Herbert von Karajan war nicht nur ein Dirigent, sondern oftmals auch sein eigener Tonmeister. Er hat mehr Zeit im Aufnahmestudio verbracht als die meisten Orchesterleiter vor oder nach ihm. Als in den 80er Jahren das digitale Zeitalter mit der Erfindung der CD anbrach, unterstützte er maßgeblich deren Entwicklung, und ließ sich jedes Detail genau erklären. Karajan wusste, dass ihm aufgrund seines vorangeschrittenen Alters die Zeit davonlief. Sein Ziel war es, einen Großteil seines Standard-Repertoires nochmals in digitaler Form für die Ewigkeit einzuspielen. Und wer sich diese Aufnahmen heute – in remastertem Soundgewand – erneut anhört, kommt bei der einen oder anderen Einspielung zu der eher bitteren Erkenntnis, dass sie so oder ähnlich nicht mehr erlebt werden kann.
Die Macht des Klangs
So erging es mir, als ich erstmalig seine Aufnahme der Alpensinfonie von Richard Strauss aus dem Jahre 1980 hörte (zufälligerweise soll dieses Werk auch die allererste Klassik-CD gewesen sein, die in Europa in Serienproduktion ging). Obwohl mittlerweile 40 Jahre alt, hat diese Einspielung nichts von ihrer Faszination verloren. Ganz im Gegenteil – jede andere Produktion des gleichen Stücks muss sich an dieser messen lassen. Aber woran liegt das? Was unterscheidet diese von 1000 anderen Veröffentlichungen? Die Antwort darauf ist fast schon trivial: Es ist die Kombination aus Interpretation und Klang, die den klassikbegeisterten Hörer noch heute in den Bann schlägt. Eine ganz besondere Aura, eine Atmosphäre, die ihresgleichen sucht. Und damit sind wir beim eigentlichen Thema – der Macht des Klangs.
Eine Interpretation kann immer nur so gut sein, wie der Klang in der Lage ist, diese zu transportieren. Auch der gewählte Produktionsort ist nicht sekundär. Es gibt große akustische Unterschiede. Ob die Aufnahme zum Beispiel in der Philharmonie Berlin oder der Jesus-Christus-Kirche entstehen soll, ist manchmal eine Frage des eigenen Anspruchs, sowie der Möglichkeiten. Wie sind die Mikrophone platziert? Ist der Hall zu heftig oder gar zu schwach? Wer wird die Aufnahme hinterher im Studio wie bearbeiten? Wenn der Tonmeister nicht in der Lage ist, die Intimität des Stücks möglichst detailgetreu einzufangen, dann hat die Produktion keinen Hörwert, auch wenn die Interpretation noch so gut gemeint ist.
Für Karajan war die eigentliche Aufnahme genauso wichtig wie die Nacharbeit hinterher im Tonstudio. Sein Ziel war es, dass der Hörer das Werk auf Platte oder CD möglichst originalgetreu so hören sollte, wie er es sich vorgestellt hat. Natürlich war das nicht uneingeschränkt möglich. Das Live-Erlebnis ist durch keinen Tonträger, egal ob analog oder digital, zu ersetzen. Aber sein Anspruch war es, die vorhandene Technik optimal zu nutzen. Wie werden die Oboen am besten einzeln abgebildet? Hört man das angestrebte Ergebnis hinterher auch auf Schallplatte oder CD? Oder sind die Violinen zu leise und müssen stärker in den Vordergrund?
Akustischer Eindruck
Günter Hermanns und Herbert von Karajan waren über Jahre ein eingespieltes Team. „Das für mich eklatanteste ist immer das Missverhältnis der Stimmen untereinander, entweder sind sie zu schwach oder zu stark, und das ist unsere Aufgabe“, so der Maestro in einem Telefonat mit seinem Tonmeister Günter Hermanns. Er wollte, dass seine ganze Detailarbeit einem möglichst großen Publikum zu Gehör kam. „Nennen sie mir einen Saal, wo auch nur 4 Leute den gleichen akustischen Eindruck haben. Der Saal manipuliert die Musik, auf jedem Sitz haben sie einen anderen Klangeindruck. Und wenn es dann zum Schluß endlich in das Ohr des Zuhörers kommt, dann manipuliert das Ohr natürlicherweise genauso die Musik.“ Eine Platte oder CD muss daher anders ausgesteuert sein als das, was im Konzertsaal zu hören ist. Ansonsten entstehen Disharmonien. Karajan hat viel experimentiert. Wie fängt man die Seele der Live-Atmosphäre eines Konzerts auf Tonträger ein? Was ist da technisch machbar? Und was geht möglicherweise verloren?
Ich selbst habe, und das ist kein Witz, 1,5 Jahre benötigt, um nach dem Umzug in der neuen Behausung die Lautsprecher so anzupassen, dass sie für mich die subjektiv optimale Akustik erzeugen können. Jeder Wohnraum ist anders konzipiert. Die Größe des Zimmers, die Beschaffenheit der Wände, Teppich, Holzboden oder Laminat? Wie weit sind die Boxen von den Wänden entfernt? Aus welchem Material wurden sie hergestellt? Wie weit stehen sie auseinander? Wie ist der Raum isoliert? Schwingen vielleicht klirrende Glasvitrinen mit, ist der Klang zu flach, zu dumpf oder zu basslastig? Harmoniert der Verstärker mit den Lautsprechern? Die Liste könnte fast endlos weitergeführt werden.
Die Probe aufs Exempel in den eigenen vier Wänden lohnt. Sie werden überrascht sein, dass die Akustik an jeder Stelle des Raumes anders wahrgenommen wird. Jede Ausrichtung der Stand- oder Monitorboxen verändert den Höreindruck.
Karajan vergessen?
Die heutigen Generationen genießen Musik in der Regel über mehr oder weniger gute Bluetooth-Lautsprecher. Komprimierte mp-3 Dateien und Hauptsache Bass, schön wummernd, Auflösung oder Transparenz ist da eher Nebensache. Für klassische Musik, in der es auf Feinheiten und Detailarbeit ankommt, ein Unding. Und selbst hochwertige Lautsprecher sind noch lange keine Garantie dafür, dass die Musik bei Ihnen so ankommt, wie Sie es sich gedacht haben oder wünschen würden. Und wenn Sie glauben, dass die heißbegehrten Objekte ihrer Wahl bei Ihnen zuhause so klingen wie im Laden, dann ist das in der Regel ein gewaltiger Irrtum. Die im online-Zeitalter nur noch wenig vorhandenen Fachgeschäfte bieten in der Regel einen Probehör-Service fürs Zuhause an. Davon sollte man unbedingt Gebrauch machen.
Klang ist wie Philosophie. Darüber lässt sich stundenlang diskutieren. Was am Ende jedoch zählt, ist Ihr persönlicher Höreindruck, der für Sie optimal ist und Ihnen ein zufriedenes Lächeln ins Gesicht zaubert. Der Weg bis dahin ist aber oft kein leichter.
Titelfoto: Foto von Maksym Kaharlytskyi bei Unsplash
2 Kommentare
danke!
Sehr schöner Artikel – genau was mich interessiert. Danke!