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Einfach Klassik.

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Jubiläums-Interview mit Titus Engel

Zum immer weiter aufstrebenden Dirigenten Titus Engel passen viele Adjektive: umtriebig, vielseitig, kreativ, fortschrittlich. Und kürzlich konnte er dann auch noch ein wichtiges Engagement verkünden. Umso erfreuter war ich darüber, ihn im Rahmen unseres 10-jährigen Jubiläums interviewen zu können.

Titus Engel, wenn man sich mit Ihrem bisherigen Schaffen beschäftigt, dann besteht Redebedarf: Sie gelten als Experte in der historischen Aufführungspraxis, haben aber auch immense Erfahrung in der Neuen und zeitgenössischen Musik, und viele Aufnahmen in diesem Bereich gemacht. Sie dirigieren mal eben alle Brahms Sinfonien und im November und Dezember findet man Sie dann wieder mitten im Freischütz und in Hänsel und Gretel. Noch dazu leiten Sie dann ein Jazz-Konzert mit Randy Brecker und der BigBand der Deutschen Oper Berlin. Sich wie manch andere auf zwei, maximal drei Epochen zu fokussieren scheint Sie wohl nicht auszulasten. Wie kommen Sie zu dieser beeindruckenden Vielfalt?

Erstens bin ich sehr neugierig und von vielen Musikstilen begeistert. Mir war es immer wichtig eine gute Balance zu finden zwischen den verschiedenen Epochen und Stilen. Ich lerne in jedem Stück etwas Neues und liebes es Erkenntnisse daraus auf andere Stile zu übertragen. Zum Beispiel kann ich in der zeitgenössischen Musik auftauchende Kantilene viel besser gestalten, wenn ich die Erfahrung bei Brahms gemacht habe. Umgekehrt helfen mir bei Brahms Phrasierungen aus der Barockmusik. Dirigieren ist lebenslanges lernen. Mich nur auf eine Epoche zu konzentrieren würde mich nicht befriedigen, das würde sich zu eingeschränkt anfühlen. Das tolle an dem Beruf ist, dass man immer mit neuen Partituren, historischen Kontexten und Menschen in Verbindung kommt.

Gibt es da große zeitliche Abstände zwischen den Projekten, so dass Sie größere Bereiche auch länger ausblenden können, oder müssen Sie letztlich immer wach für alles sein? Und hält Sie diese Vielfalt dann künstlerisch besonders beweglich?

Ich versuche immer mich mit genügend Vorlauf den Projekten zu nähern. Wenn ich mich einem/einer für mich neuen Komponist*in nähere, nehme ich mir immer besonders viel Zeit dafür mich in den Stil und den historischen, beziehungsweise aktuellen Kontext einzuarbeiten.

Die große Neuigkeit letztes Jahr war ja Ihr Engagement als Principal Conductor der Basel Sinfonietta ab der Saison 2023/2024. Dazu herzlichen Glückwunsch! Das Orchester ist spezialisiert auf Neue Musik, ist das eine Vorentscheidung einer Spezialisierung in Ihrer Karriere? Oder wollen Sie die verschiedenen Epochen und Genres auch weiterhin gegeneinander ausbalancieren wie bisher?

Ich habe mich sehr gefreut über meine Wahl in Basel und freue mich sehr auf diese spannende Aufgabe. Die zeitgenössische Musik selbst ist ja schon sehr reich an verschiedenen Stilen, gerade wenn wir sie international betrachten. Wir haben jetzt schon ein tolles Programm entwickelt, das sehr stark changiert zwischen sehr Anspruchsvollem für Orchester und Publikum, bis zu Werken, in denen wir uns gemeinsam einfach sinnlich gehen lassen können.

Für mich persönlich werden aber außerhalb der Basel Sinfonietta andere Epochen weiterhin eine grosse Rolle spielen.

Titus Engel, Foto © Kaupo Kikkas
Titus Engel, Foto © Kaupo Kikkas

Zusammen mit dem großen Namen dieses Orchesters und Ihrem Werdegang wirkt das wie der richtige Schritt zur richtigen Zeit. Ist das so, oder gibt es hier auch Ungleichheiten in den Entwicklungsstufen, die Sie als Herausforderungen in Chancen umwandeln können und müssen?

Ich freue mich sehr darauf, nach meinen Lehr- und Wanderjahren kontinuierlich mit den gleichen Musiker*innen zu arbeiten und den Sinfonietta-Klang langfristig zu gestalten. Außerdem begeistert es mich auch meiner Gestaltungsfreude was Programme betrifft nachgehen zu können. 

Das Orchester war bisher erfreulich mutig im Programmieren von zeitgenössischer Musik. War das ausschlaggebend für Ihre Zusage, und können Sie schon sagen welche Art von Programmen Sie mit dem Orchester entwickeln wollen?

Mir gefiel die Atmosphäre, die Offenheit und die tolle Energie die von den Musiker*innen der Basel Sinfonietta ausgeht. Wir möchten abwechslungsreiche Konzerte gestalten für unser Abo-Publikum. Dabei auch neue Wege gehen was die Konzertformen und Orte betrifft. So sind z.B. Zusammenarbeiten mit bildenden Künstler*innen und Regisseur*innen geplant. Weiterhin möchte ich das  Orchester mehr zu anderen Gesellschaftsschichten öffnen, in dem wir die Education-Programme intensivieren und auch Konzerte zusammen mit Communitys gestalten.

