Einfach Klassik.

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The Twiolins in Marl: Traumwandlerisches Geschwister-Finale

Ein bewegender Moment im Marler Theater: Das renommierte Violinen-Duo The Twiolins präsentierte sein Programm „Eight Seasons“ als Teil ihrer Abschiedstournee in der bisherigen Besetzung. Denn Christoph Dingler, jüngerer Bruder und künstlerischer Partner von Marie-Luise Dingler möchte sich aus familiären Gründen aus dem intensiven Konzertbetrieb zurückzuziehen. Die Erfolgsgeschichte dieses unkonventionellen Duos wird weitergehen: Als neue Duo-Partnerin hat sich Marta Danilkovic angekündigt und wer diese engagierte, vielseitige Performerin bereits kennt, wird sich um die Zukunft der Twiolins wohl kaum Sorgen machen. Aber vorher lief die von kleinauf gewachsene künstlerische Symbiose zwischen Marie-Luise und Christoph Dingler im Marler Theater noch einmal zur Höchstform auf.

The Twiolins ohne Notenständer

Keine Notenständer stehen an diesem Abend auf der farbig illuminierten Bühne, denn diese wären ja etwas Trennendes zum Publikum – und ja, „playing by heart“, wie es viel treffender auf Englisch heißt, erzeugt einfach eine noch tiefere Musikalität, ganz von innen heraus. Diese strahlt bei The Twiolins aus jedem Bogenstrich. Eight Seasons, heißt ihr jahrelang erprobte Erfolgsprogramm, in welchen die Vivaldis Vierjahreszeiten quasi dekontextualisieren und mit verschiedenen, sehr diversen Piazolla-Stücken kombinieren und klar, bei bewegen sich entsprechend traumwandlerisch in diesem Repertoire. Alles im Marler Theater ist vom Beginn von raumfüllender Intensität und hohem Gespür für Dramaturgie getragen, die neu entstehenden Spannungsbogen funktionieren zuverlässig. Umso verdienstvoll war hier Marie-Luise Dinglers sanfte „Gebrauchsanweisung“ ans Publikum, durch Verzicht auf zu viele Zwischenapplause den Klatschreflex zu zügeln, denn erst dadurch fängt die Kunst des Zuhörens meist erst richtig an.

The Twiolins, Foto © Stefan Pieper
The Twiolins, Foto © Stefan Pieper

Erkenntnis dabei: Vivaldis „Jahreszeiten“ sind auch heute noch erfrischend modern mit ihren improvisatorisch wirkenden Sequenzierungen, ebenso könnte die Grundidee des venezianischen Barockmeisters, eine Instrumentalmusik in den Dienst eines greifbaren Narrativs zu stellen, von heute kommen. Piazzolla wiederum ist in seiner Tonsprache doch so stark im Polyphonischen verankert, dass sich eine Anschlussfähigkeit in jedes Musikgenre von selbst ergibt. 

Mit vollem Bogenstrich den Raum bis in die letzte Reihe füllen…

Mit einer Violine und einer zweiten davon (bzw. oft auch einer Viola) ein ganzes Orchester „ersetzen“- geht das überhaupt? Ja, vorausgesetzt, dahinter steht so viel energetische und Bühnenpräsenz wie bei den Twiolins. Sie haben es einfach drauf, auf ihren zierlichen Instrumenten mit breiten Strichen und Ausnutzung meist der ganzen Bogenlänge ein großes, 800 Menschen fassende Theater bis in die letzte Reihe zu bespielen. Christoph Dinglers kraftvolle Pizzicato-Muster auf der Viola „ersetzen“ also mal eben ein ganzes Basso Continuo, zugleich liegt die Kunst im stimmigen Mix aus, oder nennen wir es akademischer einer neuen suitenartigen Abfolge aus kraftvoll pulsierenden Stücken und „singenderen“ Nummern. Und obwohl ganz viel Wiedererkennungseffekt das Publikum hier zuverlässig abholt, erheben sich Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ und Piazzollas Tangos in einem überraschend neuen, befreiten Fluss aus jeder Erstarrung zum Stereotyp. Was eben dazu führte, dass ein sinnlich-bittersüßes „Oblivion“ oder das fieberhaft nervöse Vibrieren des Sommergewitters ganz tief an den Ursprüngen rührte und damit dann auch ehrlichen – und eben nicht reflexhaften – Szenen-Applaus evozierte. Als Zugabe machten die Twiolins aus einem weiteren „Standard“ was ganz neues: Beethovens „Für Elise“ gibt dem Duo noch mehr Futter, um sich lustvoll auf die ganzen Arpeggien und Sequenzierungen zu stürzen – oder wollen wir nicht besser von rockigen Riffs sprechen, wie sie sich in einer hitzigen Folk-Nummer zum Abschluss fortsetzte? 

