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Einfach Klassik.

Einfach Klassik.

Später Aufbruch in eine andere Welt

Die Komponistin Reena Esmail

Als amerikanisch-indische Komponistin bringt Reena Esmail die Musik zweier Welten zusammen. Dass sie die hindustanischen Elemente erst so spät in ihre Arbeit integriert hat, ist vor diesem Hintergrund ein interessantes, aber auch paradoxes Detail. Und von diesen Gegensätzen gibt es noch mehr. Ein Artikel von Stefan Pillhofer.

Für Reena Esmail (*1983) hatte ihre westlich geprägte Musikerkarriere schon richtig gut begonnen. Nach vielen Jahren Instrumentalunterricht hatte sie den festen Plan, Pianistin zu werden. Doch dann entdeckte sie das Komponieren für sich und die Studien an der Juilliard School und Yale School of Music bereiteten der jungen Künstlerin einen außergewöhnlichen Weg vor. Ihr Talent für Komposition wurde früh erkannt, Juilliard meldete sich schnell bei Esmail, um ihr einen Studienplatz anzubieten. Dabei hatte sie bis dahin eigentlich nur zwei Stücke komponiert, die “Sunrise Toccata” für Solo-Piano (1999) und “Fantasia” für Flöte, Viola und Harfe (2000). Für die Präsentation in New York schrieb sie dann noch ein weiteres, “Chardonnay” für Solo-Flöte (2001), welches lange ihr meistgespieltes Stück war.

Zwischen den Welten

Obwohl ihre Eltern aus Indien stammen, wurde sie nach ihren ersten Lebensjahren in Chicago dann in Studio City in Los Angeles, Kalifornien, westlich geprägt erzogen. Auch musikalisch fühlte sie sich in der westlichen Klassik beheimatet und hörte fast ausschließlich die Musik, die sie als angehende Pianistin auch spielte. Während ihrer Zeit in Yale geschah jedoch etwas Unerwartetes. Durch einen Dozenten für nordindische, klassische Musik, der hindustanischen Musik, wurde sie aufmerksam auf die musikalische Seite ihrer indischen Herkunft, stammt doch ihr Vater aus Nordindien. Schnell fand sie in diese so andere musikalische Sphäre hinein und spürte, dass diese Prägung schon immer zu ihr gehörte, ihr aber bislang noch nicht zugänglich gewesen war. 

So unterschiedlich beide musikalischen Welten auch sind – für Esmail ist es keine große Anstrengung, beide zu verbinden. Einmal bestand sie als Jugendliche darauf, dass ihre Mutter eine traditionelle, indische Nachspeise herstellte, damit eine Schulfreundin sie kosten kann. Mutter und Freundin waren vom Ergebnis leider wenig begeistert, was Reena aber kein bisschen von der Begeisterung abbringen konnte, die unterschiedlichen Welten auch musikalisch zusammen zu bringen. So kombinierte sie ein Volkslied, welches ihr nordindischen Großvater auf alten Aufnahmen sang, mit einem südindischen Volkslied namens Jhula Jhule, das ihre aus Goa stammende Mutter des Öfteren vorsang. 

Frauen bestärken

Nicht nur Kultursphären möchte Reena Esmail miteinander verbinden, sondern auch Menschen. Dabei ist es ihr ein großes Anliegen Frauen in der Musik, aber auch einfach mit ihrer Musik zu bestärken. Allein die Tatsache, dass mit der Komponistin und Vokalistin Susan Botti unter den acht DozentInnen, mit denen sie über die Jahre gearbeitet hat, nur eine Frau war, machte ihr deutlich, wie notwendig das ist. Botti hatte ihr geholfen, sich selbst als Künstlerin zu erkennen, und herauszufinden, wieviel Kraft in ihr steckt, indem sie Esmail sowohl forderte als auch förderte. Genau das möchte sie gerne an Folgegenerationen weitergeben, und findet es dabei besonders wichtig, dass die Unterstützung für Komponistinnen langfristig stattfindet, und nicht nur dann, wenn ein bestimmtes Stück gefällt. Wichtige Einflüsse dabei sind zum Beispiel die Yogalehrerin Zabie Yamasaki, die Menschen dabei hilft, erlebte sexuelle Traumata durch Yoga zu heilen. Oder die Schauspielerin Allison Janney, die Esmail dadurch beeindruckt, wie sie ihre komplexen und schwierigen Rollen anlegt, und so zu Wahrheit und innerer Schönheit finden kann. Das hilft ihr selbst mit mehr Mitgefühl durchs Leben zu gehen. Und dann ist da noch Misty Copeland, die als hervorragende Tänzerin eine ganze Generation farbiger [Elisabeth: bitte prüfe hier die korrekte Ausdrucksweise. Ich habe in letzter Zeit in so vielen Podcasts Diskussionen ohne klares Ergebnis dazu gehört, dass ich immer wieder bei diesem Wort lande] Frauen dazu bestärkt hat, Führungsrollen in der Kunst zu übernehmen. Für Reena Esmail bedeutet ihre Alleinstellung unter den KomponistInnen aber auch Druck, als Beispiel für andere alles richtig machen zu müssen. Manchmal ist es nicht leicht für sie, Kompositionen einfach auszuprobieren und dabei auch Fehler machen zu dürfen, wenn sie die unterschiedlichen Charaktere ihrer musikalischen Einflüsse zusammen bringt.

