik viel Zeit, und konnte dadurch viele Fragen thematisieren. Wir hätten die Musik eigentlich immer wieder aufnehmen können, haben aber erlebt, dass man produktiver und schneller fertig ist, wenn man Zeit hat. 


Mit der Auswahl der Stücke von Pēteris Vasks zeigen sie auf mehreren Ebenen starke Verbundenheit und Liebe zu Ihrer beider Heimat, Lettland. Es gibt Naturbezüge und politische Referenzen, und beides sind die prominentesten Themen in Vasks Werk. Wird auch Ihr Heimatbild durch diese beiden Aspekte am meisten definiert?

Wenn ich an Lettland denke, dann fallen mir natürlich zuerst die Menschen ein, aber das ist auch immer mit der Natur und mit einem ganz besonderen Naturbild verbunden. Wenn ich mir nur 3 Sekunden lang Lettland vorstellen müsste, dann sehe ich unser Meer, tatsächlich sehe ich die schöne weiße Sandküste und ich sehe den Horizont und das Grün, viel Wald und ich höre Vogelstimmen. Ich glaube, wir Menschen in Lettland sind sehr sehr reich, dadurch dass wir so ein wunderbares Land mit so vielen Flecken unberührter Natur haben. Aber natürlich müssen wir Land und Natur schützen und pflegen, das ist das Wichtigste.

Und dann gibt es die Politik. Zur Zeit der politischen Wende war ich 14/15 Jahre alt, und ich höre natürlich, wie sich die singende Revolution in der Musik spiegelt. Insbesondere in der ‚Musica Seria‘ von Peteris Vasks, die ein paar Jahre vor unserer politischen Wende 1991 komponiert wurde. Da hört man schon diese Unruhe und den Willen raus zu wollen und selbstständig zu sein, und das wieder zu bekommen, was man schon mal hatte. Diese beiden Komponenten sind immer da, aber am wichtigsten sind natürlich die Menschen, die unser Land ausmachen. Es gibt ganz viele wunderbare große Namen und Talente, die man auf der ganzen Welt kennt, nicht nur in der Musik und nicht nur heute, sondern auch schon Generationen vor uns.

Ich denke, ich kann sehr stolz sein eine Lettin zu sein. Und das wollte ich natürlich dann auch auf dem Cover der CD von Peteris Vasks zeigen. Ich bin im März extra nach Lettland geflogen, um diese Fotos zu machen. Ich wollte das genau da tun, wo Lettland so aussieht, wie ich es mir vorstelle. Das ist genau an diesem Punkt, an diesem ganz besonderen Strand, wo ich ganz viele Sommerurlaube verbracht habe. Da sieht es in jeder Jahreszeit immer wieder anders aus. Im März war das wirklich ein bisschen kahl und leer und noch ein bisschen kalt, und gleichzeitig kämpfte sich schon die Sonne durch. Bei -1°C war es ein bisschen schwer im Kleid dort zu stehen und diese Fotos zu machen. Aber genau dieser Umbruch von Winter zu Sommer, diese Schönheit der Natur ist es, was nicht so sauber und glatt ist wie auf einer Postkarte, was aber Lettland am besten und genauesten widerspiegelt. Wir hatten Glück, einen sonnigen Tag erwischt zu haben. Ich wollte einfach diese Leere zeigen, ohne Menschen, allein am Strand. In den Stücken von Peteris Vasks hört man das alles. Da hört man diese Leere, diesen Raum und die Zeit, aber auch sehr deutlich die Menschen des Landes. Es gibt sehr große Chöre in Lettland und das Phänomen des großen Liederfestes, das einmal in fünf Jahren stattfindet. Über 16 000 Menschen singen dann zusammen. Dafür wird vier Jahre gearbeitet, um nach fünf Jahren zusammen zu feiern. Das Repertoire wird hochprofessionell vorbereitet, einstudiert und dann zusammen gesungen – und ich durfte im Jahr 2018 das Liederfest auf er Orgel begleiten.

