Einfach Klassik.

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Philharmonisches Orchester Vorpommern: Beethoven-Abend

Ein Beitrag von Ekkehard Ochs

Wien, 22. Dezember 1808: Beethoven dirigiert im Theater an der Wien eine denkwürdige „Akademie“ mit ausschließlich eigenen Werken. Sie enthält die Sinfonien Nr. 5 und 6 – damals noch in umgekehrter Reihenfolge numeriert –  die Konzertarie „Ah perfido“, das G-Dur-Klavierkonzert, eigene Klavierimprovisationen, Teile aus der C-Dur-Messe und die Chorfantasie. Das Konzert ist mit viel zu wenig Proben ungenügend vorbereitet und schlecht besucht, das Orchester (mit vielen Aushilfen) überfordert und der Saal eiskalt. Veranstaltungsdauer: vier Stunden! Ein sehr prominenter Besucher, der Komponist, Kapellmeister und Musikschriftsteller Johann Friedrich Reichardt, vermerkt: „Da haben wir denn auch in der bittersten Kälte von halb sieben bis halb elf  ausgehalten und die  Erfahrung bewährt gefunden, daß man auch des Guten – und mehr noch, des Starken – leicht zu viel haben kann.“  Zur „Pastorale“ vermerkt er positiv eine Menge „voll lebhafter Malereien und glänzender Gedanken und Figuren“ kann sich aber mit der Länge des Werkes nicht anfreunden. Zur „Fünften“ ist nur zu lesen: „eine große, sehr ausgeführte, zu lange Symphonie“. Da war wohl eine gewisse Überforderung im Spiel. Goethe fand Beethovens Talent erstaunlich, als Persönlichkeit aber  „ganz ungebändigt“ /1812). Und Karl Friedrich Zelter bewunderte ihn „mit Schrecken“ (1812).  

Die öffentlichen Sichtweisen änderten sich dann schnell, nicht zuletzt nach E. T.  A. Hoffmanns begeisterter und nachhaltig wirkender Analyse der „Fünften“ in der Allgemeinen Musikalischen Zeitung (Leipzig) von 1809/1810, in der er die  Instrumentalmusik, vor allem die Beethovens, als reinsten Ausdruck des „Romantischen“ bezeichnete; weil sie sich – von jedem schon eine Richtung weisenden Wort unabhängig – dem Unaussprechlichen hingibt… 

Philharmonisches Orchester Vorpommern gut vorbereitet

Nun ja. Bleiben wir bei unserer Gegenwart und der gegebenen Möglichkeit, kürzlich in Greifswald und Stralsund bei frühlingshaftem Wetter ein wohltemperiertes Theater betreten zu können, zu wissen, dass das Philharmonische Orchester Vorpommern sein 7. Philharmonisches Konzert mit (nur!) den beiden Beethoven-Sinfonien Nr. 5 und 6 ausreichend geprobt haben dürften und man sicher sein konnte, dass bereits nach knapp zwei Stunden – eine aureichend cateringgesicherte und verbal austauschintensive Pause eingeschlossen –  mit dem definitiven Abschlussakkord eines Abends ohne jeden Schrecken zu rechnen war. 

Über unzumutbare Längen dürfte wohl kein Besucher – wir reden vom Stralsunder Abend des 17. April – nachgedacht haben. Aber wenn ein Veranstalter diese beiden Beethoven-Sinfonien (in der historischen Uraufführungs-Reihenfolge von erst 6., dann 5. Sinfonie) anbietet, dann darf nicht ohne Berechtigung an notwendiges Nachdenken erinnert werden. Mit einem wieder fachlich ausgezeichneten Programmheft (Dramaturgin Katja Pfeifer) wird schon dezidiert darauf verwiesen, dass es sich bei beiden Werken nicht mal eben um „normale“ Sinfonien handelt. Ihr Stellenwert ist jeweils ein besonderer, und das sowohl gattungsgeschichtlich wie musikästhetisch. Beim Hinhören sollte das (hier nicht zu erörternde) Wissen darum eine Rolle spielen. Schon, um zu vermeiden, dass diese Musik lediglich auf  klanglich nur „Schönes“, „Harmonisches“ reduziert wird. Über das „Mehr Ausdruck der Empfindung als Malerey“  (Beethoven zur „Sechsten“) ist da ebenso zu verweisen wie auf die Haltung von Komponist und Werk zu den historischen Vorgängen um die Entstehungsjahre der 5. Sinfonie (Französische Revolution, Napoleon) und ihres Niederschlags in einer präzisierten Durch-Nacht-zum-Licht-Konzeption der sinfonischen Form (Finalsinfonie). Das „Schicksals-Klopfen“ ist wohl eher ein Einfall des Beethoven-Biographen Anton Schindler; und kein wirklich überzeugender! 

