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Einfach Klassik.

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LISTEN TO OUR CRY – Interview mit dem Trompeter Reinhold Friedrich

Zu Beginn von Benjamin Yusupov‘s Stück „Listen to our Cry“ spielt der Trompeter Reinhold Friedrich auf einer Schofar, einem alten Widderhorn, das aus der Wüste Negev stammt. Dessen gellender Ruf eröffnet traditionsgemäß das jüdische Neujahrsfest. Für Reinhold Friedrich markiert das Spiel auf diesem Instrument eine symbolträchtige Geste gegen gewalttätigen Fanatismus und ideologische Verblendung zwischen Völkern und Religionen. Die fünf Komponisten dieser neuen Aufnahme mit dem Georgischen Kammerorchester Ingolstadt antworten darauf mit spiritueller Empfindsamkeit und raffinierten kompositorischen Mitteln. Im Gespräch mit Stefan Pieper zeigte sich Friedrich als politisch engagierter Gesprächspartner, dessen grenzensprengender Forschergeist von Idealismus geprägt ist…

Am Anfang der titelgebenden Komposition von Benjamin Yusupov erklingt ein Schofar. Was hat es damit auf sich?

Eigentlich ist es ein Schofar, wenn von der Trompete von Jericho die Rede ist. Dieses Antilopen-Horn aus der Negev-Wüste hat einen viele Kilometer weit tragenden Ton.

Woher kommt das Bild mit der Trompete von Jericho?

Das kann ich genau nicht sagen. Mein Vater wüsste dies besser, der jetzt jede präzise Bibelstelle zu dem Thema benennen könnte. Es hat wohl etwas damit zu tun, dass die Soldaten um Jericho herum marschiert sind, bevor sie die Stadt eingenommen haben. Die Wikinger hatten ähnliche Blasinstrumente, die im militärischen Kontext zum Einsatz kamen – eine Art Lure. Deren Ton hatte die unglaubliche Tragfähigkeit von 10 km. Eine moderne Posaune bringt es immerhin auf 1,5 km.

Erzählen Sie etwas zur Vorgeschichte von „Listen to our Cry“!

Es war ein Herzenswunsch, dieses Programm umzusetzen. Im letzten Jahr war auf einmal die Zeit reif für dieses Projekt. Die Corona-Krise hat mich aus meinem normalen Alltag herausgerissen. Ich habe seitdem ca. 50 Konzerte nicht mehr gespielt und dadurch etwa 100 Flugreisen nicht mehr unternommen. Auf einmal hatte ich ganz viel Zeit, um zu recherchieren und zu forschen. Etwa über das Schicksal jüdischer Emigranten. Teilweise bin ich hier meiner eigenen Familiengeschichte auf die Spur gekommen, z.B. mein Großonkel der als Maler in der Gruppe der „entarteten Künstler“ Berufsverbot erhielt. Viele meiner Forschungen und damit auch das Repertoire für diese CD kreisen um jüdische Komponisten und die Verarbeitung der historischen Wunden, welche sich die großen monotheistischen Religionen gegenseitig zugefügt haben.

Verfolgen Sie mit dieser CD ein politisches Anliegen?

Es geht um die Berührung der musikalischen Zeitalter, aber auch der Religionen und Kulturen. Und vor allem um die Katastrophen, die hier vor allem von Deutschland ausgegangen sind. Ich frage mich, wie kommt dieses hochgebildete Volk, welches Goethe und Schiller hervorgebracht hat, zum Mord an sechs Millionen Juden? Ich möchte hier mal kurz auf die neuere Geschichte blicken: In Deutschland begann die Verfolgung damit, als die Juden den Eintritt in die Gesellschaft bekommen haben durch die Erfindung der deutschen Nation. Andersrum ist es immer wieder die Musik, welche jede Grenzziehung ad absurdum führt und letztlich doch eine Verbindung der jüdischen Religion zum Christentum herstellt.

Hat die Musik Sie gefunden, nachdem Sie schon solche Gedanken im Kopf hatten?