Iveta Apkalna, Foto von Aiga Redmane
Iveta Apkalna, Foto von Aiga Redmane

In der Beschreibung des Albums wird festgestellt, dass in einer Auswahl von Stücken für die Orgel Johann Sebastian Bach unumgänglich ist. Wenn Sie nun kurz beschreiben müssten, wie genau Bachs Musik für Sie ganz persönlich diesen hohen Stellenwert erreicht, was würden wir lesen?

Das ist wirklich sehr schwer zu beschreiben, da das für mich so absolut ist: Bachs Musik ist wie Luft und Wasser, wie Sonne und Sterne und jeden Tag ist sie anders. Wenn ich seine Werke nach 10, 15 oder 20 Jahren wieder spiele, dann lerne ich durch diese Stücke immer mehr über mich selbst. Und ich merke, wo ich im Leben stehe und wer ich bin. Ob ich musikalisch und vielleicht auch technisch schon da bin, wo ich sein möchte. Das ist, als ob man in einen Spiegel schaut, und dieser Spiegel ist Bachs Musik. Wenn ich zum Beispiel Passacaglia spiele, und ich erinnere mich daran, wie ich es mit 16 Jahren gespielt habe, dann merke ich, dass ich doch ganz viel erlebt habe. Das, was mir damals in Bachs Musik als fröhlich erschienen ist, scheint jetzt wirklich tragisch und traurig, oder auch umgekehrt und das spiegelt meine innere Welt und meine Standpunkte im Leben wider.

Den Bau einer neuen Orgel, wie der in der Konzertkirche Neubrandenburg, zu begleiten ist eine große Verantwortung. Sie haben unter anderem die Disposition, also die Registraturzusammenstellung, der Orgel konzipiert. Mit Blick auf Ihre bisherige Karriere konnten sich die Ausführenden gleichwohl auch glücklich schätzen, Sie als künstlerische Beraterin gewonnen zu haben. War diese große Unternehmung denn immer freudige Begeisterung, oder gab es auch Zeiten, die durch Unsicherheit und Belastung geprägt waren?

Ich habe wirklich Glück, weil ich in meinem relativ kurzen Künstlerleben schon mehrere Orgelneubauten begleiten durfte, und zwar auf unterschiedliche Weise. Nicht nur so wie in der Kirche Neubrandenburg von Beginn an, sondern auch in der Hamburger Elbphilharmonie. Da waren das Klangkonzept und die Klangästhetik schon fertig durchdacht und vorbereitet, und erst dann bin ich dazu zu kommen. Das ist auch eine Herausforderung, feste Gegebenheiten weiterzuentwickeln. Es gab aber auch Fälle, in denen die Orgeln schon fertig waren und ich sie einweihen durfte, wie z.B. in Taiwan im Kaohsiung Art Center. Ich habe dort kurz vor der Pandemie mein letztes Album aufgenommen. Ich bin also schon auf unterschiedlichen Treppenstufen gestanden beim Bau einer Orgel und ich schätze all diese Erfahrungen als etwas sehr Positives. Für uns Organist*innen gibt es täglich eine andere Herausforderung. Wenn wir Konzerte spielen, egal ob in der Kirche, Kathedrale, im Konzertsaal oder Open-Air, dann spielen wir immer auf einem anderen Instrument. Wir haben unser Instrument nicht dabei, und dadurch machen wir interessante Erfahrungen aller Art. Einmal erkennt man, dass das Instrument, auf dem man spielen muss, nicht wirklich den Erwartungen entspricht oder dass es nicht wirklich gut zum Programm passt. Dann muss man sich eben arrangieren und es schaffen, es so klingen zu lassen, als ob das mein Lieblingsinstrument wäre. Das ist dann zwar eine sehr schwere Aufgabe, aber wir müssen das leisten! 

Am meisten habe ich bei den Neubauten mit Philipp Klais Orgelbau zusammengearbeitet. Auch in Lettland im Konzertsaal Venske durfte ich vor zwei Jahren eine komplett neue Orgel einweihen, die ich von Beginn an begleitet habe. Mit jedem Neubau einer Orgel wird eine neue Geschichte geschrieben, und ich bin sehr glücklich begleiten zu dürfen. 