The Twiolins, Foto © Stefan Pieper
The Twiolins, Foto © Stefan Pieper

Das Gastspiel der Twiolins war bei der traditionsreichen Marler Konzertreihe Anlass genug, dieses vielgefragte Duo auch für ein Kinder-Konzert am frühen Morgen zu buchen, denn genau das gehört auch zum Anliegen vor allem von Marie-Luise-Dingler, die sich auch als Kinderbuchautorin betätigt: Als Eichhörnchen und Igel kostümiert, entführten die Geschwister ihr junges Publikum in der Scharou-Auoa in die Wunderwelt des Streicherklangs. Zwischen spielerischen Späßen, fantasievollem Storytelling und kindgerechten Erklärungen brachten sie auch viele spielerische Kostproben und brachten die Scharoun-Aula mit viel heißter Virtuosität zum Beben. Nicht nur die künstlerische Leiterin der Marler Konzertreihen Evelyn Fürst-Heck war hocherfreut angesichts des regen Zulaufs. Stößt musikalische Exzellenz vielleicht doch auf wesentlich mehr Nachfrage, wenn erst attraktive Angebot da sind, um auch junge Menschen abzuolen? 

Mut zum eigenen künstlerischen Weg, aber auch zum unternehmerischen Risiko 

Was dieses denkwürdige Gastspiel, da es ja auch ein Finale sein sollte, zeigt: Hier wollen zwei Musikerpersönlichkeiten nicht einfach nur den etablierten Klassikbetrieb fortführen, sondern auf kreative Weg neues Publikum für klassische Musik begeistern. Ein solcher innovativer Ansatz hat seinen Preis: Wie viele freischaffende Künstler tragen die Twiolins das unternehmerische Risiko selbst und verwenden einen großen Teil ihrer Zeit fürs engagierte Selbstmarketing. Dazu gehörte auch eine klare Ansage, die Marie-Luise Dingler am Ende des Konzerts im Marler Theater machte, bevor sie am CD-Stand im Foyer ihr aktuelles CD-Album anbot: So würden die Streaming-Erlöse durch Spotify und Co. selbst über den Zeitraum der gesamten Menschheitsgeschichte hinweg nicht ausreichen, um die hohen Produktionskosten eines Albums zu decken, die man heute sowieso immer selbst tragen muss. Daher bleibt der Erwerb einer CD auch immer ein Statement für das Weiterleben der Kultur – ganz vom haptischen und audiophilen Mehrwert einmal abgesehen.

Titelfoto © Stefan Pieper

Icon Autor lg
Musik und Schreiben sind immer schon ein Teil von mir gewesen. Cellospiel und eine gewisse Erfahrung in Jugendorchestern prägten – unter vielem anderen – meine Sozialisation. Auf die Dauer hat sich das Musik-Erleben quer durch alle Genres verselbständigt. Neugier treibt mich an – und der weite Horizont ist mir viel lieber als die engmaschige Spezialisierung, deswegen bin ich dem freien Journalismus verfallen. Mein Interessenspektrum: Interessante Menschen und ihre Geschichten „hinter“ der Musik. Kulturschaffende, die sich etwas trauen. Künstlerische Projekte, die über Tellerränder blicken. Labels, die sich für Repertoire-Neuentdeckungen stark machen. Mein Arbeitsideal: Dies alles fürs Publikum entdeckbar zu machen.
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