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Einfach Klassik.

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Mit Geschick und Überredungskraft – André de Ridder im Interview

Der deutsche Dirigent André de Ridder hat mit den profiliertesten Orchestern der Welt gearbeitet, und in den größten Konzertsälen musiziert. Das Chicago Symphony Orchestra, das New York Philharmonic Orchestra oder das Royal Concertgebouw Orchestra sind da nur die Spitze. Wenn er dann aber auch ein ganz neues Ensemble – stargaze aus jungen Musikern gründet, mit interessanten Projekten überraschende Brücken zum Pop schlägt, und das ganze frei weiter laufen lässt, und wenn er dann auch noch so ein angenehmer, zurückhaltender Gesprächspartner ist, dann ist es ein ganz besonderer Moment ihn zu treffen. Und das war das Interview, das ich mit André de Ridder führen konnte zweifellos. Wir sprachen natürlich über die Krise, aber vor allem über spannende Zusammenarbeit und starke Persönlichkeiten.

André de Ridder
Andre de Ridder, Foto: Marco Borggreve
 
Herr de Ridder, in der aktuellen Krise haben ja die meisten Musiker noch ihr Instrument, das sie zu Hause weiter üben können. Sie haben als Dirigent Ihr Instrument ja sozusagen verloren. Wie geht es Ihnen damit? Und wie arbeiten Sie jetzt weiter?

Die meisten Dirigenten haben ja trotzdem noch ein Instrument, das sie spielen. Bei mir wäre es die Geige und auch ein bisschen Klavier. Ich bin kein großartiger Pianist, aber für mich ist es gerade jetzt ganz schön, wieder ein bisschen Zeit zu haben dafür, und mich ans Klavier zu setzen. Ich beschäftige mich gerade mit Klavierstücken von Janáček, die mit zu meinen Lieblingsstücken gehören. Zum Beispiel „On an overgrown path“, ich glaube der Deutsche Titel ist „Auf Gras verwachsenem Pfade“, steht sehr gut für diese herrlichen, fast ein bisschen mikrokosmosartigen Stücke von Janáček. Tatsächlich ist daraus auch ein Projekt entstanden, mit dem ich mich die letzten Wochen beschäftigt habe. Dabei geht es auch darum, die Stücke zu orchestrieren. Ich habe das dem Lappland Chamber Orchestra vorgeschlagen, das ist John Storgårds Orchester aus Finnland. Die haben eine sehr eigenwillige, eigenartige Besetzung, als kleine Streicherbesetzung, von jedem Holzblasinstrument eins und ein Horn. Wir haben gemeinsam über Programmierung gesprochen und haben uns geeinigt, das zu machen. Hoffentlich klappt es, dass wir im September wieder konzertieren dürfen. Insofern ist es so, dass ich mir bei dieser Arbeit mein Instrument, das Orchester vorstellen muss. Bei so einer Orchestrierungsaufgabe muss man auf das innere Gehör achten können, um so die einzelnen Stimmen aufeinander aufzubauen. Dies im eigenen Kopf herzustellen war eines meiner Projekte, an denen ich gearbeitet habe.

In dieser Zeit sind ja auch leider einige verheißungsvolle Konzerte für Sie ausgefallen. Sind die alle aufgehoben?

Ja, zum Beispiel mit dem Chicago Symphony Orchestra, oder dem Orchestre de Paris, auf die ich mich besonders gefreut habe. Mir sind Ersatzdaten angeboten worden, aber die sind jetzt erst einmal weit weg, da die Planung relativ weit im Voraus läuft, immerhin sprechen wir jetzt über Januar 2022. Aber es ist nun mal so, dass im Klassikbereich die Kalender so weit im Voraus verplant sind, dass Umplanen gerade jetzt schwierig ist. Viele Projekte, viele Konzertprogramme mit den entsprechenden Solisten, Dirigenten und Orchestern suchen nach Ersatzterminen. Insofern ist der Programmkalender für uns alle nochmal ein bisschen enger geworden, für die nächsten Jahre.

Was bedeutet die aktuelle Situation für ihr Ensemble stargaze und für das Beethoven-Jahr überhaupt?

