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Einfach Klassik.

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Meisterkurs und Meistergeiger: David Geringas und Hans Christian Aavik

Ein Gastbeitrag von Ekkehard Ochs

29 Jahre Usedomer Musikfestival – da verstetigen sich nicht nur thematische Konzepte als fixe Komponenten eines Ostseeraum-Musikkkomplexes (wechselnde Länderschwerpunkte), sondern auch Qualitätsstandards sowie einzelne etablierte Programmpositionen. Zu Letzteren zählt etwa das OSTSEE-MUSIKFORUM im idyllischen Schloss Stolpe auf Usedom. Hinter diesem Begriff verbirgt sich ein nunmehr langjährig stattfindender einwöchiger Meisterkurs für Cellisten*innen, der – unterstützt vom Kulturförderungsprogramm des NDR und dem Deutschen Tonkünstlerverband/Landesverband Mecklenburg-Vorpommern – seit vielen Jahren nicht nur Anziehungspunkt für junge, teils sogar sehr junge Instrumentalisten aus aller Welt ist, sondern sich mit seinem Eröffnungskonzert, vor allem aber dem alle Teilnehmer des Kurses präsentierenden Finale als ein Besuchermagnet ersten Ranges erweist. Geschuldet ist dies auch der Tätigkeit eines Kursleiters, der zu den Größen seines Instruments zählt: David Geringas.

David Geringas schult

Das Ganze erweist sich mittlerweile als „Familie“ von Dorf, Schloss-Förderverein, Teilnehmern und Publikum, was nicht unwesentlich zum besonderen Image dieser Veranstaltung beiträgt. So auch kürzlich, als der Cellomeister neun 14- bis 27jährige Schüler*innen aus Italien, Norwegen, Russland, China, Südkorea und Deutschland präsentierte. Zwölf Einzelprogramme gab es zu bestaunen, und das ganz unabhängig von den altersbedingt unterschiedlichen Ansprüchen und jeweiligen Leistungsvermögen, die in den meisten Fällen naturgemäß auch Luft nach oben erkennen lassen. Spannend waren dennoch die unterschiedlichen Charaktere! Und kaum zu überschätzen die schöne Möglichkeit, an nicht selten bestens bekannten Werken diverse Stadien von Spieltechnik, Musikalität und künstlerischer Gestaltungsfähigkeit zu beobachten. David Geringas und seine Schüler*innen hatten für alle und jeden etwas auf Lager: Einzelstücke, Sonaten- und Konzertsätze, eine Wanderung durch diverse Stile und Ausdruckswelten – inbegriffen geradezu genusssteigernde Erfahrungen betreffs so ganz individuell gemeisterter Interpretationshürden.

Meisterschüler*innen von David Geringas, Foto © Geert Maciejewski
Meisterschüler*innen von David Geringas, Foto © Geert Maciejewski

Da gab es eine kleine Uraufführung („Una parola“, Komponist und Solo Lorenzo Lomartire, Italien), einen rechten Stilmix zwischen Tradition und modern-unorthodoxer Spielpraxis vom Esten Erkki-Sven Tüür („Dedication“, Marie-Therese Vollmer), die 14jährige Eva-Solveig Knapkyte (Norwegen) mit einem schon recht empfindsamen Brahms (Sonate op. 38, 1.Satz) oder Schostakowitschs op. 40 (1. Satz) mit einer ebenfalls ermunternd beifallsstark aufgenommenen Interpretation durch die Russin Zoia Sudnis. Tief in die Kiste anspruchsvoller Gestaltungsmittel griff Lorenzo Lomartire mit Boris Arapos Sonate (1. Satz), mehr dann noch Jana Morgenstern mit dem 1. Satz des Cellokonzerts von Eduard Lalo. An diese wahrlich starke Leistung schlossen sich in enger Folge weitere an: Emmu Xing (China) mit beeindruckend gemeistertem Elgar-Konzert (1. Satz) , Jae Seung Lee (Deutschland) mit bravourösem Brahms (op. 90, 1. Satz), Asja Mosconi (Italien) mit einem brillanten Ottorino Respighi („Adagio con Variationi“) und – begeisternd und professionell – Dawoon Kim (Südkorea) mit Dvořák (Cellokonzert, 1. Satz). Kleiner Clou: alle neun gemeinsam mit Werken von Arvo Pärt („Al pace domino“) und Glenn Miller („moonlight“). Fazit: gut zwei Stunden höchst engagierten, aufschluss- und erlebnisreichen Musizierens und viel Freude an häufigen gestalterischen Höhenflügen. Und nicht zu vergessen: Großer Dank gebührte vor allem der Pianistin Tamami Toda-Schwarz, die in einem pianistischen Marathon sowohl die Kurswoche als auch das Finalkonzert entscheidend prägte.