In der hindustanischen Musik kommt zum Beispiel Harmonie, wie wir sie aus der westlichen „klassischen“ Musik kennen, kaum vor. Im Vordergrund stehen starke Melodien, die sehr frei agieren können. Harmonie ergibt sich aus dem Zusammenspiel mit dem Grundton, der unter die Melodien gelegt wird. Auch die Rhythmik ist in der hindustanischen Musik freier und ungebundener, als es die westliche Klassik vorsieht. Esmail verbindet das alles kompositorisch, indem sie zum Beispiel diese freien Melodien im Kontrapunkt miteinander in Beziehung setzt.

Obwohl sie weiterhin nach klassischem Vorbild ausnotiert, gibt sie hindustanischen MusikerInnen bei bestimmten Melodien Improvisationsspielräume, indem sie nur einen groben Rahmen für die Melodie notiert. 

Zwar nutzt Esmail gerne moderne Kompositionstechniken, ihr Herz bleibt aber nach ihrer anfänglichen Klavierkarriere immer auch bei traditionellen Spielarten der Klassik, wofür sie von zukunftsbeflisseneren Kollegen oft belächelt wurde. 

Reena Esmail
Reena Esmail

Entwicklung und Aufmerksamkeit

In den letzten Jahren hat sich Reena Esmail immer mehr auch größeren Ensembles zugewandt. So entstanden einige Werke für Orchester, darunter das Stück “#metoo” im Auftrag der Chicago Sinfonietta, welches mich verzaubert hat, vielleicht weil Esmail es zur gleichen Zeit komponierte, als die #metoo-Bewegung ins Rollen kam, was sie sehr wütend machte, und zum Titel des Stücks inspirierte. Oder ein Klarinettenkonzert, das sie für Shankar Tucker geschrieben hat, da sie schon viele Jahre lang seinen Einfallsreichtum im Wechsel zwischen indischer und westlicher Musik bewundert hat. Und dann ist da noch ein neues Konzert für Sitar und Orchester, das vom Seattle Symphony 2020 uraufgeführt wird. Sie schreibt es für das 100-jährige Jubiläum der Geburt von Ravi Shankar, der neben seiner herausragenden Karriere als Musiker auch einer der wegweisenden Komponisten hindustanischer Musik war.

Immer mehr Augen und Ohren richten sich auf Reena Esmails Arbeit, immer mehr Klassikbeflissene wispern sich Information über dieses neue Sitarkonzert zu, immer neue Kompositionsaufträge und Kooperationen deuten sich an. Wenn man danach sucht. Und dann findet man diese Tiefe in Esmails Musik, die sie selbst treffenderweise als in sich “magisch” und geheimnisvoll bezeichnet, in Abgrenzung zu ihrer leicht umgänglichen, extrovertierten Persönlichkeit. All das erzeugt diese freudige Spannung, mit der ich das weitere Wirken von Reena Esmail aufmerksam verfolgen werde. 

Über Orchestergraben

Im Orchestergraben-Blog schreiben wir mit mehreren Autor*innen über gemischte Themen der klassischen Musik, und der Oper. Hier findet man sowohl Konzertberichte, als auch CD-Reviews, Interviews, Buchvorstellungen und andere Themen. Artikel erscheinen in der Regel wöchentlich, unser Newsletter kommt einmal im Monat.

Der Orchestergraben-Blog wurde im Jahr 2013 gegründet, und feiert 2023 zehnjährigen Geburtstag. Seitdem wächst und gedeiht der Blog, und wir freuen uns über stetig steigende Zugriffszahlen, und immer mehr Aufmerksamkeit und Kooperation.

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Stefan Pillhofer ist gelernter Toningenieur und hat viel Zeit seines Lebens in Tonstudios verbracht. Er hat viel Hörerfahrung mit klassischer und Neuer Musik gesammelt und liebt es genau hinzuhören. In den letzten Jahren hat sich die Neue und zeitgenössische Musik zu einem seiner Schwerpunkte entwickelt und er ist stets auf der Suche nach neuen Komponist*innen und Werken. Stefan betreibt das Online-Magazin Orchestergraben, in dem er in gemischten Themen über klassische Musik schreibt. Darüberhinaus ist er auch als Konzertrezensent für Bachtrack tätig.
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