Also es ist so, dass wir zunächst auch erst mal gegrounded waren. Wir sind gerade Anfang März aus Neuseeland und Australien zurückgekommen, haben dort beim Perth Festival und dem New Zealand Festival ein tolles Tanzprojekt mit Teac Damsa und Michael Keegan-Dolan zusammen gemacht. Das ging gerade noch über die Bühne, und dann sind zum Glück alle noch gesund nach Hause geflogen. Alles danach wurde erst einmal abgesagt, und wir benutzen die Zeit jetzt auch, um mal an unserem Online-Archiv, wo sich wahnsinnig viel angesammelt hat, zu arbeiten, und eine neue Website zu entwickeln. Wir machen auch ein Projekt, wo jeder unserer Musiker selbst ein Musikvideo zu einer unserer bestehenden Aufnahmen entwickelt, und selbst dreht. Wir hatten viele Termine bei Festivals im August, und die meisten sind schon abgesagt worden. Noch ist nicht klar, ob bei einigen die Möglichkeit besteht, dass wir im Saal spielen oder an einem anderen Ort, und das dann filmen und streamen. Da sind wir im Moment dran. Da ist natürlich viel zu tun, aber es ändern sich wöchentlich die Voraussagen und möglichen Regelungen. Diesen speziellen Beethovens-Zyklus hatten wir schon zwei Jahre vor der Krise geplant, als reduzierte Kammerversionen der Beethoven-Symphonien, die re-imaginiert und auch re-komponiert wurden. Und als ich am 1. Mai das Konzert der Berliner Philharmoniker sah, war das ganz ermutigend. Sie haben die vierte Symphonie von Mahler in der Kammerfassung gespielt. Da waren 13, 14 Musiker auf der Bühne gut verteilt, und das war möglich. Man hat sich zu Proben getroffen und das Konzert live gespielt, vor keinem Publikum, aber weltweit, sodass ich gedacht habe, wir könnten eigentlich unseren ganzen Beethoven-Zyklus so aufführen. Und vielleicht sogar verschiedenen Festivals eine Art Partnerschaft vorschlagen.

Sie haben das Ensemble stargaze gegründet, und spielen interessante klassische Projekte, und auch Verbindungen zur Popmusik. Wie haben Sie die Gruppe ursprünglich zusammengestellt? Was waren die Kriterien?

Gute Frage. Die erste Idee war gar nicht unbedingt ein festes Ensemble zu haben, sondern es war eher wie ein Kollektiv aus Ideen, Leuten und Kuratoren, die sich Projekte ausdenken wollten. Wir wollten flexibel sein in der Ausführung und entsprechend das Ensemble immer speziell für das Projekt zusammenzustellen. Je nachdem, was man braucht, oder wie sich das Projekt entwickelt hat. Wir haben auch mit anderen Ensembles, zum Beispiel mit dem Berliner Solistenensemble Kaleidoskop zusammengearbeitet, und haben dann unser erstes Festival an der Volksbühne Berlin organisiert, bei dem wir verschiedene Berliner Gruppen eingeladen haben, an einem speziellen Programm eine Woche lang zu arbeiten, und so verschiedene Gruppen zusammenzubringen. Aber über die ersten Jahre haben sich dann doch die richtigen Musiker gefunden, die auf einer gleichen Wellenlänge operiert haben. Daraus hat sich ein harter Kern entwickelt, und war dann irgendwann nicht mehr wegzudenken. Insofern gibt es jetzt doch eine relativ feste Kernbesetzung und einen Pool aus Musikern drum herum, die immer wieder dazu stießen. Eigentlich ein ganz schönes Prinzip. Es gab niemals Vorspiele, sondern es hat sich eigentlich immer schnell gezeigt, wenn jemand zu uns gekommen ist, ob es der Person passt, und ob sie sich so wohlgefühlt hat. Wir arbeiten auch relativ demokratisch und spielen viel ohne Noten. Es gibt eine Mischung aus notiert und improvisiert, wobei wir sehr spontan auf andere Musiker reagieren, auf sie eingehen. Das ist aber auch nicht jedermanns, jederfraus Sache. Insofern hat sich das Ensemble selbst in diese Richtung entwickelt.

André de Ridder
stargaze Ensemble, Foto: Maarit Kytöharju
 
Das Konzert-Projekt, an dem Sie jetzt noch weiterhin festhalten, ist „Not another Beethoven-Cycle“, in dem Sie alle Beethoven Sinfonien in gekürzter Form an einem Abend spielen. Da werden die Beethoven-Hardliner vielleicht aufschreien, Symphonien kürzen? Wie kommen Sie damit durch, erklären Sie es uns bitte.