Ich hatte bereits einige Stücke parat, die thematisch zusammengehören. Zum einem das Konzert für Trompete, Klavier und Streicher von Benjamin Yusupov. Zum anderen die deutsch-jüdische Kantate von Ivan Fischer. Die Vorgeschichte von Letzterem macht das Anliegen der CD recht anschaulich: Als kleiner Junge war Ivan Fischer überrascht, als er auf einem Friedhof in Budapest am Grab seines Onkels eine deutsche Inschrift vorfand. Kurz nach dem Krieg war deutsch einfach nur die Sprache der Nazis. Fischer hat sich daran begeben, diesen Widerspruch aufzulösen. Er begriff die Bedeutung des Textes der Inschrift. Es handelte sich um ein Goethe-Gedicht. Damit war sein Anliegen geboren, die Verwunderung von einst in Töne zu fassen. Er hat dann im Jahr 2006 die fünfsätzige „Deutsch-jiddische Kantate“ geschrieben. Das Stück steht für eine Wiederbelebung der jiddischen Sprache. Auch gibt es Bezüge zu Kurt Weill und Bert Brecht – vor allem dann, wenn die Musik sehr kampflustig daherkommt. Am meisten hat mich das letzte Stück von Fischers Suite erstaunt, wo Ivan Fischer Musik über das Elogium von Wolfgang Goethe komponiert hat. Man denkt hier, das kann doch nur Bach sein.

Wieviel Material haben Sie eigentlich bereits zusammengetragen?

Ich habe seitdem ungefähr 100 Komponisten gefunden, die insgesamt ca. 300 Stücke für Blechbläser und speziell für Trompete komponiert haben. Ich versuche ständig, in internationalen Bibliotheken an neue Noten heranzukommen. Ich könnte irgendwann eine ganze CD-Serie damit auflegen, etwa unter dem Obertitel „Lost Pieces“.

Also ist „Listen to our Cry“ nur ein kleiner Teil daraus?

Genau. Es ist eine erste Station. Ich habe einfach irgendwo angefangen zu graben. Zunächst mal im Internet, weil man ja kaum reisen kann im Moment. Dann entdeckt man immer mehr. Zum Beispiel bin ich auf viele Schüler von Alban Berg, Zemlinsky oder Schreker gestoßen. Eben diese ganze Schiene, die das Musikleben in Berlin und Wien stark geprägt hat. Und die sich dann verabschiedet haben von Deutschland – zum Leidwesen unserer heutigen Zeit. Ich möchte einfach diese Schätze wieder heben und ihnen einen Platz geben.

Wie steht dieses Repertoire zur etablierten Nachkriegs-Avantgarde?

Hier kann man dem starken Einfluss der Nachkriegs-Avantgarde unter Federführung z.B. von Pierre Boulez einiges entgegensetzen. Aus dieser Haltung heraus wurde ja sogar einem Bernd Alois Zimmermann vorgeworfen, veraltet zu sein. Rigide Auseinandersetzungen bringen immer einen Verlust von Kultur hervor. Was wiederum dazu führte, dass das Publikum der Avantgarde oft nicht gewachsen war. Diese Tendenz lebt bis heute fort: Man hat das Gefühl, dass manche Komponisten ihre Stücke für sich allein spielen.

Wollen die Kompositionen auf „Listen to our Cry“ eine Alternative zum elitären Elfenbeinturm aufzeigen?

Ich habe eine ausgewogene Mischung angestrebt und mit der Aria „Haroutioun“ des armenischen Komponisten Alan Hohaness etwas bewusst „Unproblematisches“ mit ein bezogen. Das Stück ist ein Klagegesang auf den verstorbenen Vater, der dem Massaker der Türken an den Armenien zum Opfer gefallen ist. Es ist einfach nur eine schöne, traurige Melodie mit Dur-und Moll-Akkorden. Die anderen Stücke gehen viel tiefer. Vor allem setzen sie konträre musikalische Elemente in einen starken Widerstreit. Damit meine ich allen voran das Titelstück „Listen to our Cry“. Luca Lombardis „predah“ für Solotrompete wirkt am Ende wie ein Gebet. Da sind wir an einem Moment angekommen, wo man sagen kann: Wir wissen nicht mehr weiter und können nur noch ruhig unsere Hände falten. Der eine wird jetzt vielleicht religiös, der andere meditiert. Der nächste ist vielleicht Shintoist, oder denkt einfach gar nichts und möchte nur Frieden haben. Auch das ist legitim. Am Ende von „Listen to our cry“ ist nur noch Depression und es gibt keine Hoffnung mehr. Einfach kein Saft mehr in der Batterie.

