Einen Pakt mit dem Teufel einzugehen, geht meistens nach hinten los. Das erfuhr der unselige Faust in Goethes Drama – und auch einem unbekannten Soldaten in Igor Strawinskis Meisterwerk „Die Geschichte vom Soldaten“ ergeht es nicht anders. Igor Strawinskis Meisterwerk aus dem Jahr 1918 gehört eigentlich – wie so viele andere Werke des 20. Jahrhunderts auch – viel häufiger aufgeführt. In der Scharonaula, jener erlesenen Spielstätte der Ruhrgebietsstatt Marl blühte das Stück in neuer Aktualität auf – hier dargeboten vom Schauspieler Gerald Friese und dem Trio Schmuck, bestehend aus Sayaka Schmuck (Klarinette) Lisa Schumann (Violine) und Benjamn Nuss am Klavier.
„Über alle Maßen reich und dennoch tot“
In kompakter Form bietet dieses Meisterwerk aus dem Jahr 1918 einiges auf: Die Story könnte in ihrer Symbolkraft locker Goethes Faust das Wasser reichen. Igor Strawinskys meisterhafte Vertonung vereint so ziemlich alle kühnen Geniestreiche seiner Kompositionskunst, wozu auch Anleihen bei Ragtime, Tango und Jazz gehören, sowie Elemente, die bereits seine legendäre Balletmusik „Sacre de Printemps“ vorwegnehmen. Bei aller rauschhafter Sinnlichkeit ist die Musik auch von polyphonischen Strukturen durchzogen und ja – das ganze bleibt immer mitreißend zugänglich, ja unterhaltsam.
![Lisa Schumann, Benjamin Nuss, Foto © Stefan Pieper](https://orchestergraben.com/wp-bs2021/wp-content/uploads/2024/10/DSC07224_small-1024x768.jpeg)
Ein wandernder Soldat kommt auf Heimaturlaub, leicht frustriert von seinem bedeutungslosen Dasein. Er begegnet dem Teufel, der ihm einen verhängnisvollen Deal anbietet. Die geliebte Geige des Soldaten, Symbol für Musik und alles Menschliche, wandert in die Hände des Teufels. Dieser gibt ihm dafür ein Buch, das auf Abruf jedes verfügbare Wissen liefern kann. Was dieses Buch sogar jedem heutigen Smartphone voraus hat: Es blickt in die Zukunft und sagt Dinge vorher. Ein solcher Wissensvorsprung ist echtes Geld wert. Aber was nützt all dies, wenn dafür alles Menschliche auf einmal tot ist? Der Soldat wird “über alle Maße reich und dennoch tot”. Das Stück kreist um ein verzweifeltes Ringen, diesem Teufelskreis letztlich wieder zu entfliehen.
Intensive spielerische Bravour in „Geschichte vom Soldaten“
Gerald Friese war in Marl bestens in seinem Element, wie er mit viel gestischem Einsatz und lebendiger Mimik die drei Rollen abwechselnd verkörperte: die des Erzählers, die des vom Schicksal gebeutelten Soldaten und vor allem als Teufel, bei dessen Verkörperung Friese allen diabolischen und verführerischen Register zieht. Die Sorge, dass Frieses ansteckende Bühnenpräsenz etwa die Musik zu sehr ins Randgeschehen drängen würde, zerstreute das Trio Schmuck vom ersten Ton mit eigener, intensiv gelebter spielerischer Bravour. Vor allem Geigerin Lisa Schumann beeindruckte mit ihrem ungezähmt verführerischen Ton. Auch Sayaka Schmuck an der Klarinette trug leuchtende Klangfarben auf – vor allem, wenn die Musik in die elegisch-melancholischen Seelenzustände der Hauptperson in „Geschichte vom Soldaten“ eindringt. Pianist Benjamin Nuss gab darüber hinaus alles, damit die musikalische Energie in dieser „reduzierten“ Besetzung gegenüber der ursprünglichen Fassung einen noch aufregenderen rhythmischen Puls bekam.
![Gerald Friese, Foto © Stefan Pieper](https://orchestergraben.com/wp-bs2021/wp-content/uploads/2024/10/Gerald-Friese_small-768x1024.jpeg)
Ja, Reichtum und materielle Verführungen sind eben nicht alles und das Streben danach geht oft mit einem großen Verlust anderer menschlicher Werte einher. Mit dieser Einsicht verströmt dieses Stück auch 100 Jahre nach seiner Entstehung viel Wahrheit. Die “Geschichte vom Soldaten” wird, wie viele andere Werke des 20. Jahrhunderts, viel zu selten im Konzertbetrieb aufgeführt. Die hervorragende Interaktion zwischen allen Beteiligten zeugte in der Scharounauula von viel gereifter Erfahrung, mit der Gerald Friese, Sayaka Schmuck, Lisa Schumann und Benjamin Nuss nun schon einige Jahre mit diesem Programm unterwegs sind. Das ist auch auf einer CD-Aufnahme dokumentiert, die direkt bei diesem Trio erhältlich ist.
Titelfoto © Stefan Pieper