Ursprünglich war geplant, dass wir einfach wirklich jede Symphonie machen. Aber jede mit einem anderen Künstler, der nicht unbedingt Musiker sein musste oder Komponist, das konnte auch ein bildender Künstler sein oder ein Choreograph. Es war ein ganz modulares Projekt, mit dem wir an bestimmten Orten, an denen es vielleicht nicht möglich ist, drei Tage lang zu spielen, eine Version anbieten wollten, bei der wir eigentlich wie ein live gespieltes Hörspiel die Geschichte der Beethoven-Symphonien erzählen, aber aus einen Standpunkt von Künstlern aus dem 21. Jahrhundert. Da würde ja auch niemand aufschreien, wenn ich im Beethoven-Jahr ein Hörspiel über die Beethoven Symphonien mache. Das heißt aber nicht, dass ich alle Symphonien in Gänze dort sende, sondern Beispiele gebe, aus Sätzen und dann vielleicht von der Ersten zur Neunten weiterentwickle. Das war unsere Idee. Mit Künstlern, die vielleicht sonst gar nicht mit einer Beethoven-Symphonie in Berührung gekommen wären oder sogar noch nie eine live im Konzert gehört haben. Diese wollten wir bitten, sich damit auseinander zu setzen und ein Konzept dafür zu entwickeln. Sei es nun ein Szenisches, ein Lichtkonzept oder eine Choreografie. Daraus ist es eigentlich entstanden. Ich glaube, das ist ein Projekt, das uns noch über das Beethoven-Jahr hinaus beschäftigen wird. Wir müssen alle mit dieser Situation leben, und das heißt nicht, dass wir nach dem Ende des Beethoven-Jahres dieses Projekt nicht mehr machen können. Gar nicht. stargaze ist nicht unbedingt eine Gruppe, von der man gedacht hätte, dass wir Beethoven spielen, weil wir hauptsächlich neue, zeitgenössische Projekte machen. Die meisten sind ja Kooperationen mit Musikern aus dem Elektronik-Bereich. Dass wir uns jetzt diesem klassischen Repertoire widmen, war vielleicht unvorhersehbar. Wir haben aber, als wir damit angefangen haben gemerkt, was für eine unheimliche Bereicherung das für uns war. Auch für mich war das eine Wiederentdeckung, eine Möglichkeit, wahnsinnig flexibel zu sein, auch in der Interpretation, was vielleicht mit einem Orchester nicht so ohne weiteres möglich gewesen wäre. Und ich denke, dass die Beschäftigung mit Beethoven über 2020 hinaus immer weitergeht.

Also ist die Entscheidung für stargaze, als das Ensemble für dieses Projekt, die Entscheidung dafür über Grenzen hinauszugehen, und neue Dinge zu erforschen?

Genau, sozusagen kam die Idee aus dem Ensemble heraus. Es gibt vergleichbare Projekte, wo wir Klassiker der Moderne, oder der Minimal Music gespielt haben. Zum Beispiel „In C“ haben wir sieben bis zehn Mal gemacht, und jedes Mal auch wieder mit einem anderen Künstler, der den Lead übernommen hat. Und es waren immer so unglaublich verschiedene Versionen. Das ist eine ganz spannende Geschichte. Wir wurden auch immer besser, lernten dieses Stück immer besser kennen, so dass wir jederzeit auftauchen, und das ganze Stück auswendig spielen könnten. Und mit dem Beethoven ist das auch schon so, dass wir teilweise die Musik auswendig lernen. Wir haben zum Beispiel angefangen im Barbican (Centre) in London mit Beethovens 9., und ein Satz-Projekt daraus nannten wir „Apart“. Das war schon wie eine Vorausnahme der Corona-Situation, wo alle Musiker ihren Part separat irgendwo im Raum, um das Barbican verteilt gespielt haben, unabhängig voneinander, aber zur gleichen Zeit, und sich dann erst langsam im Foyer des Barbican eingefunden haben. Alle haben sozusagen das Stück social distanced aufgeführt bis wir uns zusammengefunden haben und das Stück zusammen beendeten. Das war Anfang Februar. Da konnte man nicht wissen, dass wir jetzt in der Situation sind, wo das eine adäquate Version der Symphonie wäre. Wir wollten das ja beim Lucerne-Festival Ende August spielen, was jetzt leider abgesagt worden ist. Aber wir arbeiten mit Hochdruck daran, wie das zu adaptieren ist, sodass wir doch eine Version dort zustande bekommen. Zumal ja unsere Version größtenteils Open-Air stattfinden wird. Also wie eine Popup Symphonie im Stadtraum.

Wer kümmert sich da um das umarrangieren der Musik? Machen Sie das selbst?

