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Einfach Klassik.

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Image by NMC/Alison Fair

Neues Oratorium – Von Kindern für Kinder

Jonathan Dove – A brief history of creation

„Klar, mein Vierjähriger hört natürlich Neue Musik!“, höre ich mich zu meinen klassikinteressierten, Neue Musik-liebenden Bekannten sagen. Nicht wirklich, nur in meiner Vorstellung. Aber zur Verwirklichung fehlen in der Tat nur die Neue Musik-liebenden Bekannten. Dem Lütten habe ich nämlich das hier beschriebene, neue Oratorium für Kinder auf sein programmierbares Holzradio geschmuggelt. Hinterrücks. Und jetzt dudelt das manchmal leise aus dem Kinderzimmer, und ich lache mich ins Fäustchen. Nicht wegen meiner Idee, sondern weil er es wirklich gern hört. Kunststück, Kinder hören nunmal gerne Kinderstimmen. Das ist jedoch nicht der alleinige Grund. Aber sehen wir erstmal nach worum es sich hier handelt.

Das Hallé Orchestra ist das bekannte Sinfonieorchester aus Manchester. Der angeschlossene Hallé Children’s Choir ist für seine hohe musikalische Qualität weithin bekannt. Hinter beiden steht organisatorisch die Hallé Concerts Society, die für das Jahr 2016 beim englischen Komponisten Jonathan Dove ein großes Chorwerk für Kinderchor, Kinderstimmen und Orchester kommissionierte. Heraus kam „A Brief History of Creation“, das im Herbst 2016 von den oben genannten Ensembles uraufgeführt wurde. Das knapp 50 Minuten lange Werk fliegt durch 14 Millionen Jahre Entwicklungsgeschichte der Erde. Aufgeteilt in 13 chronologisch folgende Teile, von unter anderem „Stars“ über „Ocean“, „Trees“, „Birds“, „Elephants“ zu „Man“. All das ist durchaus anspruchsvoll zu singen und zu spielen. Gerade bei den Kinderstimmen hört man schnell, dass hier ein hohes Ausbildungsniveau vorliegt. Und trotzdem gelingen Dove viele sehr einprägsame Themen und Melodien. Und da wären wir schon bei einem weiteren Grund, warum der Lütte das so gern mag, aber auch ich erwische mich ein ums andere mal beim Mitsingen.

Bäume und Elefanten

Das mit dem Mitsingen geht von Anfang an so. Nachdem ein kräftiger Orchesterakkord des Werk gestartet hat beginnen ungefähr in der Mitte von „Stars“ die Violinen das Hauptthema dieses Stücks, das dann von den Flöten übernommen wird. Dann wird es stiller, und die hohen Stimmen des Kinderchors beginnen ihre Geschichte zu erzählen. In „Earth“ entwickelt Dove dann eine Melodieharmonik, die oft durch Ganztonskalen geht, und die eigentlich direkt überleitet in die eindringlichen Melodiethemen von „Rain“. Hier wird der Regen mal nicht als etwas befreiendes dargestellt, sondern er wirkt eher bedrohlich, auch durch die schlagwerklastigen Zwischenspiele des Orchesters. Als logische Folge landet man dann in den luftiger wirkenden Weiten des Ozeans bei „Oceans“, wo der Komponist mit der Filmmusik entlehnten Streichertechniken viel Raum erzeugt. Im Ozean trifft man dann auf den „Shark“, der bei weitem nicht so bedrohlich angelegt wurde wie er hätte sein können. Muss ja auch nicht sein, wenn von ca. 500 existierenden Haiarten nur sieben überhaupt gefährlich für den Menschen werden. 

Am Ende von „Trees“ finden sich dann alle Musiker wieder zusammen für ein wichtiges, einprägsames Thema, das durch die Kinderstimmen bestimmt wird, aber auch direkt überleitet in die etwas düsterere Welt der „Dinosaurs“. Hier lockert sich die Stimmung dann aber wieder, die Dinos werden durch Bläserkaskaden sehr tapsig dargestellt. „We‘re dinosaurs, and we are dead. We‘re dinosaurs, we are extinct!“. Sofort nach dieser Erkenntnis erheben sich in „Birds“ die Vogelschwärme mit agilen, unruhigen Ostinati der Flöten. Bevor die hohen Kinderstimmen wieder die einprägsamen Erkennungsmelodien der Vögel setzen. 

In „Elephants“ erreicht Jonathan Doves bildmalerischer Kompositionsstil dann seinen Höhepunkt. Tiefe Bläser und Trommeln deuten sowohl den afrikanischen Lebensraum der Elefanten, als auch die trägen Bewegungen der Tiere durch ein mäßig schreitendes Metrum an. Durch hohe, einstimmige Tonlage und den Aufenthalt im meist pentatonischen Tonraum werden afrikanische Gesänge angedeutet. 

Schliesslich findet das Werk zum Ende hin über die “Monkeys” zu “Man”, und erreicht so unsere Gegenwart. 

Der Zuhörer findet hier vieles. Die gesamte Besetzung, das übergeordnete Thema, das im Erleben seines Verlaufs durchaus das Interesse an Wissenschaft wecken kann. Und eine balancierte Mischung aus bekannten Klängen eines großen Chorwerkes und Neuer Musik. Das funktioniert hervorragend sowohl als große Abendunterhaltung, als auch knapp über dem Fussboden unseres Kinderzimmers.

Trackliste:

1. Stars

2. Earth

3. Rain

4. Ocean

5. Shark

6. Out of the Ocean

7. Trees

8. Dinosaurs

9. Birds

10. Whales Return to the Sea

11. Elephants

12. Monkeys

13. Man

Podcast Interview mit Jonathan Dove

Icon Autor lg
Stefan Pillhofer ist gelernter Toningenieur und hat viel Zeit seines Lebens in Tonstudios verbracht. Er hat viel Hörerfahrung mit klassischer und Neuer Musik gesammelt und liebt es genau hinzuhören. In den letzten Jahren hat sich die Neue und zeitgenössische Musik zu einem seiner Schwerpunkte entwickelt und er ist stets auf der Suche nach neuen Komponist*innen und Werken. Stefan betreibt das Online-Magazin Orchestergraben, in dem er in gemischten Themen über klassische Musik schreibt. Darüberhinaus ist er auch als Konzertrezensent für Bachtrack tätig.
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