Welche Kraft geht verloren?

So viele Menschen bekämpfen sich aufs Messer und bringen sich gegenseitig um. Es entstehen rechte Gegenbewegungen gegen alles Ausländische. Das ist wie eine Welle, die hin und her schwappt. Zugleich wird das Bedürfnis nach innerer Findung immer weniger erfüllt. Wo komme ich her? Wo komme ich hin? Religiöser Fanatismus eskaliert, weil die Menschen zugleich weniger Halt in den Religionen finden. Diese Entwicklung möchte ich auf „Listen to our Cry“ darstellen. Am Anfang ist diese „Kampfsituation“ und am Ende ist da nur noch der Monolog, der sich auf Claudio Abbado bezieht. So erfüllt der dramaturgische Bogen der CD meine Intention.

Reinhold Friedrich, Foto © Cyrus Allyar
Reinhold Friedrich, Foto © Cyrus Allyar

Wie war das Zusammenspiel mit dem Georgischen Kammerorchester Ingolstadt?

Es war ein verrückter Umstand, diese CD mitten in der Corona-Zeit aufzunehmen. Dass dies überhaupt erst möglich wurde, ist ein kleines Wunder. Vorher wussten wir wirklich noch nicht, ob wir überhaupt nach Ingolstadt fahren könnten. Wir wurden ständig getestet. Und dann saßen wir auf einer Bühne. Alle waren großflächig im Raum verteilt. Man muss sich auf eine ganz neue akustische Situation einlassen. Aber die Bereitschaft, mitzumachen war enorm. Das ganze Orchester hat mit Maske gespielt – die einzigen, die keine Maske hatten, waren die Sängerin Dorothee Mields und ich. Dorothy Mields bewundere ich außerordentlich. Sie ist ja auch die Lieblingssängerin von Philippe Herreweghe und anderen. Da habe ich genau die Richtige gefunden!

Was schätzen Sie besonders an diesem Orchester?

Die Besetzung des georgischen Kammerorchesters passt geradezu perfekt, um das Anliegen dieses Albums zu unterstreichen. Es gibt hier Musiker, die armenische und französische Juden sind, also Personen, die zu diesem Thema einen direkten Bezug haben. Das armenisch-georgische Thema ist aktuell immer noch konfliktbeladen, ähnlich wie die Situation in Israel inmitten der Nachbarstaaten. Fast jeder hatte einen eigenen Bezug zum Thema. Jeder hätte eine eigene Geschichte dazu erzählen können. Alle haben sofort gespürt, dass dieses Projekt weit über die Töne hinaus geht. Die Musik ist ja auch eine Art Stellungnahme. Wie alle dies mitgetragen haben – so etwas habe ich so noch nie erlebt!

Sind Sie selbst schon in den Kaukasus Ländern unterwegs gewesen?

Vor 40 Jahren, als ich etwa 20 war, habe ich mir eine Landkarte gekauft. Einfach, weil diese Region meine Fantasie anregte. Kaukasus! Das ging ja schon mit Karl May los. Diese Region ist in vielfacher Hinsicht stark besetzt. Mein Onkel war in Kriegsgefangenschaft in Georgien, aber er hat begeistert davon erzählt, wie er mit vielen Menschen dort in freundschaftlichen Kontakt kam. Ich habe heute viele armenische Freunde, außerdem einen tiefen Bezug zur Duduk-Musik, dieser klagenden Mischung, die etwas wie Klarinette und wie Oboe klinkt. Es gibt eine starke Brücke in Richtung Türkei. Es ist ja derselbe Kulturraum. Was ja auch die Tragödie ausmacht…

Wirkt Musik hier wie eine gemeinsame Sprache?