Das ist eine Mischung. Wir bearbeiten die Arrangements untereinander, und manchmal ich allein. Außerdem gibt es auch zwei, drei Komponisten, ganz interessante Leute und Stimmen, die uns helfen. Manchmal arbeiten wir mit befreundeten Komponisten zusammen, die wir dann beauftragen, ein Stück für uns zu schreiben, zu arrangieren oder zu adaptieren. Also eine Art Composed Version herzustellen. In diesem Beethoven-Fall war das zum Beispiel Matthew Herbert bei der Neunten. Das sind Leute, mit denen wir schon oft zusammengearbeitet haben. Die kennen uns gut, und wissen, wie frei sie mit uns umgehen können. Das inspiriert sie meistens auch, Dinge zu tun, die sie sich vielleicht sonst nicht so trauen würden.

Ich beschäftige mich mit klassischer Musik unter anderem deshalb, weil ich als Toningenieur sehr lange mit Popmusik umgegangen bin. Schlagen Sie in Ihrer Arbeit gern Die Brücke zum Pop, oder zu Neuer Musik, weil Sie in der Klassikwelt schon alles gesehen haben?

Na ja, ich bin so ein bisschen mit beidem aufgewachsen. Lustigerweise war mein erster Studiengang bis zum Vordiplom auch Tonmeister. Mich haben schon immer die Möglichkeiten der Produktion im klanglichen, technischen Sinne interessiert. Die Mittel der Tonproduktion hat man in Pop und Jazz viel früher genutzt. Da ist man schon früh viel, viel weitergegangen. In der Klassik herrscht eher ein puristisches Prinzip, das zunächst einmal möglichst werkgetreu, aber auch klanggetreu umgesetzt werden sollte. Und was ich spannend finde, ist, wenn man bestimmte Produktionstechniken aus dem Pop übertragen würde auf klassische Aufnahmen, und damit arbeitet, mit der Möglichkeit, in bestimmten Instrumenten rein zu zoomen und verschiedene Raumeindrücke nebeneinander zu stellen. Es gibt ein paar Beispiele von Leuten, die das gemacht haben, mit ganz interessanten Ergebnissen. Ich bin ja kein Popmusiker, aber ich arbeite manchmal mit Leuten zusammen, die in dem Bereich unterwegs sind, und die mir unglaublich interessante Perspektiven eröffnen, wie man mit bestimmten Dingen umgehen kann, und was es für Ideen gibt. Das ist einfach eine Erweiterung des Konzepthorizonts, der mir auch oft in der Interpretation von klassischer Musik weiterhilft, dass ich offen bleibe und versuche, mal außerhalb der Box zu denken.

Sie haben sehr viel Erfahrung in der Klassik gesammelt, mit den besten Orchestern in den größten Sälen. Ist es aber das, was Sie suchen bei neuen Projekten? Andere Herausforderungen? Neue Bereiche zu erschließen?

Ja, beides. Ich finde, es hat sich bei mir so ergeben, und es gibt einfach sehr, sehr viele Möglichkeiten, die noch nicht in allen Bereichen genutzt werden. Das finde ich spannend. Andererseits finde ich immer wieder, dass zum Beispiel gar nicht von genügend Leuten anerkannt wird, was für ein wahnsinns Prinzip das ist, in großen und akustisch gut gebauten Sälen zu sein, wenn ein Orchester live spielt, und zwar unverstärkt. Ich bin eigentlich ein Freund davon, nicht unbedingt zu versuchen, mit einem Symphonieorchester an solche Stellen wie Clubs zu gehen, wo es von alleine nicht so gut klingt, oder wo man verstärken muss, sondern eben auch ein breiteres Publikum in die Konzertsäle zu bringen. Und um diese Erfahrung des physisch erzeugten Klanges zu teilen. Das finde ich ein Prinzip, das für die klassische Musik und für Orchester die ideale Situation ist, und für das man sich nicht schämen muss. Ich habe das so erlebt, dass, wenn ich es geschafft habe, Leute in den Konzertsaal zu bringen, die vorher noch nie live Orchester gehört haben, dass die unglaublich geflasht herauskamen. Dass es als Einstieg einen unglaublichen Eindruck gemacht hat, und auch dazu führen würde, dass die Leute wieder dahin kommen würden.
Und das ist oft ganz unabhängig vom Repertoire. Egal, ob Beethoven, Mahler oder Strawinsky gespielt wird. Es gibt eine große Unvoreingenommenheit im Publikum. Entgegen dem, was man immer so sagt. Vielleicht gibt es eine gewisse Schwellenangst, da bin ich mir nicht ganz sicher. Vielleicht gibt es nicht genug Informationen, nicht genug Wege für das Publikum, auch in den Konzertsaal zu kommen, zu klassischen Orchestern. Aber ich finde das sehr, sehr spannnd, darüber nachzudenken, wie uns das gelingen kann.