Bleibt die spannende Frage, wie man sich interpretatorisch solcherart „vorbelasteten“ Werken nähert. Eine Hypothek ist es allemal. Man tut aber gut daran, belastbaren eigenen Vorstellungen zu folgen. Und die gab es in Stralsund zunächst erkennbar in und mit der 6. Sinfonie („Pastorale“). GMD Florian Csizmadia hatte keine Mühe, mit dem Philharmonischen Orchester Vorpommern einen überzeugenden Bogen von den intendierten „heiteren Empfindungn“ über beruhigend Natürliches, bäuerlich Handfestes und retardierend Naturgewaltiges zu größtem inneren wie äußeren Frieden zu finden. Dies mit steter Beweglichkeit einhergehender Ruhe in den Abläufen, dynamisch pulsierend, ja – etwa schon im 1. Satz – geradezu auf freudige Erwartung setzend und deshalb von mitnehmender, fast schwereloser, elastischer Lebendigkeit. Viel Glücksgefühl – das man sich gelegentlich auch etwas weniger akademisch exakt präsentiert vorstellen könnte. Schön „gemurmelt“, geradezu duftig der friedvoll in mancherlei „Beleuchtung“ getauchte 2. Satz, musikantisch, gemütvoll und an keiner Stelle übertrieben die „Lustigkeit“ von harter Arbeit ausruhender Landleute. Dem „Gewitter“ – denkbar nobel, geradezu blitzblank (!) und fast zu schön musiziert, um wahrhaft erschreckend zu sein – folgte  der große Friede, eine an keiner Stelle das geeignete klangliche Maß überstrapazierende Hymne der Dankbarkeit. Fazit: Eine rundum gelungene, im Wortsinne „natürliche“ Präsentation, der man – da in allen beschworenen Empfindungen bestens bedient – bis zum letzten Ton gern folgte.  

Für die Aufführung der mit einiger „Schicksalsschwere“ belasteten „Fünften“ lässt sich das nicht uneingeschränkt sagen. Aber verwunderlich ist das zum Beispiel vor allem hinsichtlich des 1. Satzes eigentlich nicht. Historische interpretatorische Vergleiche können hier nicht angestellt werden, aber die Unterschiede – soviel sei festgestellt – sind erheblich. Die gestalterischen Schwierigkeiten, die der Satz bietet, allerdings auch. Wenn GMD Csizmadia etwas Großes, Bedeutendes vorhatte, dann ist es ihm und seinen wackeren Philharmonikern nicht so richtig gelungen. Herzhaft der Zugriff, präzise die Artikulation, forsch das (zu hohe?) Tempo – aber der Eindruck von Unruhe, ja von Gehetztheit verlor sich den gesamten Satz über nicht. Damit fehlte ihm einiges von jener in dieser archaischen Form neuartigen, weil ungemein konzentrierten Dramatik, die ihre eigentliche Stärke in der vorwärtsdrängenden, mobilisierenden Erregtheit, aber kaum im Aufgeregten besitzt. 

Sangliche Ruhe

Klang- und Ausdrucksintensivierung statt überfallartiger Äußerlichkeit: Dies im 1. Satz vermissen lassend, haben es dann allerdings alle folgenden Sätze geboten! Da war sie denn vorhanden: die sangliche Ruhe samt klanglicher Ausgewogenheit im 2. Satz und eine dann eher musikantisch stringente Musizierweise im dritten. Als Ziel- und Höhepunkt aber erwies sich dann ein Finale, das mit viel dynamischen Differenzierungen und dem Eindruck von Geschlossenheit bis zum letzten Ton für sich einnahm. Kein populistisch wirkungsvolles Draufhauen, allerdings die Überzeugungskraft energiegeladener Präsenz, eine von stärksten metrisch-rhythmischen Impulsen getriebene Vorwärtsbewegung von spannungsvoller Intensität und geradezu appellativem Charakter. Kein 4. Satz schlechthin, kaum bloßer Endpunkt eines traditionsreichen Zyklus, eher unabdingbares, notwendigs Ziel einer mehrsätzigen, gar visionären Entwicklung mit nachhaltigen Folgen für die Geschichte der sinfonischen Form. Und das war an diesem Abend dank einer starken Leistung des Philharmonischen Orchesters Vorpommern eindrucksvoll zu erleben.  

Titelfoto © Peter van Heesen

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