Genau so. Auch in Israel prallen die Ideologien ja auch völlig brutal aufeinander. Israel ist laut Verfassung ein Land für alle Religionen. Bevor die zionistische Bewegung dieses Land bevölkert hat, lebten dort Araber und Juden zusammen und keiner wurde vertrieben. Dass es eine Vertreibung der Juden aus Israel gab, ist eine Lüge der Geschichte. Ich verweise hier immer auf das Buch von Shlomo Sand. Sein Fazit lautet: Wir müssen lernen, dass wir in Israel mit unseren Nachbarn, aber auch mit Menschen, die früher hier gelebt haben,zu koexistieren. Also auch mit den arabischen Menschen im Westjordanland. Es geht also darum, nicht zunehmend ein religiöses Land zu werden, in dem nur bekennende Juden leben dürfen oder Hegemonie beanspruchen. Heute zerreißt eine irrsinnige Spannung dieses Land. Shlomo Sand wird in Israel unter Personenschutz gestellt, weil er befürchten muss, dass ihn radikale Dogmatiker unter Beschuss nehmen.

Was für ein Fazit ziehen Sie jetzt, wo die Produktion fertig ist?

Es war ein großes Bedürfnis, eine CD zu machen, welche dieses große Thema aufgreift. Und ein großes Glück, ein Orchester als Partner zu haben, welches aus dieser Region kommt und zugleich heute in Deutschland ansässig ist, nachdem es durch die Öffnung der Mauer und Perestroika nach hierhin gekommen war. Das hat durchaus etwas mit der Philharmonia Hungarica gemein, die nach dem Ungarn-Aufstand nach Deutschland kam.

Ein schönes Stichwort – ich wohne in Marl, jene Stadt, in welcher die Philharmonia Hungarica heimisch wurde.

Ach wirklich!? Dann hätten Sie ja theoretisch zu mir ins Konzert kommen können im Jahr 1976. Da habe ich nämlich beim Marler Debüt gespielt! Ich habe dort das Hummel-Konzert musiziert. Es gab damals noch diesen Geruch von Exil bei diesem Orchester. Für mich und mein Leben war dieses Konzert ein ganz spannender Moment.

Die Konzertreihe findet nach wie vor statt und ist heute noch um einige Formate reicher geworden. So kommen auch junge Preisträger*innen vom ARD-Wettbewerb auf die Bühne. Vorletztes Jahr hatte wir Ihre Schülerin, die junge Trompeterin Selina Ott hier auf die Bühne.
Unglaublich – mich beeindruckt auch, mit welcher Kraft diese junge Frau aufspielt und damit mal eben das ganze immer noch vorhandene Gender-Ding in der Trompetenzunft mit einem Schlag aufhebt. Die Trompete ist ja bekanntlich noch eine der letzten Macho-Bastionen – durch Selina Ott und weitere andere tolle Musikerinnen, die ich ausgebildet habe, wird diese Bastion doch gerade geschleift.

Ich bedanke mich für dieses spannende Gespräch!

Titelfoto © Cyrus Allyar

Reinhold Friedrich – Das Album

Icon Autor lg
Musik und Schreiben sind immer schon ein Teil von mir gewesen. Cellospiel und eine gewisse Erfahrung in Jugendorchestern prägten – unter vielem anderen – meine Sozialisation. Auf die Dauer hat sich das Musik-Erleben quer durch alle Genres verselbständigt. Neugier treibt mich an – und der weite Horizont ist mir viel lieber als die engmaschige Spezialisierung, deswegen bin ich dem freien Journalismus verfallen. Mein Interessenspektrum: Interessante Menschen und ihre Geschichten „hinter“ der Musik. Kulturschaffende, die sich etwas trauen. Künstlerische Projekte, die über Tellerränder blicken. Labels, die sich für Repertoire-Neuentdeckungen stark machen. Mein Arbeitsideal: Dies alles fürs Publikum entdeckbar zu machen.
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