Gerade bei der Arbeit mit dem Orchester hört man öfter, dass Orchester oftmals nur einen Teil der Vorstellung des Dirigenten in der Interpretation umsetzen können. Ist das bei Ihnen auch so? Und wenn ja, wie gehen Sie damit um?

Es kommt auf die Situation an, jeder von uns Dirigenten ist schon mal in der Situation gewesen, dass das Orchester vielleicht nicht der Interpretation hundertprozentig folgen wollte, oder keine Lust hatte, oder sie auch nicht verstanden hat. Das passiert allen. Aber grundsätzlich sind die meisten Orchester heutzutage so hoch versiert und auch aufmerksam, dass sie, wenn sie wollen, auch wirklich jede Nuance dessen, was ein Dirigent rüberbringen möchte hörbar machen können. Und manchmal ist es eher umgekehrt so, dass einem Dirigent oder einer Dirigentin ein Fehler unterläuft, das Orchester das aber ausmerzen kann und trotzdem gut spielt oder besser klingt, als vielleicht die Leistung des Dirigenten oder der Dirigentin in dem Moment reflektieren würde. Aber grundsätzlich habe ich den Eindruck, dass die meisten Orchester versuchen, das hundertprozentig umzusetzen, was der Dirigent vorgibt.
Und wenn es mal nicht meinem Idealbild, oder Klangbild entspricht, dann muss ich auch selber in den Spiegel schauen und gucken, was ich vielleicht hätte besser machen können, oder wie es mir hätte besser gelingen können, es dem Orchester zu ermöglichen, ein bestimmtes Klangbild zu bekommen.

Das ist ja auch interessant in Bezug auf die die Zusammenarbeit. Sie haben bereits über stargaze gesagt, dass das ein sehr demokratisches, gleichberechtigtes Arbeiten ist. Aber auch bei der Arbeit mit Symphonieorchestern leben wir jetzt gerade in den letzten Ausläufern dieses Übergangs von den großen, starken Persönlichkeiten hin zu zeitgemäßeren, modernen Arbeitsweisen. Ist Ihnen diese Bewegung in die Jetzt-Zeit und Zukunft auch so wichtig?

Ich glaube, dass wir immer starke Persönlichkeiten sein müssen, die vorne und vor dem Orchester stehen. Aber das, was es heißt stark zu sein, hat sich sehr verändert in den letzten 20, 30 Jahren. Das ist auch gut so. Und bei Orchestern wie bei Mitmenschen wird dieses Autoritäre, Tyrannische einfach nicht mehr akzeptiert. Vielmehr muss man mit den Mitmusikern kollegialer, psychologisch geschickter umgehen, und eben auch positiv arbeitend. Aber nichtsdestotrotz mit starker Überzeugung. Man kann, jedenfalls zu einem großen Teil der Arbeit, nicht wirklich loslassen oder laissez faire gehen lassen. Man muss schon mit Überzeugung kommen, auch mit Stärke des Ausdrucks und der Aussagekraft. Aber die Arbeit, wie man das rüberbringt, und auf das Orchester überträgt, das ist eine Frage, die man mit großem Geschick und mit Überredungskraft angehen muss. Das Idealbild ist natürliche Autorität. Aber ich als Person muss anders sein vor dem Orchester, als wenn ich im Gespräch mit dem einzelnen Musiker bin. Ganz klar. Ich kann nicht jemand sein wollen, der ich eigentlich gar nicht bin. Das ist vielleicht manchmal das Problem, dass es Persönlichkeiten gibt, die dann versuchen, eine Autorität aufzusetzen und herauszustellen, weil sie glauben, dass es nur so geht. Die aber nicht wirklich der Person entspricht. Wenn es da so eine Diskrepanz gibt zwischen diesen Persönlichkeiten, dann spürt ein Orchester das sehr, sehr schnell. Man nimmt es der Person nicht ab, und das ist dann das Problem.

Herr de Ridder, vielen Dank für dieses Gespräch!
Icon Autor lg
Stefan Pillhofer ist gelernter Toningenieur und hat viel Zeit seines Lebens in Tonstudios verbracht. Er hat viel Hörerfahrung mit klassischer und Neuer Musik gesammelt und liebt es genau hinzuhören. In den letzten Jahren hat sich die Neue und zeitgenössische Musik zu einem seiner Schwerpunkte entwickelt und er ist stets auf der Suche nach neuen Komponist*innen und Werken. Stefan betreibt das Online-Magazin Orchestergraben, in dem er in gemischten Themen über klassische Musik schreibt. Darüberhinaus ist er auch als Konzertrezensent für Bachtrack tätig.
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