Großes Nachwuchstalent

Zu den Konstanten des Usedomer Musikfestivals zählt weiterhin die Verleihung eines Musikpreises. Seit 2010 ist es die Oscar und Vera Ritter-Stiftung, die diesen Preis jährlich an Nachwuchsensembles und -künstler vergibt, die sich durch herausragende Leistungen schon einen Namen gemacht haben und in Deutschland studieren. Der Glückspilz dieses Jahres heißt Hans Christian Aavik, kommt aus Estland und geriet schon vor einiger Zeit in den Fokus des Festival-Dramaturgen Dr. Jan Brachmann. Seine Einschätzung: „Er gehört gegenwärtig zu den größten  Nachwuchstalenten unter den Geigern Europas. Er beherrscht sein Instrument“ – übrigens eine Maggini-Geige von ca. 1610 und Leihgabe der Estnischen Stiftung für Musikinstrumente  (E.O.) – „technisch auf höchstem Niveau und versteht es zugleich, diese Technik in Sprache zu verwandeln.“ Wie wahr! Am 28. September konnte das bei einem Konzert samt festlicher Preisverleihung im Saal der Touristeninformation des Seebades Karlshagen auf Usedom glänzend bewiesen werden.

Hans Christian und Karolina Aavik, Foto © Geert Maciejewski
Hans Christian und Karolina Aavik, Foto © Geert Maciejewski

Der junge, bereits international wettbewerbserfahrene und vielfach preisgekrönte Mann (Jahrgang 1998) und seine nicht minder geehrte Ehefrau Karolina Aavik am Flügel präsentierten ein Programm, das pure Begeisterung auszulösen vermochte. Dies übrigens mit wohl weitestgehend unbekannten Werken. Im ersten Konzertteil dominierten Heino Eller („Kiefern“, 1929), Eduard Tubin („Estnische Tanzsuite“, 1943/1952, „Capriccio Nr. 2“, 1945) sowie Eduard Oja („Aelitas Suite“, 1938) und damit wichtige Vertreter einer stolzen estnischen Komponistengarde.

Ein zweiter Teil war dann mit Werken von Richard Strauss eine geradezu ideale „Spielwiese“ – das kann man, ernst gemeint, wörtlich nehmen – für ein geigerisches Talent von so außerordentlicher Begabung. Egal, ob estnische Meister mit attraktiv konzertant und überaus musikantisch heimisches Volksgut verarbeitenden Kompositionen oder ein Richard Strauss mit kurzem E-Dur-Allegretto, zwei Liedbearbeitungen (Wiegenlied, Morgen) und der alle Fesseln expressiven Spiels geradezu expressionistisch wollüstig sprengenden Violinsonate op. 18 – Aavik bestach mit phänomenaler Technik, tonlicher Strahlkraft und verblüffend variabler Klanggebung: vom hinreißenden Musiziergestus und beeindruckend prägnanter Gestaltung, die seine ebenso virtuos wie ausdrucksintensiv agierende Partnerin in gleicher Weise auszeichnete, ganz zu schweigen. Die genannte Sonate, ein Jugendwerk, durfte dabei durchaus als Entdeckung gelten. Wer sie beherrscht, hat Maßstäbe gesetzt. Hans Christian Aavik schaffte das mühelos. Ein starker Abend!

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