Gibt es Ideen oder Pläne solche Programme dann mit dem Orchester auch aufzunehmen und zu veröffentlichen?

Ja, da gibt es schon Pläne, die sind aber noch geheim… 

Titus Engel, Foto © Kaupo Kikkas
Titus Engel, Foto © Kaupo Kikkas

Dieses Engagement ist auch ein bisschen Rückkehr in Ihre Schweizer Heimat. Wird der Standort Berlin für Sie trotzdem auch erhalten bleiben, oder wollen Sie sich insgesamt wieder mehr der Schweiz zuwenden?

Ich werde mit meiner Familie trotzdem in Berlin wohnen bleiben, freue mich aber sehr öfter in der Schweiz zu sein. Basel kenne ich ja schon sehr gut, ich mag die Stadt und das offene Publikum da sehr. Ich ja schon viele aussergeöhnliche Produktionen am Theater gemacht, wie Stockhausens Donnerstag aus Licht oder letztes Jahr Freischütz mit Christoph Marthaler.

Auch Ihre Opernengagements begehen Sie immer mit viel Enthusiasmus. Abgesehen von den Klassikern in der Vorweihnachtszeit ist Ihnen aber vor allem die aktuelle Oper sehr wichtig. Neben der von Ihnen mitgegründeten “Akademie Musiktheater heute”, auf welche Initiativen und Engagements legen Sie da noch besonderen Wert?

Bei der Gründung der Akademie Musiktheater heute ging es Viktor Schoner und mir darum, die verschiedenen Kunstgenres, die in der Oper arbeiten zusammenbringen. Wir waren damals noch Studenten und Assistenten und haben festgestellt, dass es in der Oper oft hakt an der Kommunikation  gerade zwischen Regie und Dirigat. Da habe ich von Gerard Mortier früh gelernt wie wichtig es ist, erstmal eine gute Zusammenarbeit zu schaffen, eine gute Atmosphäre. Dann können auch Probleme gemeinsam gelöst werden in dieser wunderbaren, auch utopischen Kunstform im der so viele Menschen zusammenarbeiten.

Sind im Bereich der aktuellen Oper auch Projekte in Vorbereitung über die Sie sprechen könnten?

Ich freue mich sehr auf Bartóks Blaubart in der Oper Lyon mit dem Regisseur Andry Zholdak. Wir spielen den Blaubart an einem Abend zwei mal, in zwei verschiedenen Interpretationen. einmal in einer symbolischen Ästhetik, einmal in einer sehr harten realistischen Fassung. Ich werde auch meine musikalische Interpretation, der jeweiligen szenischen Situation anpassen. (Diese Veranstaltung wurde mittlerweile leider abgesagt. Anm. d. Red.)

Danach kommt Saint Francois d’Assise in Stuttgart. Diese Stück aufzuführen ist ein lang gehegter Wunsch von mir. Ein großartiges Werk. Wir werden in Stuttgart den ersten und den letzten Akt im Opernhaus spielen, dazwischen begibt sich das Publikum mit dem Staatsorchester, dem Staatsopernchor und den Solist*innen auf eine Pilgerreise durch den Stadtraum. 

Insgesamt wirkt die Leitung des Jazzkonzertes mit der BigBand der Deutschen Oper Berlin noch etwas exotischer als Ihre anderen Engagements. Bleibt das eher eine Ausnahme, oder wird der Jazz eine regelmäßigere Abteilung in Ihrem Portfolio?

Auch das war ein langer Wunsch von mir, ich habe das Werk als 17-jähriger in Zürich gehört und war hin und weg. Damals habe ich auch als Kontrabassist sehr viel Jazz gespielt. Ich finde den Third Stream, die Idee einer Schnittmenge zwischen Jazz und Neuer Musik schon sehr spannend. Dem möchte ich auch mit der Basel Sinfonietta gerne nachgehen. In meiner ersten Saison werden wir ein Projekt mit Nik Bärtsch realisieren und auch eine Uraufführung von Michael Wertmüller machen gemeinsam mit der NDR-Bigband.

Dies ist ja ein Interview anlässlich des 10-jährigen Jubiläums des Orchestergraben Online-Magazins. Haben Sie Wünsche oder Ideen für die nächsten zehn Jahre eines kleinen Klassikmagazins?

Ich gratuliere herzlich zum Geburtstag! Über diese neue freiere Form der Musikberichterstattung freue ich mich sehr. Bleiben Sie weiter so neugierig und bunt!

Titus Engel, vielen Dank für dieses Interview!

Titelfoto © Kaupo Kikkas

Icon Autor lg
Stefan Pillhofer ist gelernter Toningenieur und hat viel Zeit seines Lebens in Tonstudios verbracht. Er hat viel Hörerfahrung mit klassischer und Neuer Musik gesammelt und liebt es genau hinzuhören. In den letzten Jahren hat sich die Neue und zeitgenössische Musik zu einem seiner Schwerpunkte entwickelt und er ist stets auf der Suche nach neuen Komponist*innen und Werken. Stefan betreibt das Online-Magazin Orchestergraben, in dem er in gemischten Themen über klassische Musik schreibt. Darüberhinaus ist er auch als Konzertrezensent für Bachtrack tätig.
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