Da sitzt er in München während der aktuellen Krise und gibt sein drittes Twitter-Hauskonzert, um weiterhin die Musik zu den Menschen zu bringen. Jeden Abend spielt Igor Levit derzeit für die Menschen zu Hause, deren Zugang zu den Konzerthäusern vom Virus versperrt wurde, via Stream über Twitter. Viele Kultureinrichtungen bieten jetzt Streaming von älteren Konzerten, aber auch einige abgesagte Konzerte werden noch gespielt und live gestreamt. Levit folgt da wie so oft seinem inneren Impuls, das richtige in der Gesellschaft zu tun, und so ist die Gratis-Versorgung mit Klavier-Rezital sein Weg, Menschen zusammen zu bringen. Menschen aus der ganzen Welt. Hannover, Hamburg, Mannheim, Stuttgart, New York, Vancouver und Sydney melden sich im Kommentarfeld der Streamingplattform, die Igor für seinen Auftritt gewählt hat.
Mühelos
Mit riesigem Publikum also spielt er ein Konzert, in das er alles hinein legt, auch das ist wie immer. Auch wenn beim Werk dieses Abends, der Chaconne in D-moll von Johann Sebastian Bach in der Bearbeitung von Johannes Brahms für die linke Hand, die rechte Hand immer etwas wie ein Zusatz an der Seite gehalten werden muss, mit gestikuliert, oder den rechten Rand des Flügels festhält. Aber seine Linke zaubert, nun auch musikalisch, eine Klangfülle, die man eigentlich beidhändigem Spiel zuschreiben würde. Und alles ist perfekt gespielt, gebrochene Akkorde, schnelle Läufe, waghalsige Sprünge. Dieser Pianist spielt einfach was ihm beliebt, und das scheinbar mühelos. Mühevoll wird es nur dann, wenn er es so will, wenn er die Interpretation intensiviert, und Ausdruck und Konzentration zu diesen starken, kraftvollen Höhepunkten überlagert.
Man sagt, dass das Spiel von sehr guten Pianist*Innen entweder ganz einfach, oder unglaublich schwierig aussieht. Und bei Levit habe ich immer den Eindruck, dass er doch zur zweiten Gruppe gehört. Alle die wir zuhören und zusehen wissen, dass Solches für uns mit unserem Schulklavierunterricht nicht denkbar ist. Auch bei geschlossenen Augen erreicht uns diese kompromisslose Hingabe an die Musik, die das Spiel dieses Mannes immer transportiert, diese äussere Hülle seiner inneren Persönlichkeit, die sich durch die Musik manifestiert, seine doch stärkste Ausdrucksmöglichkeit, die uns intensiv auf diesen Ebenen anspricht, auf denen sich Musik bewegt.
Und Ausklang
Chaconne bringt Levit an diesem Abend mit lyrischer Erzählkunst immer weiter in seinen barocken Urkontext, arbeitet selbst in dieser Situation mit Detailbewusstsein in Notenanschlag und Dynamikgestaltung die interessanten Aspekte dieser Musik heraus, die Diktion in der sie steht.
Und während ihn Menschen aus aller Welt in der Kommentarspalte dankbar und euphorisch feiern, für den Künstler und den Mensch der er ist, für das was er tut und wofür er steht, da kommt Igor Levit früher als an den Abenden zuvor zum Ende, und hinterlässt uns mit diesen weichen Klängen im Ohr, und wir sind dankbar für die beherzte Umsetzung dieser kreativen Idee, das Twitter-Hauskonzert.