Im Fall der Konzertkirche Neubrandenburg kam auch noch eine wichtige Komponente dazu, und zwar unser Mäzen Günter Weber, der die Orgel gestiftet hat. Ein Privatsponsor, der diese Orgel bezahlt und uns geschenkt hat, und der sich natürlich auch etwas ganz Besonderes gewünscht hatte. Aber er hat das alles uns überlassen. Das war ein großer Vertrauensvorschuss. 


Letztlich klingt die Orgel so warm und vielseitig, dass damit alle Epochen der Orgelmusik gut darstellbar sind. War das Ihr bewusstes Ziel in der Konzeption des Instrumentes, und wollten Sie damit das unterstützen, was die klassische Konzertkultur dieser Tage mehr denn je braucht, nämlich die diverse Verteilung und Vertretung von Alter und Neuer Musik?

Das ist auch immer mein persönliches, künstlerisches Ziel gewesen. Konzertante Orgeln, also Orgeln, die in den letzten Jahren neu für Konzertsäle gebaut wurden, sollten tatsächlich die Vertretung und Verteilung von alter und neuer Musik abbilden. Wie wir wissen, gibt es in den Kirchen viele verschiedene Orgeln, wie zum Beispiel deutsche romantische Orgeln, französische romantische Orgeln, Barockorgeln oder die Restauration einer Barockorgel et cetera – das ist natürlich wunderbar. Aber wenn ein talentierter Orgelbauer die Möglichkeit hat ein Instrument für einen Konzertsaal zu erschaffen von Anfang bis Ende, wie für die Elbphilharmonie Hamburg oder auch die Konzertkirche Neubrandenburg, dann sollten diese Instrumente wirklich diesen Bogen spannen und diese Brücke schaffen, damit die Organist*innen nicht unnötig in der Auswahl des Repertoires begrenzt werden. Dann kann man dem Publikum endlich das zeigen, was man aus akustischen oder Platzgründen bisher nicht konnte.

Für mich ist auch wichtig, dass das Konzertprogramm oder das Aufnahmeprogramm für eine CD eine Geschichte erzählt, einen dramaturgischen Bogen spannt und nicht nur eine Reise durch die Geschichte der Orgelmusik ist, in der unbedingt alle Musikstile präsentiert sein müssen. Genau so werden häufig Orgelprogramme in den Kirchen zusammengestellt. Ein bisschen Barock, ein bisschen Romantik, vielleicht ein bisschen Zeitgenössisches wäre schön, vielleicht noch etwas vor Barockzeit, vielleicht Renaissance, also eigentlich alles. Aber man sollte dem Publikum nicht alles auf einmal geben, weil ich glaube, das Publikum braucht auch Zeit und auch Platz im Herzen und in den Ohren, um zu verarbeiten und zu vertiefen. Deshalb glaube ich, dass nicht diese große tolle historische Reise durch alle Kontinente und alle Musikstile am wichtigsten ist, sondern wirklich die Persönlichkeit des/der Künstlers/in, der/die auf der Bühne sitzt, sowohl bei einer Aufnahme als auch bei einem Konzert. Genau deshalb war es mir auch so wichtig, genau diese drei Komponisten mit diesen Werken für mein neues Album auszuwählen.

Iveta, vielen Dank für dieses Interview!

Das Album

Icon Autor lg
Stefan Pillhofer ist gelernter Toningenieur und hat viel Zeit seines Lebens in Tonstudios verbracht. Er hat viel Hörerfahrung mit klassischer und Neuer Musik gesammelt und liebt es genau hinzuhören. In den letzten Jahren hat sich die Neue und zeitgenössische Musik zu einem seiner Schwerpunkte entwickelt und er ist stets auf der Suche nach neuen Komponist*innen und Werken. Stefan betreibt das Online-Magazin Orchestergraben, in dem er in gemischten Themen über klassische Musik schreibt. Darüberhinaus ist er auch als Konzertrezensent für Bachtrack tätig.
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